Lafontaines Schatten

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Jetzt kann sich die Linke nicht mehr hinter Oskar Lafontaine verstecken, schreibt die „Frankfurter Rundschau“ – und ist froh darüber.

Das dürfen wir Gregor Gysi glauben: „Es tut ausgesprochen weh.“ Der Abgang von Oskar Lafontaine versetzt dem kleinen Anwalt und seinen großen Plänen einen schweren Schlag. Im Westen verliert die Linkspartei ihre wichtigste Stütze, und niemand weiß, wie sie in diesem Zustand die Balance halten soll. Lafontaine wird es mindestens ebenso wehtun. Nach menschlichem Ermessen entspricht es der Wahrheit, dass er sich nicht gern, sondern ausschließlich aus Gesundheitsgründen nach Saarbrücken zurückzieht […]. Politisch allerdings könnte sich dieser Schritt auch als nützlich erweisen für die Partei.

Gysi hat auch dann recht, wenn er sagt, dass es ohne „den Oskar“ die gesamtdeutsche Linkspartei so nicht gäbe. Genau darin liegt allerdings ihre entscheidende Schwäche. So klug es war, dem Protest gegen Hartz IV, Rente mit 67, Lohndumping und Krieg eine Stimme zu geben – für solche Erfolge, wie sie in den vergangenen Jahren eingefahren wurden, hätte das nie und nimmer gereicht. Einen großen Teil ihrer Stärke bezog die Linke, zumal im Westen, aus zwei Faktoren, die sie selbst nur sehr begrenzt beeinflussen konnte: der Empörung über den Agenda-Kurs der SPD – und Oskar Lafontaine, der diese Empörung und die Abkehr von der Sozialdemokratie verkörpert(e) wie kein zweiter.

Genügt nicht: Agenda-Frust + Lafontaine = Wahlerfolg

Auf Dauer aber hätte die Gleichung „Agenda-Frust plus Lafontaine gleich Wahlerfolg“ nicht genügt, um die Linke im gesamtdeutschen Parteiensystem zu etablieren. Irgendwann wäre sie ohnehin nicht daran vorbeigekommen, sich jenseits des Protests positiv zu definieren. Und dass die politische Karriere eines Oskar Lafontaine endlich sein würde, musste auch ohne die Erkrankung jedem klar sein. […] Die Fronten im nun bevorstehenden Streit verlaufen, da hat Lafontaine recht, keineswegs simpel. Ost-Realos gegen West-Fundis – in solchen Schlagworten steckt höchstens ein sehr kleiner Teil der Wahrheit. Sicher: Im Osten ist man Volkspartei, und in der Anhängerschaft gibt es nicht viele enttäuschte Sozialdemokraten. Hier fällt das Koalieren leichter, Kompromisse inklusive. Aber es stimmt auch, dass die angeblichen Fundis im Saarland oder in Hessen nicht weniger gern regiert hätten.

Gefragt: politische Identität, ein „Markenkern“

Viel wichtiger als plakative Zuordnungen ist etwas anderes. Die Linkspartei steckt in genau dem Prozess der Parteiwerdung, den Lafontaine so fürchtet. Sie will nicht „etabliert“ sein und etabliert sich doch von Wahl zu Wahl mehr. Sie will regieren, auch Lafontaine will das, aber sie weiß nicht, ob sie dabei ihr Gesicht verliert. Sie will sich links der Sozialdemokratie profilieren, weiß aber nicht, wie sie sich von der SPD unterscheiden soll, wenn die sich von den schlimmsten Agenda-Fehlern trennt und wieder linkes Profil gewinnt. Es gibt gegen diese Unsicherheit nur ein Rezept, das im Übrigen für alle Parteien gilt. Überzeugen werden auf Dauer nur diejenigen, die eine politische Identität besitzen, einen – wie es in der Linken so kapitalistisch heißt – „Markenkern“, der aus mehr besteht als einem vielfachen „Nein“. Eine Identität, die durch notwendige Koalitions-Kompromisse nicht verlorengeht.

Die Epoche, in der die Linke die Enttäuschungen vieler Ostdeutscher mit dem Protest gegen die Agenda-SPD gesamtdeutsch vereinte, geht ihrem Ende entgegen. Jetzt, früher als erwartet, darf und muss die Partei beweisen, ob sie werden kann, was zu sein sie schon behauptet: ein notwendiges und dauerhaftes, demokratisches Projekt jenseits der SPD. Davon ist bisher wenig zu sehen – und ab sofort kann sich niemand mehr verstecken hinter Oskar Lafontaine.

Frankfurter Rundschau, 25. 1. 2010

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