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Über die Lage im Sudan weiß er bestens Bescheid: Der italienische Salesianer-Frater Jim. Seit 1992 kümmert er sich um notleidende Christen und Muslime im größten Land Afrikas.

Am 9. Juli soll es zur Teilung des Sudans kommen. Daraus ergeben sich zahlreiche Herausforderungen für Politik, Bevölkerung sowie die Arbeit der Salesianer im Sudan. Einer von ihnen ist Bruder Jim.

Die Furche: Bei der Volksabstimmung Ende Jänner sprachen sich 98 Prozent der Bevölkerung für die Unabhängigkeit des vorwiegend christlich geprägten Süd-Sudan vom muslimisch geprägten Norden des Landes aus. Wie haben Sie diesen Tag erlebt?

Br. Jim: Für die Bewohner des Süd-Sudan war dieses Ergebnis eine Riesenfreude! Sie hätten diese Menschen tanzen sehen sollen! Hätten hören sollen, wie sie Gott danken. Nach 20, 25 Jahren Bürgerkrieg kennen viele der Bewohner nur ein Leben, das von Angst und Gewalt geprägt ist. 25 Jahre sind fast eine Generation. Viele haben auch ihr ganzes Leben in Flüchtlingscamps verbracht. Und sie haben so viel Schreckliches erlebt! Ihre Augen haben Dinge gesehen, die kein Mensch jemals sehen sollte. Und diese Bilder bekommen sie nicht aus ihren Köpfen. Dieses Gefühl jetzt nach dem Referendum, frei und unabhängig zu sein, es ist einfach unbeschreiblich!

Die Furche: Der Sudan ist das größte Land Afrikas. Zwischen dem Norden und dem Süden gab es bewaffnete Auseinandersetzungen, ebenso innerhalb der im Norden gelegenen Provinz Darfur. Und in Abyei dauern sie an. Im Lauf der jahrzehntelangen blutigen Kämpfe sind mehr als zwei Millionen Menschen getötet worden; weitere Millionen sind auf der Flucht. Vor dem Referendum waren Hunderttausende im Norden lebende Süd-Sudanesen in den Süden gezogen, um ihre Stimme abzugeben. Beobachter hatten mit einem hohen Stimmanteil für die Unabhängigkeit gerechnet - aber auch mit damit einhergehenden gewalttätigen Ausschreitungen.

Br. Jim: Wir müssen Gott danken, dass das Referendum so friedlich abgelaufen ist. Wir haben Ausschreitungen und Gewalt - vor allem im Norden - erwartet. Es gab kleinere Zusammenstöße, aber im Prinzip war es ruhig. Die Kirche hat auf alle möglichen Arten dazu beigetragen. Mit Informationsveranstaltungen und auch mit Gebetsstürmen. Denn es gab die berechtigte Angst, dass Präsident Omar Hassan al-Baschir und der Norden mit Gewalt antworten würden. Die Feuerprobe wird am 9. Juli stattfinden. Alle erwarten jetzt gespannt dieses Datum!

Die Furche: Die jahrelangen Kämpfe zwischen den Regierungstruppen des arabisch geprägten Nordens und der schwarzafrikanischen Volksbefreiungsarmee SPLA wurden vereinfachend oft als religiös motivierter Krieg bezeichnet. Sie bestreiten das.

Br. Jim: Vielleicht weiß die Welt gar nichts davon, aber die Kämpfe in Abyei, der Grenzregion zwischen dem Norden und dem Süden, gehen weiter. Obwohl es ein gültiges Friedensabkommen gibt! Es geht um das Öl. Das Öl ist der Anlass für die bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen dem Norden und dem Süden. Es geht um rein wirtschaftliche Interessen! Die Religionen werden instrumentalisiert.

Die Furche: Wenn es am 9. Juli wirklich zu einer Teilung des Landes kommt, wer wird das neue Land dann regieren?

Br. Jim: Das ist eine sehr gute Frage! Es gibt keine gewachsene politische Elite im Süden. Sie waren alle Kämpfer, Krieger.

Die Furche: Nach Jahrzehnten des Bürgerkrieges ist der Süden ausgeblutet, die Infrastruktur größtenteils zerstört. Wie war die Reaktion der Menschen, die für das Referendum aus dem Norden in ihre alte Heimat zurückgekommen sind?

Br. Jim: Sie sind in ein Land zurückgekommen, in dem alles kaputt, alles zerstört ist. In den Flüchtlingscamps in Khartum hatten sie wenigstens noch ein Dach über dem Kopf, Wasser, die notwendigste medizinische Versorgung und die Kinder manchmal auch die Möglichkeit, in die Schule zu gehen. Im Süden wurde die Infrastruktur während der vergangenen Jahre völlig zerstört. Dort gibt es nichts. Ein weiteres Problem sind die unzähligen Landminen, die noch herumliegen und eine Aussaat in einigen Gebieten unmöglich machen. Sie verstümmeln, töten und richten unendliches weiteres menschliches Leid an. Zu all dem kommt die Gefahr, dass in dieses Vakuum jemand kommt und sagt, dass alles besser wäre, wenn er und seine Leute an der Macht wären. Ein fruchtbarer Boden für Islamisten.

Die Furche: Ein weiterer Krisenherd innerhalb des Sudan ist die westsudanesische Provinz Darfur. Seit dem Jahr 2003 wurde die schwarzafrikanische Bevölkerung von arabischen Janjaweed-Milizen verfolgt, die von der Regierung unterstützt werden. Der im Jahr 2004 auf internationalen Druck geschlossene Waffenstillstand wird bis heute immer wieder gebrochen.

Br. Jim: Alle sind sich mehr oder weniger einig, dass seit 2003 mehr als 500.000 Menschen getötet wurden und mehr als 2 Millionen Flüchtlinge ihre Heimat verlassen haben. Und die Kämpfe gehen weiter! Auch in Darfur ist es kein religiös motivierter Krieg. Die verfeindeten Parteien sind alle Muslime. Wie in Abyei sind es wirtschaftliche Interessen. Auch in Darfur geht es um Öl. Viele Länder interessieren sich dafür. Darfur möchte vor allem die Unabhängigkeit, aber die Provinz möchte auch die Erträge aus den Ölfeldern.

Die Furche: Katholische Orden wie die Salesianer Don Boscos haben im Sudan Schulen gegründet und Krankenhäuser gebaut. Vor allem im muslimisch geprägten Norden haben sie eigene Projekte für ehemalige Kindersoldaten eingerichtet.

Br. Jim: Diese Kinder! Viele von ihnen haben Grauenhaftes erlebt. Sie mussten mitansehen, wie ihre Eltern und Geschwister gefoltert und ermordet wurden, und auch sie selbst mussten unvorstellbare Grausamkeiten durchführen. In unseren Einrichtungen legen sie ihre Waffen ab und gehen zur Schule, lernen ein Handwerk. Das ist nicht so einfach. Denn immer wieder haben sie "flash-backs“ und an einen geregelten Mathematik-Unterricht ist oft nicht zu denken. Langsam aber lernen sie, dass es auch so etwas wie eine positive Gemeinschaft gibt. Etwas, was sie während ihrer Zeit als Kindersoldaten nie erleben durften. Wir können ihnen ihre gestohlene Kindheit nicht zurückschenken, aber wir können sie fit machen für die Zukunft. Dabei werden wir von der lokalen Regierung im Norden unterstützt, einer muslimischen Regierung.

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