Kuba, Fidel Castros ewige Baustelle

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Nicht nur die Prachtbauten verfallen. Auch der Glaube an den Fortschritt der Revolution.

José!" Und wieder ist er uns entwischt, hineingezischt in eine Straße, ohne darauf zu achten, dass er sich gegen die Einbahn bewegt. Was für ihn, als Radfahrer, kein so großes Problem ist. Aber wir im Mietauto können ihm nicht folgen. Also halten wir am Straßenrand, bis José zurück kommt, mit einem Lachen über dem ganzen Gesicht.

Ja, er weiß schon, diese Einbahnen! Er wird sie sich schon noch merken! José ist neu im Geschäft der - wenn wir sie mal so nennen wollen - Lotsen, jener jungen und alten Männer, die allenthalben in Kuba bald nach einer Stadteinfahrt auftauchen und den Fremden ihre Dienste bei der Suche nach einem Privatquartier anbieten.

Plötzlich ist er da gewesen, als wir durch die engen Gassen im Zentrum von Bayamo, nordwestlich von Santiago de Cuba, kurvten und erfolglos Ausschau nach dem uns empfohlenen Hotel hielten. "Warum denn ein Hotel? Das ist doch viel zu teuer. Kommen Sie mit mir mir", fordert er uns auf und fährt voran. Adressen hat er zur Genüge. Kein Problem, beruhigt er uns, als die erste, zweite und auch dritte Familie, zu der er uns führt mit einem "Leider, wir sind voll" abwinken. Bei der vierten Adresse klappt es dann. José zieht zufrieden mit seiner Dollar-Entlohnung davon. Und eine weitere Familie wird dank unserer Beherbergung in dieser Nacht Dollar verdienen - jene Währung, mit der Touristen alles im Land begleichen, die Pesos der Kubaner bekommen sie gar nie.

Zwischen zehn und zwanzig US-Dollar sind es, die wir im Zuge unserer Kubareise für ein Doppelzimmer in einem Privatquartier bezahlen. Stets handelt es sich dabei um Häuser aus der vorrevolutionären Zeit, viele haben einen kleinen Innenhof, manche auch einen Garten. "Vom vermieten leben kann man nicht. Der Staat kassiert kräftig mit", sagt unser Gastgeber in Bayamo. "Aber wir brauchen das Geld, um das Haus zu erhalten. Andere, die von der seit einigen Jahren geltenden Regelung Gebrauch machen, wonach Familien nach vorheriger Prüfung und Zustimmung durch die Gemeinde maximal zwei Zimmer vermieten dürfen, geben offen zu: Sie wollen Dollar in die Hände bekommen. Denn erst die eröffnen den Zutritt zu jenen Devisenläden, wo es die begehrten westlichen Konsum- und Gebrauchsgüter zu kaufen gibt. Läden, wie sich vielerorts finden und auf den ersten Blick die kubanische Zweiklassengesellschaft erkennbar machen mit der kleinen, privilegierten Klasse der Dollarbesitzer, die reingehen und einkaufen kann, und der anderen, die auf die staatlichen Geschäfte und Bezugsscheine angewiesen ist und von der sich einzelne Mitglieder an den Fenstern der Dollarläden die Nasen platt drücken. "Bitte, damit wir uns was zu essen kaufen können", werden wir immer wieder vor solchen Geschäften angebettelt, ob in Santiago de Cuba oder ganz besonders in Havanna. Vor allem alte Leute sind es, die da ihre Hände ausstrecken. Wer weiß, mit wie wenig sie über die Runden kommen müssen, wie ihre Quartiere wohl aussehen?

Armut überall

"Heute schlafen weltweit 200 Millionen Kinder auf der Straße. Keines von ihnen ist ein Kubaner", versichert ein großes Plakat an der Playa de Ancon südlich der Stadt Trinidad. Mag sein, wir werden es bei unserem kurzen Aufenthalt nicht überprüfen können. Unübersehbar aber ist die Armut im ganzen Land. Und für die machen kritische Stimmen nicht nur den Erzfeind USA und die von ihm über Kuba verhängte Wirtschaftsblockade verantwortlich.

Das tun dafür die staatlichen Medien mit unbeirrbarer sozialistischer Rechtschaffenheit. Konkrete Fakten sind der "Granma", "Juventud rebelde" oder wie die Zeitungen sonst noch heißen, wenige zu entnehmen. Am erfolgreichen Voranschreiten der Revolution aber wollen sie bei ihren Lesern und Leserinnen keine Zweifel aufkommen lassen. "Die kubanische Nation ist militant, bereit zum Kampf und sich darin sicher, dass sie schlussendlich ihre Feinde in den Vereinigten Staaten besiegen wird", weiß Granma von einer wirtschaftlichen Erholung und der "Verbesserung der sozialistischen Demokratie" zu berichten.

Auch wer keine inländischen Medien konsumiert, entgeht nicht den Slogans des Castro-Regimes respektive seiner ideologischen Vorkämpfer. Zum einen, weil eine Reise durch Kuba unvollständig wäre ohne zumindest einige Besuche von der Revolution gewidmeten Museen und Gedenkstätten für diverse Märtyrer; schließlich steht das letzte halbe Jahrhundert im Zeichen der 1959 dann erfolgreichen Revolution. Vor allem aber, weil die Sprache allerorts auf Hauswänden und Plakaten beträchtlichen Ausmaßes festgeschrieben sind. "Für die Revolution immer einen Schritt nach vorne" heißt es da, oder "Widerstand leisten und siegen" oder "des Sieges sicher", "dies ist eine Revolution der Siegreichen" und "wir haben geschworen frei zu sein oder zu sterben": Bei einer mehrwöchigen Reise ergibt sich eine beachtliche Sammlung von Sprüchen.

Und überall ist Che Guevara, der argentinische Arzt, der zum "heroischen Guerillero" der kubanischen Revolution wurde. "Im Herzen des Volkes" ist er ohnedies, wie Plakate versichern, daneben aber auch auf Postern an Zimmerwänden (wie wir mit neugierigen Blicken durch offene Fenster feststellen können), auf Bildern an diversen Arbeitsplätzen, wie etwa in der alten Tabakfabrik in Trinidad und auf gut der Hälfte aller Ansichtskarten sowie T-Shirts und damit wirklich, überall, also auch in den Touristenhochburgen und den Hotelanlagen entlang der herrlichen Sandstrände.

Das alte Havanna

Die gehören zur anderen Seite der Insel, zusammen mit dem klaren, warmen Meer, den Palmen, der üppigen Vegetation und allem, was es aus der Zeit vor der Revolution zu sehen gibt - Kirchen, Klöster, Paläste und Festungen in spanisch-kolonial geprägten Städten, deren Kerne mancherorts - so in Trinidad und Havanna - von der Unesco zum Weltkulturerbe erklärt wurden. Deshalb auch wird in einigen Straßenzügen im Zentrum der kubanischen Hauptstadt saniert und restauriert, oder es werden, wo die Bausubstanz zu fragil geworden ist, zumindest die alten Fassaden erhalten. Was das alte Havanna einmal für eine wohlhabende Stadt gewesen sein muss (freilich lediglich für einen Teil der Kubaner und in einer Zeit, in der andere Inselbewohner Sklavenarbeit verrichteten), lässt sich noch nachlesen bei dem schon vor Jahren verstorbenen kubanischen Schriftsteller Alejo Carpentier (Mein Havanna, Geschichten über die Liebe zur Stadt, und Le Sacre du Printemps).

Heute besticht gerade der Kontrast zwischen den Vierteln, die genau entlang der wichtigsten Touristenwege erneuert werden, und jenen anderen in unterschiedlichen Phasen des Verfalls, wo die jetzigen Bewohner in die einst mehrere Meter hohen Räume Zwischendecken eingezogen haben, um zusätzlichen Wohnraum zu schaffen. Sie gehören zu denen, die kaum an Dollars herankommen, die mit Pesos überleben und sich durchkämpfen müssen.

Morgen geht die Dollarsuche weiter, wird José andere Fremde lotsen.

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