Land der Länder, häuptlingsreich

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Warum der hiesige Föderalismus zwar gut "fürs Gemüt", aber der Bundesstaat ein "mentales Problem" ist: Über das Länder-Bewusstsein der österreichischen Bevölkerung.

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Warum der hiesige Föderalismus zwar gut "fürs Gemüt", aber der Bundesstaat ein "mentales Problem" ist: Über das Länder-Bewusstsein der österreichischen Bevölkerung.

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"Ost ist Ost, West ist West, sie werden nie zueinander kommen", schrieb einst der in Indien geborene, englische Schriftsteller Rudyard Kipling. Harte Worte, zumal in Zeiten von Koalitionsverhandlungen, in denen zwar nicht mehr die "fokussierte Unintelligenz" des Wahlkampfs (© Michael Häupl), aber eine umso fokussiertere Vehemenz der Länder herrscht. Vorerst sieht es noch gut für sie aus: Salzburg, Oberösterreich, das Burgenland und die Steiermark sitzen in Person ihrer Landesspitze selbst am Wiener Pokertisch und feilschen - in geistiger Gegenwart von Erwin Pröll und Michael Häupl - um Regierungsposten.

So etwas gefällt nicht allen - am allerwenigsten Journalisten. "Jeder mischt mit, keiner trägt Verantwortung. In einem chaotischen Treiben verschleudern Bundesstaat, Länder und Gemeinden Milliarden", hieß es am 2. November 2009 unter dem Titel "Land der Zwerge" im Standard. Aber vielleicht ist das alles nur Klischee -wie so vieles, was man sich von Österreichs Bundesländern erzählt.

Die Gemeinsamkeit: Länder-Sympathie

Laut einer Studie von Fessel-GfK aus dem Jahr 1996 leben etwa nicht im Heiligen Land Tirol die meisten Menschen, die sich als "sehr religiös" bezeichnen, sondern vielmehr im Burgenland (57 Prozent). Die meisten "eher Konservativen" finden sich wiederum in Niederösterreich (46 Prozent), während in Tirol die meisten "eher Liberalen" hausen (64 Prozent). Fragt man hingegen danach, welcher Ebene sich die Menschen emotional am stärksten zugehörig fühlen, so zeigt sich Altbekanntes: 42,7 Prozent der Tiroler fühlen sich laut einer Umfrage von Plasser/Ulram aus dem Jahr 2009 bevorzugt ihrem Bundesland verbunden, gefolgt von Kärntnern (35,1) und Vorarlbergern (29,4). Am wenigsten sind es mit 6,3 Prozent in Wien.

Was alle eint, ist eine generelle Länder-Sympathie. Die Aussage "Wir brauchen die Bundesländer nicht mehr, weil sich EU und Bund mit den wichtigen Dingen befassen", wurde bei der Föderalismus-Umfrage 2009 von 80 Prozent abgelehnt. Zugleich plädieren nur 60 Prozent dafür, den Ländern mehr Einfluss zu geben. Spätestens hier zeigt sich das "mentale Problem"(Peter Bußjäger) des Bundesstaates. Für die Österreicher, so der Staatsrechtler Ewald Wiederin, sei der Föderalismus einfach etwas "fürs Gemüt".

Das kann man wohl sagen - besonders in Tirol. Die komplexe Tiroler Identität, meinte der frühere Landeshauptmann Wendelin Weingartner 1996, gehe auf eine "gewisse Einzigartigkeit" zurück - geboren aus dem ewigen Zwang, sich zu wehren. "Die Tiroler sind ja weder eine Nation noch eine Ethnie, aber sie sind ohne Zweifel ein Menschenschlag", so Weingartner.

Ähnliches gilt für das vom "Alemannenmythos" geprägte Vorarlberg, das sich bis heute lieber gen Westen orientiert. Noch verzwickter sieht es in Kärnten aus. "Jenen Stellen der politischen Kultur, die anderswo durch Religion oder Ideologie besetzt sind, werden in Kärnten von den Werten ,Landesbewusstsein' und 'Heimattreue' ausgefüllt", so der Historiker Helmut Rumpler. Das schwierige Verhältnis zum Staat basiere auf der Empfindung, 1918/20 bei Abwehrkampf und Volksabstimmung von Österreich "im Stich gelassen, wenn nicht verraten" worden zu sein. Ein ideales Biotop für unendliche Ortstafelgeschichten, oberösterreichische Erlöser-Figuren und CSU-artige Parteigebilde.

Das Gegenstück verkörpert übrigens Niederösterreich: Erst 1965 mit einer eigenen Landeshymne gesegnet, erhielt man 1975 zur Stärkung des Landesbewusstseins sogar einen eigenen "Niederösterreich-Fonds" verpasst. Und irgendwann kam dann Erwin Pröll. Mit dieser Strategie ist man bislang gut gefahren: Wie in Wien funktioniert auch in Niederösterreich die Elitenrekrutierung und Regierungsbeschickung tadellos.

Auch bei den laufenden Koalitionsverhandlungen wird es wieder so sein - und die im Westen werden einmal mehr über "die in Wien" lamentieren. Vielleicht sollten sie sich zum Selbstschutz lieber eine Sentenz aus Goethes "West-östlichen Divan" vor Augen halten: "Wer sich selbst und andere kennt, / Wird auch hier erkennen: / Orient und Okzident / Sind nicht mehr zu trennen."

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