Lange Schatten der eisernen Lady

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Das berüchtigte "Sommerloch": Journalisten europaweit auf der Suche nach Themen. Keine Sorgen hatten heuer die britischen Medien: Die Torys lieferten jede Menge Stoff für Stories.

Zunächst wurde im Juli Jeffrey Archer, schillernder Partylöwe, Bestsellerautor und ehemaliger stellvertretender Tory-Parteichef, wegen Meineids vor Gericht ins Gefängnis geschickt. Im August beherrschte der innerparteiliche Wahlkampf um den Parteivorsitz die britischen Gazetten. Seit der vernichtenden Wahlniederlage bei den Unterhauswahlen im Juni und dem nur konsequenten Rücktritt des glücklosen William Hague ist die Partei führungslos. In einem ersten Wahlgang hatte die Parteibasis den als chancenreichen Herausforderer Tony Blairs eingeschätzten, ehemaligen Verteidigungsminister Michael Portillo überraschenderweise aus dem Rennen geworfen.

Am 12. September müssen sich die rund 300.000 Tory-Mitglieder nun entscheiden, ob sie die Zukunft ihrer Partei in die Hände des rechtskonservativen, europafeindlichen Ian Duncan Smith oder des moderaten, europafreundlichen Ex-Schatzkanzlers Kenneth Clarke legen. Der Ausgang der Wahl ist offen. Allerdings vergeht kein Tag, an dem nicht ein Skandal, eine Indiskretion oder die noch immer einflussreiche Ex-Premierministerin Margaret Thatcher die Kandidatenkür belastet.

Augenblicklich ist die Bilanz beider Kandidaten ausgeglichen. Kenneth Clarke steht unter dem Verdacht, als Vizepräsident des weltweit zweitgrößten Zigarettenkonzerns British American Tobacco (BAT) vor einem Ausschuss des Unterhauses gelogen zu haben. Gegenstand der Untersuchungen war der Schmuggel unverzollter Zigaretten nach Osteuropa, Asien und Lateinamerika. Während sich nach Recherchen des liberalen "Guardian" die Hinweise verdichten, dass BAT den Zigarettenschmuggel bewusst gefördert habe, hat Clarke vor dem Unterhaus und gegenüber der Presse wiederholt bestritten, von derartigen Firmenstrategien gewusst zu haben.

Ian Duncan Smith, im Schattenkabinett Hagues als Verteidigungsminister vorgesehen, wurde nachgewiesen, dass ein mittlerweile aus der Partei verbanntes Mitglied seines Kampagnen-Teams enge Kontakte zur rechtsradikalen British National Party pflegte. Zudem soll einer seiner Anhänger als Angestellter eines Meinungsforschungsinstituts eine Umfrage zuungunsten Clarkes manipuliert haben.

Sieht man von diesen diskreditierenden Fehltritten ab, stehen die Torys vor einer bedeutsamen Richtungsentscheidung. Es geht um die Rückeroberung der politischen Mitte, um Europa und noch immer um das Verhältnis zur politischen "Übermutter" Margaret Thatcher. Eigentlich ist nur dem stets kampfeslustigen Cambridge-Absolventen Clarke eine Erneuerung der Partei zuzutrauen. Doch dessen hemdsärmeliges, europa-freundliches und Thatcher-kritisches Auftreten missfällt klassischen Konservativen - kein Wunder, gilt die mit einem Durchschnittsalter von knapp 65 Jahren völlig überalterte Partei doch als reichlich modernisierungsresistent.

Als Oppositionschef will Clarke die Labour-Regierung in der Wirtschafts-, Bildungs- und Gesundheitspolitik attackieren um verschreckte Tory-Wähler zurückzugewinnen. Auf allen drei Gebieten kann er Regierungserfahrung vorweisen, ohne allerdings - mit Ausnahme des Schatzamtes - geglänzt zu haben. Bei einer Wahl Clarkes droht Konservativen bei dem bevorstehenden Euro-Referendum aber eine Zerreißprobe, da dürfte ihr Vorsitzender nämlich mit Blair für, die Mehrheit der Partei aber gegen die Einführung der Gemeinschaftswährung stimmen.

In diesem Fall hätten es die Torys mit dem ehemaligen Offizier und Geschäftsmann Duncan Smith einfacher. Er vertritt eine klare Polarisierungsstrategie, stellt sich deutlich gegen den Euro und die Politik der Labour-Regierung. Ob der als mäßiger Redner bekannte Duncan Smith jedoch die Ausstrahlung besitzt, sowohl die eigene Partei hinter sich vereinen als auch die den Torys verlorengegangenen sechs Millionen Wähler zurückzugewinnen, ist mehr als fraglich.

Wie bei allen Diadochenkämpfen schwebt über der Kampfesszene der Geist der vergangenen Epochen. In diesem Fall ist die Heldin der Vorzeit quicklebendig und kampfeslustig. In einem Brief an den konservativen "Daily Telegraph" unterstützte Margaret Thatcher kürzlich Duncan Smith und warnte vor Clarke, der die Partei in "ein Desaster" führen werde. Das rief Clarke-Freund und Thatcher-Nachfolger John Major aus der Versenkung.

In einem Rundfunk-Interview kritisierte Major erstmals öffentlich, dass Thatchers illoyales Verhalten während seiner Regierungszeit großen Schaden angerichtet hätte. Thatcher hätte vor der Abstimmung über den Maastricht-Vertrag unter jungen Tory-Abgeordneten dafür geworben, im Unterhaus gegen das von ihm unterzeichnete Abkommen zu stimmen. Zu diesen Nachwuchspolitikern zählte auch Ian Duncan Smith, der elf abweichende Voten zugab, sein Verhalten mit Verweis auf den ebenfalls nicht immer linientreuen Winston Churchill rechtfertigte. Der historische Vergleich beeindruckte kaum und hielt Major nicht davon ab, seiner Partei entschieden von einem "derart rechtslastigen und unzuverlässigen" Politiker abzuraten. Ganz gleich wie die Wahl ausgeht - die Führungskrise der britischen Konservativen und der Streit über Europa wird anhalten. Tony Blair wird es nicht stören. Sollte es der Labour-Regierung gelingen, das Vereinigte Königreich endlich in die Euro-Zone zu führen, dürfte die augenblickliche Schwäche der Tories auch gut für Europa sein.

Der Autor ist freier Journalist

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