"Krone" versus BOBOSTAN

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"Mit Ludwig und Schieder prallten zwei rote Flügel aufeinander -vor allem aber zwei Milieus, zwei Netzwerke, zwei 'Partien'."

"Ludwig war der Kandidat der 'Flächenbezirke', jener Gegenden am Stadtrand, in denen Autos wichtiger sind als Fahrräder und es mehr Bau-als Biomärkte gibt."

"Die Sozialdemokratie laboriert in ganz Europa an einem Problem, dessen Lösung so schwierig anmutet, dass ganze Parteiapparate wirken wie in Schockstarre."

Kurz bevor der Neue die Bühne betritt, ist es einen Moment lang ganz still. Gequältes Warten hatte vorher für Stunden geherrscht. Unter den Funktionären und Medienvertretern waren die Gespräche langsam verebbt. "Liebe Genossinnen und Genossen", sagt Wahlkommissionsleiter Jan Krainer dann endlich in ein Mikrofon. "Wir haben einen neuen Vorsitzenden." 971 Stimmen seien abgegeben worden, sieben davon ungültig. Und der Name des neuen Landesparteivorsitzenden sei: Michael Ludwig.

Dann brandet Applaus auf in den Reihen der Delegierten. Und sie füllt sich wieder mit Lärm, die Halle D der Messe Wien, drei Etagen hoch, schwere Lüftungsrohre an der Decke, Wiener Stadtpanoramen über dem Rednerpult. Und während das Klatschen in den mittleren Reihen nicht abebbt, haben sich bei ein paar, die am Rand stehen, direkt neben den roten Holzaufstellern mit den SPÖ-Logos, die Mienen verspannt. "Ab heute gibt es nur noch eine Partei", sagt der Neue dann. Dankesworte und Handreichung an den gescheiterten Kontrahenten, der Vorgänger solle künftig Ehrenvorsitzender sein, man werde von nun an geschlossen auftreten.

Städtische Grenzen

Aber stimmt das wirklich? Geht es nach dem Urteil der Medien, lautet die Antwort nein. Seit Monaten leuchtet man den Konflikt der Wiener SPÖ genüsslich aus und inszeniert ihn in bunten Farben; den Konflikt, der beim Landesparteitag am Wochenende zur Kampfabstimmung um den Parteivorsitz führte; und dessen Gewinner nun Michael Ludwig heißt, der Wiens Langzeit-Bürgermeister Michael Häupl Ende Mai in seinem mächtigen Amt beerben wird. Mit Ludwig und dem unterlegenen Andreas Schieder prallten zwei Flügel der Wiener Sozialdemokratie aufeinander, vor allem aber zwei Milieus, zwei Netzwerke, zwei "Partien". Der 56-jährige Ludwig, seit elf Jahren Wohnbaustadtrat, hat seit jeher starken Rückhalt in den Gewerkschaften -und ging als Kandidat der vielzitierten "Flächenbezirke" ins Rennen. Es sind die Großareale jenseits von Donau und Südosttangente, in denen Autos wichtiger sind als Fahrräder und es mehr Bau-als Biomärkte gibt. Wo die Kinder vieler Genossen, die hier vor Jahrzehnten neue Gemeindebauten bezogen, inzwischen FPÖ wählen. Und wo sich auch heutige rote Funktionäre in Floridsdorf, Donaustadt, Simmering oder Liesing von den innerstädtisch geprägten Führungszirkeln der Stadtpartei nicht ausreichend vertreten fühlen.

Und der siegreiche Michael Ludwig war auch der Kandidat des Boulevards. Die Inseratenpolitik seines Vorgängers als Wohnbaustadtrat, eines gewissen Werner Faymann, hat der Floridsdorfer quasi lückenlos übernommen: Großflächiges Schalten von Anzeigen in den reichweitenstarken Blättern. Die Boulevard-Kampagne rund um die Häupl-Nachfolge kam denn auch wenig überraschend: "Warum Michael Ludwig Bürgermeister werden muss" titelte die Krone im Dezember, "Wiener erwarten Ludwig-Wahlsieg" die Tageszeitung Österreich eine Woche vor der Abstimmung.

Mehr als lokale Kalamitäten

Der 48-jährige Schieder, Sohn des langjährigen SP-Politikers Peter Schieder, entwickelte sich dagegen zum Kandidaten der Innenstadt-Nomenklatura, die das Rathaus seit zwei Jahrzehnten dominiert. Und damit auch zum Kandidaten der "Bobo-Grätzel" und des linken Parteiflügels -obgleich Schieder politischer Pragmatiker ist. Inhaltliche Unterschiede zwischen Ludwig und Schieder hielten sich zwar in engeren Grenzen als Medienberichte suggerierten. Was die Anhänger und Lager der beiden Kandidaten angeht, gibt es da aber ein Thema, das die Genossen seit Jahren spaltet wie kein zweites. In dem persönliche Animositäten ebenso kulminieren wie unterschiedliche Lebenswelten. Mit dem sich die Flügel der Stadtpartei radikalisierten.

"Das große Dilemma der Sozialdemokratie zeigt sich zentral an einer Frage", sagt Politikwissenschaftler Anton Pelinka im Gespräch mit der FURCHE. "Soll soziale Gerechtigkeit vor allem für jene gelten, die kraft Geburt Österreicher sind, oder schließt sie Zuwanderer im selben Maß mit ein?" Das "Team Haltung" sei abgewählt worden, schrieb Krone-Innenpolitik-Chef Claus Pándi nach dem Parteitag. Eine Anspielung auf den Herbst 2015, als sich täglich Tausende Flüchtlinge am Westbahnhof drängten und der Wiener Bürgermeister die Sorgen mancher Genossen mit einem Satz beantwortete: Wer Hilfe braucht, dem wird geholfen. Bei der Wien-Wahl in jenem Herbst ist es mit dieser Linie noch einmal gut gegangen.

Die Wiener Konfliktlinien sollten aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es bei den roten Kalamitäten um weit mehr geht als um lokale Fragen einer großen Stadtpartei. Es ist die dominierende Richtungsauseinandersetzung der Sozialdemokratie schlechthin, die sich in der Hauptstadt wie unter einem Brennglas verdeutlicht. Denn auch andernorts haben manche Genossen den Eindruck, es würde den Zuwanderern zu leicht gemacht. Leichter als einst ihren Eltern und Großeltern, als die sich aus den früheren Elendsvierteln der Großstädte in bessere Lebensverhältnisse hinaufarbeiteten. Dass die neu Zugereisten den gleichen Anspruch auf Mindestsicherung haben wie sie selbst, die jahrzehntelang Steuern und Abgaben gezahlt haben, verstehen sie nicht.

Gleichzeitig laboriert die Sozialdemokratie -auch im überwiegenden Rest Europas -an einem Problem, dessen Lösung so schwierig anmutet, dass ganze Parteiapparate wirken wie in Schockstarre: Die gesellschaftliche Stimmung, die politische Großwetterlage, ist geprägt von Themen wie Zuwanderung, unsicheren Arbeitsplätzen und Abstiegsängsten. Es sind Themen einer Gemengelage, die traditionell den konservativen Parteien in die Hände spielen -und sich europaweit in politischen Machtverhältnissen niederschlagen: Nur noch sechs der 28 EU-Mitglieder sind sozialdemokratisch regiert; der Rest konservativ oder liberal - teils in Allianzen mit (neuen) rechtspopulistischen Fraktionen.

Nicht wenige erwarten ein gesamteuropäisches Zeitalter konservativer Hegemonie. Ganz so wie in den 1970ern auf der anderen Seite des Spektrums: als für eine Dekade eine europäische Vorherrschaft der Sozialdemokratie geherrscht hatte; als rote Kanzler-Überväter wie Bruno Kreisky, Helmut Schmidt oder Olof Palme unter dem Narrativ der Modernisierung eine gesellschaftliche Öffnung vorantrieben. Sie konnte im Geiste einer Zeit gedeihen, die von wirtschaftlichem Aufschwung und sozialem Aufstieg geprägt war. Einer anderen Zeit als heute also.

Im luftleeren Raum

Es ist eine Aufgabe, an der sich Genossen von Berlin bis Paris die Zähne ausbeißen und die sie mitunter wie paralysiert im luftleeren Raum zurücklässt: Wieder eine Erzählung zu entwickeln, an die die Menschen glauben können. Eine Vision zu formulieren, die Hoffnung vermittelt. Hoffnung auf sozialen Aufstieg. Oder wenigstens darauf, dass sich die eigene Lage nicht verschlechtert. Gerade in einer Zeit, in der Jobs von Globalisierung und Digitalisierung dahingerafft werden, in der der globale Finanzkapitalismus den Sozialstaat bedroht, weil er Gelder einstreift, die den Solidargemeinschaften entgehen, gäbe es auch logische Anknüpfungspunkte für sozialdemokratische Politik.

Häufig proklamieren Genossen in diesem Zusammenhang das "Zurückholen der Arbeiter" von der FPÖ. Ob das chancenreich sein kann, hält Pelinka für äußerst fraglich. Denn die Mehrheit der Arbeiter wähle schon seit rund zwei Jahrzehnten FPÖ. Er sei "skeptisch, ob die SPÖ je wieder zur stärksten Arbeiterpartei werden kann", sagt der Politologe. Und: Die Arbeiterschaft schrumpft. Die formalen Bildungsabschlüsse aber steigen. Groß geworden ist die Sozialdemokratie um die vorletzte Jahrhundertwende "als immer mehr Menschen Arbeiter wurden, als das die Zukunft war", sagt Pelinka. "Zurück zu den Wurzeln" könne demnach kaum großen Erfolg versprechen. "Diese Wurzeln sind nicht mehr da."

In der Halle D der Wiener Messe singen die Genossen indes das Lied der Arbeit und die Internationale. So wie zum Ende jedes Parteitages. "Es rettet uns kein höh'res Wesen, kein Gott, kein Kaiser noch Tribun. Uns aus dem Elend zu erlösen, können wir nur selber tun." Auch die Wiener Funktionäre selbst brauchen ihre Hoffnung. Die Hoffnung, dass man der internationalen Krise der Sozialdemokratie vielleicht vom "Roten Wien" aus selbstbewusst entgegen schreiten kann. Zumindest bis zur nächsten Wahl.

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