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Kurs auf die NATO

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„Österreich zur NATO”. Josef Cap ist nicht der erste in der SPÖ, der Klartext in Sachen Sicherheitspolitik redet.

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„Österreich zur NATO”. Josef Cap ist nicht der erste in der SPÖ, der Klartext in Sachen Sicherheitspolitik redet.

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Als sich die Partei Franz Vranitzkys entschloß, dem EU-Beitrittsantrag zuzustimmen, bezeichnete sie die dauernde Neutralität als „den wichtigsten Punkt ihres außen- und sicherheitspolitischen Selbstverständnisses”, zu dem sie „bedingungslos” stehen wolle. Und doch hatte der Bundeskanzler selbst schon 1990 erklärt: Erstaunlich lange und erstaunlich zäh habe sich in Osterreich die Vorstellung gehalten, daß unserem Staat eine „gewisse Sonderrolle zufällt”, aber das „zählt heute nicht mehr. Unser Selbstver-,ständnis kann sich nicht darauf gründen, daß wir anders als die anderen sind”, und so müsse sich Österreichs außenpolitische Bolle „aus einer Solidarität mit den anderen ableiten, um auch Solidarität zurückzuerhalten.”

Das sollte freilich nur gelten, soweit die Neutralität unberührt bleibt, also nicht für den militärischen Bereich. Aber gerade die SPÖ bekennt sich zum Konzept der „umfassenden Sicherheit”, das heißt, zum integrierten Miteinander aller sicherheitspolitischen Aufgaben und Instrumente -mit Recht, weil ja auch die Gefährdungen der Sicherheit komplex und vielfältig geworden sind. Das Beispiel der Friedenssicherung in Bosnien zeigt, daß wirtschaftliche und men-schenrechtspolitische, militärische und verfassungspolitische, kulturelle und polizeiliche Anstrengungen manchmal Hand in Hand gehen müssen. Gerade wer „umfassende Sicherheit” zu seinem Anliegen macht, und wer sich zur staatenverbindenden Solidarität bekennt, darf eigentlich Solidarität nicht dort verweigern, wo das auch militärische Konsequenzen hat.

Österreich hat sich in der Praxis dieser Solidarität nicht entzögen und dabei sogar seine Berührungsängste gegenüber der NATO überwunden: Bun-desheersoldaten nehmen am IFOB-Einsatz in Bosnien teil, und zwar unter NATO-Auto-rität.

So konnten nur naive Gemüter überrascht sein, als nun endlich auch Sozialdemokraten begannen, Klartext zu sprechen. Die Direktheit Josef Caps sollte freilich nicht vergessen machen, daß die offene Aussprache längst begonnen hatte.

Auslöser war die EU-Reform. Schon in Maastricht war 1992 vereinbart worden, daß die anstehende EU-Reform auch den Ausbau der gemeinsamen Sicherheitspolitik und die Verknüpfung der EU mit dem westeuropäischen Verteidigungsbündnis WEU umfassen sollte. Daß Österreich sich dazu eine Meinung bilden müßte, war klar.

Die entscheidende Weichenstellung brachte das Koalitionsabkommen vom 11. März 1996. Dort wurde einerseits die „weitere Konvergenz” von EU und WEU bejaht, und zugleich die Wahrnehmung humanitärer, friedenserhaltender, aber auch friedenserzwingender Aufgaben durch WEU-Kräfte im Namen und Auftrag der Europäischen Union. Andererseits vereinbarten die Koalitionsparteien, daß spätestens bis zum Frühjahr 1998 Klarheit über „alle weiterführenden sicherheitspolitischen Optionen” Österreichs, einschließlich der Frage der WKU-Vollmitglied-schaft, geschaffen werden solle. Die Bundesregierung werde dann „dem Parlament Vorschläge für die erforderlichen Maßnahmen unterbreiten.”

Damit war klar: die Periode des Totschweigens muß beendet werden, und zwar bald -denn sonst könnten die Stimmbürger den Eindruck gewinnen, sie sollten vor vollendete Tatsachen gestellt werden.

So meinte im Juni der SPÖ-Spitzenkandidat für die Wahl zum Europäischen Parlament, Hannes Swoboda: Wenn die Entwicklung der EU zu einer Solidaritätsgemeinschaft weitergehe, käme auch eine gegenseitige Beistandspflicht auf die Tagesordnung, und dann könne die Neutralität in bezug auf die Unionspartner hinfällig werden—jeder von ihnen müßte, wenn ein anderer angegriffen würde, so reagieren, wie wenn er selbst betroffen wäre. Bald daraufschob Swoboda ein Schäuferl nach: Österreich werde auch über einen NATO-Beitritt nachdenken müssen, vor allem dann, wenn es zu einer Einbindung aller europäischen Staaten komme, „in welcher Form auch immer” (also nicht unbedingt in Form der Vollmitgliedschaft...).

Auch Josef Cap meldete sich schon im Juni zu Wort: Der WEU-Beitritt Österreichs sei sinnvoll, wenn „die EU und die WEU als Teil eines großen europäischen Friedens- und Sicherheitsprojektes verstanden werden”. Natürlich erging er sich dabei nicht in bloßen Spekulationen: Seit anderthalb Jahren ist man in der OSZE -der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, die über 50 Staaten umfaßt, von Kanada und den USA bis hin zu allen Nachfolgerepubliken der Sowjetunion - dabei, eben diesem umfassenden „großen Projekt” Konturen zu geben, unter dem Titel eines „Sicherheitsmodells für das 21. Jahrhundert”. Schon jetzt ist klar, daß die überwältigende Mehrheit der OSZE-Staaten,

Ist es so schwer, sich von alten Vorstellungen freizumachen? auch der osteuropäischen, die Ausweitung der NATO ebenso bejaht wie deren Weiterentwicklung zum Hauptträger der europäischen Friedens Verantwortung, zusammen mit der Europäischen Union und mit der OSZE selbst. Einig ist man sich auch darüber, daß eine besondere Partnerschaftsbeziehung mit Bußland gefunden werden muß. Die NATO selbst hat kürzlich in Berlin Beschlüsse gefaßt, die ihr die Anpassung an die neue Bolle ermöglichen. Die Signale sind eindeutig, und nicht erst seit heute.

Warum das Zögern? Einfach weil es schwer ist, sich von veralteten Vorstellungen frei zu machen? Oder- weil man den Bürgerinnen und Bürgern nicht zutraut, daß sie die Zeichen der Zeit erkennen?

Ein Vertreter des „alten Denkens” hat kürzlich gemeint, die Neutralität sei noch immer ein „nationaler Konsens” (Johannes Voggenhuber am 20. Juli 1996 im stani >ard). Aber tatsächlich kann von „Konsens”, von Einhelligkeit, keine Rede sein. Es gibt Befunde, daß 79 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher eine gemeinsame Verteidigungspolitik befürworten (Standard, 28. März 1996, Seite 4), und man hat auch schon erfragt, daß 56 Prozent eine gemeinsame Verteidigung im NATO-Verband für sinnvoll halten - nur 30 Prozent plädierten für eine „eigene Verteidigung ohne NATO-Mitglied-schaft” (Standard, 9. Mai 1996, Seite 1). Freilich: Wer nach der Neutralität fragt, bekommt immer noch eine Ja-Mehrheit, auch wenn diese mehr und mehr schrumpft.

Diese Widersprüchlichkeit spricht nicht gerade dafür, daß eine Volksabstimmung zu durchdachten Entscheidungen führen würde. Aber man muß den Österreichern zugute halten, daß die Politiker lang genug der Unklarheit und der Inkonsequenz Vorschub geleistet haben: Sogar Begierungsmitglieder haben allen Ernstes behauptet, WEU-Mitgliedschaft und dauernde Neutralität seien miteinander vereinbar. Was natürlich nicht stimmt.

So wäre es zuerst einmal nötig, offen darzulegen, welche Möglichkeiten Österreich hat, um seinen Sicherheitsinteressen gerecht zu werden und um der Isolation zu entgehen.

Es gibt die berühmte Dreischritt-Formel „Sehen, Urteilen, Handeln”. Daß das endlich beherzigt wird, anstelle des Rezepts „Totschweigen, Vernebeln, Lavieren”, ist gut so.

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