„Kurzfristige Projekte bringen die SPÖ nicht weiter“

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Sieglinde Rosenberger ist Professorin für Politikwissenschaft an der Universität Wien. Mit der Furche sprach Rosenberger über die Gründe der sozialdemokratischen Wahlniederlagen und mögliche Lösungsansätze.

Die Furche: Die Sozialdemokratie verliert in Österreich und Europa Wahl um Wahl. Welche gesellschaftlichen Gründe gibt es dafür?

Sieglinde Rosenberger: Die Sozialdemokratie definiert sich mehr als andere Parteien über das Kollektiv: Die Gewerkschaft, der stark organisierte Arbeitsplatz, generell die strukturierte Arbeitswelt sind besonders wichtige Faktoren für die Partei und auch für die Identität ihrer Mitglieder. Mit der Individualisierung und Entsolidarisierung der Arbeitswelt verlieren die Arbeitenden zunehmend ihre Identität, aber gleichzeitig auch die Sozialdemokratie.

Die Furche: Sollte die SPÖ gegen diesen Trend ankämpfen?

Rosenberger: Man kann nicht einfach zu alten Werten zurückkehren, wenn es diese Basis gar nicht mehr gibt – das Proletariat und die dort gelebte Solidarität gibt es nicht mehr. Die SPÖ und generell die Sozialdemokratie muss die Individualisierung stärker adressieren und da auch Antworten finden.

Die Furche: Kann sie das, indem sie sich der sozial Schwachen annimmt?

Rosenberger: Wenn sie dabei die sich ändernde Realität wahr- und annimmt. Untersuchungen in den USA haben beispielsweise ergeben, dass sich sozial Schwache nicht als solche definieren wollen. Wenn nun also die SPÖ ein Wahlplakat schaltet „Für die Schwachen“, dann geht das an der Sehnsucht der Angesprochenen vorbei.

Die Furche: Das Ausländerthema erscheint einigen ein probates Mittel gegen Wählerschwund zu sein.

Rosenberger: Das ist insofern gefährlich, als dieses Thema einerseits eindeutig durch die FPÖ besetzt ist. Aber darüber hinaus ist es auch eine Sache der Glaubwürdigkeit, wenn eine Partei, die sich historisch immer über Solidarität definiert hat, nun plötzlich der Entsolidarisierung das Wort redet.

Die Furche: Der SPÖ-Historiker Wolfgang Maderthaner sieht einen Grund für den Niedergang auch in den sich auflösenden Sozialstrukturen der Partei. Deshalb auch der Wählerschwund bei der Jugend.

Rosenberger: Das ist sicher ein interessanter Ansatz. Es ist möglich, dass der zunehmend kostenintensive Medienwahlkampf, wie er in den vergangen Jahren betrieben wurde, gerade die wichtigen Basiseinrichtungen finanziell ausgehungert hat.

Die Furche: Was braucht die SPÖ am dringensten, um die nächsten Jahre zu überstehen?

Rosenberger: Sie müsste eine Vision für die Zukunft der Gesellschaft zu entwickeln, wenn sie als mittelgroße Partei Erfolg haben will. Diese kurzfristigen Projekte bringen die SPÖ nicht voran, sondern verwirren eher – siehe die Ausländerdiskussion. Aber ich bezweifle, dass der Partei soviel Zeit bleibt.

* Das Gespräch führte Oliver Tanzer

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