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Laßt die Krankenkassen!
Ja, nun sind wir also soweit. Die letzten Verteidiger der Krankenkassen wollen sie im Stiche lassen und durch den „Staatlichen Gesundheitsdienst“ ersetzen. Sollte das damit Zusammenhängen, daß die Kassen am 30. März nächsten Jahres ihren 72. Geburtstag feiern werden — das 1. Oesterreichische Krankenversicherungsgesetz trägt das Datum 30. März 1888 — und man daher meint, daß Institutionen solchen Alters für jeden Fall abbruchreif seien, gleichgültig, ob sie sich noch bewähren oder nicht? Und auf einmal behauptet man, übrigens durch nichts bewiesen, die Kassen ließen sich überhaupt nicht mehr sanieren, und dies gerade in einem Augenblick, da es sich deutlich zeigt, daß sich die Einführung der 5-Schilling-Krankenschein- und der erweiterten Medikamentengebühr (2 S pro Packung statt pro Rezept) fruchtbar auswirken. Die erwartete Bremswirkung ist also tatsächlich eingetreten. Aber nicht nur das, die Kassen selbst haben im Laufe des letzten Jahres intern ein radikales Ersparnisprogramm durchgeführt. Tatsächlich hat sich die finanzielle Lage der Kassen gebessert, und wenn man ihnen nun, was ja von den beiden großen Parteien bereits anläßlich der Regierungsbildung beschlossen wurde, noch mit einem Bundesbeitrag zu Hilfe kommen will, dann ist der Moment nicht fern, da die Kassen wieder eine annähernd ausgeglichene Gebarung aufweisen werden. Ein derartiger Beitrag wäre übrigens kein Geschenk, sondern nur eine gerechte Entschädigung für jene Aufgaben, die die Kassen für den Staat und die Rentenversicherungsträger übernommen haben.
Es besteht also sicherlich kein Anlaß dazu, jetzt auf einmal einen staatlichen Gesundheitsdienst zu propagieren. Gewiß, er ist in der freien Welt bereits in Großbritannien und Nordirland verwirklicht worden, aber dort hat er im Vorjahr rund 626 Millionen Pfund gekostet, das sind 45 Milliarden Schilling, Auch auf unsere Größenverhältnisse umgerechnet ergäbe dies Beträge, die wir uns gegenwärtig finanziell nicht leisten können. Die Krankenversicherung ist heute noch immer die billigste und verläßlichste Form der Betreuung der Volksgesundheit. Gewiß gibt es auch jenseits unserer Ostgrenzen staatliche Gesundheitsdienste, aber — soll man dort frohlockend sagen, daß wir das von ihnen abgeschaut haben?
Nqch eines: Man bespricht die beabsichtigten Reformen auf dem Gebiete der Krankenversicherung mit den Versichcrungsfachleuten, den Aerzten. den Arbeitgebern und mit weiß Gott wem noch, hat man ab-r schon die Versicherten,
derentwegen doch die ganze Institution geschaffen wurde, jemals um ihre Meinung darüber gefragt? Was meinen denn diese. Versicherten? Sie haben eingesehen, daß es unter ihnen eine gewisse Zahl verantwortungsloser Elemente gibt, die die Kassen ausbeuten wollen; sie haben daher widerspruchslos die Krankenschein- und die erhöhte Rezeptgebühr auf sich genommen und freuen sich, daß dadurch tatsächlich der Mißbrauch gebremst wird. Sie holen sich heute in großen, modernen, luftigen Gebäuden ihren Krankenschein. Sie anerkennen es, daß sie heute an den Schaltern von höflichen und informierten" Beamten nach ihrem Begehr befragt werden. Das war nicht immer so.
Und was sagt der „unbekannte Versicherte“ zu den Aerzten? Er ist mit ihnen zufrieden und hat nicht das Gefühl, hinter den Privatpatienten — die soll es tatsächlich dann und wann geben — zurückzustehen.
Schließlich die Medikamente — was da an immer neuen Präparaten mit einer Riesenpropaganda auf den Markt gebracht wird, wie man da den Aerzten ständig in den Ohren liegt, hat die Grenzen des noch Möglichen längst überschritten. Daß man da von Staats wegen prüfend, regulierend und reduzierend eingreifen muß, ist verständlich.
Wir wollen schließen. Es ist möglich, daß einer in dem und jenem anderer Meinung ist. Am Ganzen ändert es wohl nichts. Laßt also alle überflüssig,en Reformen, gebt den Krankenkassen, was ihnen gebührt, dann werden auch wir bekommen, was wir brauchen.
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