Werbung
Werbung
Werbung

Die Angst hat syrische Bürger aus ihrer Heimat getrieben. Nun leben sie in Lagern in den Nachbarstaaten, wie etwa im Libanon, wo die Caritas hilft.

Gestern haben Ahmet Tahr (alle Namen von der Redaktion geändert), sein Bruder und sein Vater in ihrem Verschlag neun Ratten erschlagen. In der Nacht waren sie gekommen, vermutlich von der nahegelegenen Müllhalde, und hatten seine kleinen Kinder, ein Mädchen von sechs Jahren und einen Buben von sechs Monaten angefallen. Nun schieben die Männer in der Nacht Wache in dem notdürftig gemauerten Viereck, das mit einer mit Autoreifen beschwerten Plastikplane gedeckt ist. Tagsüber versuchen sie bei den Bauern der Umgebung Arbeit als Tagelöhner zu finden, um die Miete für ihre Behausung zahlen zu können. Umgerechnet 260 Euro pro Monat verlangt der Vermieter für die Zuflucht nahe Taalabaya, Libanon. Andere sind noch teuerer.

All das, die Ratten, die Armut, der Wucher, sind für den ehemals syrischen Beamten Tahr immer noch erträglicher als alles, was er und seine Familie zu Hause erleben mussten. Zu Hause, das ist Homs, Stadtteil Baba Amr, 100 Kilometer entfernt von Taalabaya. Dort saßen sie immer wieder oft tagelang dicht gedrängt mit anderen Zivilisten in dunklen Kellern während über ihnen die Mörsergranaten ihre Häuser zerfetzten. Die Angst hat sie aus Homs getrieben, bei Nacht haben sie die Grenze zum Libanon überquert. Taalabaya ist für sie ein Ort des Übergangs. Irgendwann, so hoffen Tahr und seine Angehörigen, werden sie wegziehen von hier - nach Hause - irgendwann.

Aus der Geisterstadt

Baba Amr ist nun ein Geisterviertel in der ehemals über 600.000 Einwohner zählenden Stadt Homs. 700 Bewohner von Baba Amr wurden nach Angaben von Human Rights Watch bei den Kämpfen getötet, Zehntausende sind geflohen. Als die UN-Beob-achterin Valerie Amos vor wenigen Wochen Homs besuchte, sah sie "vollkommene Zerstörung“, über 9.000 Menschen, so schätzen die UNO-Beobachter, sind seit Beginn der Kämpf in Syrien getötet worden, 35.000 verschwanden in den Kerkern des Regimes, wurden gefoltert, Dutzende ermordet. Die Rebellen scheinen demgegenüber nur unwesentlich milder. Erpressung, Bombenattentate in Großstädten, Plünderungen stehen an der Tagesordnung. So macht der Krieg selbst die Zustände in Taalabaya erträglich.

Bashar al Assad war nie in Taalabaya. Der Präsident Syriens sitzt in Damaskus und lässt sich zu dem Krieg befragen, der gegen ihn geführt wird, an diesem Samstag von der ARD: "Die meisten Opfer dieses Konflikts gehören zu den Unterstützern der Regierung“, sagt er, "sie wurden von verschiedenen Banden getötet.“

Wenn das stimmt, dann müssen die Verbrecher viele Panzer gehabt haben, als sie Homs überfielen. Per Satellitenbild lassen sich über 1000 Stellen ausmachen, wo nachweislich Artilleriegranaten eingeschlagen haben. Die Häuser sind Betongerippe, die Fassaden kugelzersiebt. Assad nennt den Bürgerkrieg, der seit nunmehr 16 Monaten tobt eine "nationale Herausforderung“, der er sich stellen müsse und "natürlich habe ich die Unterstützung des Volkes“.

Die Türkei, den Libanon und Jordanien erreichen täglich Flüchtlingstrecks, nach Angaben des UNHCR sind es schon über 80.000 Syrer, die über die Grenze gekommen sind. Nur wenige wurden von der Armee oder den Rebellentrupps ungehindert durchgelassen. Viele erzählen von neuen Minenfeldern, auf denen ihre Angehörigen auf der Flucht starben, oder von Angriffen der Armee auf die Konvois.

Zuflucht in der Bekaa-Ebene

Mehr als 10.000 haben in der Bekaa-Ebene Zuflucht gefunden. In provisorischen Zeltstädten, Rohbauten, leerstehenden Ställen, halbfertigen Moscheen, selbstgebastelten Baracken aus Bauabfall und Stoffplanen. Offiziell gibt es die Flüchtlinge von Taalabaya nicht. Der Libanon, der von einer syrienfreundlichen Regierung geführt wird, lehnt die Errichtung offizieller Flüchtlingslager ab, weil damit das Ansehen Assads gefährdet wäre. In Taalabaya hat die Caritas Salzburg zusammen mit anderen internationalen Caritas-Gruppen eine Notversorgungsstelle für die Ankommenden eingerichtet (siehe Bericht rechts oben). "Der Strom der Ankommenden reißt nicht ab“, berichtet Stefan Maier, der Leiter der Auslandshilfe der Caritas Salzburg und Nahostkoordinator der Caritas Österreich. "Die Menschen marschieren oft zwei Tage und eine Nacht, kommen mit Babys und Kleinkindern, ständig in Todesangst.“

Damaskus, am Montag: Der UN-Syrien-Gesandte Kofi Annan zieht nach einem Treffen mit dem syrischen Präsidenten eine positive Bilanz: "Die Diskussion ist konstruktiv verlaufen.“ Er betont, dass es wichtig sei, die Gewalt zu beenden und den Weg einer politischen Lösung einzuschlagen. Im Lauf der Woche wird der UN-Sicherheitsrat erneut zum Thema Syrien beraten.

Daniela Oberti arbeitet für die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen in Jdeideh in der Bekaa-Ebene. Sie berichtet von vollen Quartieren und traumatisierten Flüchtlingen. "Zufällig treffe ich Hamia, eine 20-jährige Frau. Ihre Familienmitglieder sind in großer Sorge um sie. Sie sitzt in zwei Decken eingewickelt in einer Ecke und weint unaufhörlich. Sie redet nicht mehr. Wir erfahren, dass ihr 16-jähriger Bruder tags zuvor getötet worden ist.

In Damaskus dikutieren Generäle und Minister am Dienstag die strategische Lage. Das Regime befürchtet die Einrichtung einer NATO-Flugverbotszone über Homs. Regierungsmedien berichten stolz über Militärmanöver der syrischen Armee. Geübt werden unter anderem, Angriffe von See abzuwehren. Dabei seien auch scharfe Raketen von See und von Land abgefeuert worden. Syriens Armee zählt 420.000 Mann und ist die Zehntgrößte der Welt. Das Militärbudget belief sich 2006 auf über 900 Millionen US-Dollar. 600 Flugzeuge, Kampfhubschrauber, 4200 Kampfpanzer gehören zum Arsenal, dazu 2600 Artilleriegeschütze und über 4000 Flugabwehrraketen.

Shakespeare in Damaskus

Familie Kherat aus Homs hatte Glück. Niemand wurde verletzt als die Familie mit ihren drei Töchtern vor zwei Monaten die Grenze zum Libanon bei Nacht überquerte. Da fanden sie auch noch eine Gratis-Unterkunft in Taalabaya. Nun leben sie kostenlos in einem Keller, feucht und ohne Fenster.

Mit ihnen leben dort auf 40 Quadratmetern 18 Menschen und hoffen, dass bald Frieden sein wird in Syrien. Und dass sie nicht enden, wie jene 10.000 Palästinenser, die unweit von Taalabaya in Lagern wohnen - in die sie ein anderer Krieg vor mehr als 50 Jahren gebracht hat.

Bequem mit gefalteten Händen in seinem Sofa sitzend, antwortet Bashar Assad am Samstag auf die Frage des Journalisten, ob er denn nicht abzutreten bereit sei: "To leave or not to leave, that’s about the Syrian people to answer.“

10.000 Flüchtlinge in der Bekaa-Ebene

Schon zur Zeit der Römer war die Bekaa-Ebene für ihren fruchtbaren Boden bekannt und galt als Kornkammer für den Nahen Osten. Das Hochplateau teilt sich in einen landwirtschaftlich intensiv genutzten Süden und einen wüstenartigen Norden. Die syrischen Flüchtlinge sind in Lagern untergebracht, die sich südlich von Balbeek befinden.Trotz der aufgrund der Höhenlage normalerweise gemäßigten Temperaturen stieg das Termometer im heurigen Sommer auf über 40 Grad im Schatten.

Die internationalen Hilfsorganisationen helfen mit der Verteilung von Lebensmitteln, Hygieneartikeln und Decken (Bild), die zwei Mal in der Woche in Taalabaya verteilt werden. Insgesamt 90.000 Euro hat die Caritas Salzburg schon für ihre Syrienhilfe sammeln können. Da der Flüchtlingsstrom nicht abreisst, dürfte auch ein Teil der Herbstsammlung in die Syrienhilfe gehen.

Die Angst vor der Rache des Regimes

Viele der Flüchtlinge lassen sich nur vermummt fotografieren. Die meisten sorgen sich um ihrer Sicherheit im Falle einer Rückkehr nach Syrien. Der syrische Geheimdienst könnte Rache an den geflohenen Männern, die zum Teil aus der Armee Assads desertiert sind, und ihren Familien nehmen. Die Angst hat sich weiter erhöht, nachdem Bilder von Geheimdienstgebäuden nahe Damskus die Runde gemacht haben, wo Regimegegner zu Tausenden gefoltert werden sollen. Laut UN und Human Rights Watch sind derzeit über 35.000 Syrer wegen politischer Vergehen und Teilnahme an Anti-Regierungsdemonstrationen in über 20 Folterzentren des Regimes interniert.

Unter anderem hätten Mitglieder des syrischen Geheimdienstes Inhaftierten die Fingernägel ausgerissen, sie mit Säure übergossen und mit Gummiknüppeln sowie Kabeln geschlagen, berichtet die Menschenrechtsorganisation.

Wohin und zurück im Bürgerkrieg

Mehrere Tage dauert der Marsch, den die Flüchtlinge aus der Rebellenhochburg Homs zurücklegen müssen, ehe sie die Region südlich von Baalbek in der Bekaa-Ebene erreichen. Seit einigen Tagen gibt es Berichte von systematischer Trennung von Familien, die über die Hauptverkehrswege in den Libanon einreisen wollen. Männlichen Syrern wird der Grenzübertritt erlaubt, der Rest der Familien wird zurückgeschickt. Das hat zu einem sprunghaften Anstieg der illegalen Grenzübertritte über den Antilibanon geführt, einen 150 Kilometer langen im Schnitt 2000 Meter hohen Gebirgszug, der Syrien vom Libanon trennt. Das Gebiet ist nach Berichten von Flüchtlingen teilweise vermint und wird von syrischen Grenztruppen bestreift. Die improvisierten syrischen Flüchtlingslager sind nicht die ersten in der Region. Nach UN-Angaben leben etwa 10.000 Palästinenser in einem Flüchtlingslager südlich von Baalbek. In der gesamten Region gilt eine teilweise Reisewarnung des Außenministeriums. Im März 2011 waren sieben estnische Touristen von unbekannten Tätern bei Balbeek entführt und erst im Juli wieder freigelassen worden.

Bild oben: Der Verschlag, in dem die Familie von Ahmet Tahr bei Taalabaya wohnen muss. In dem teilweise ummauerten Zelt lebt eine Großfamilie von 12 Personen. Um die Miete bezahlen zu können, müssen sich die beiden arbeitsfähigen Männer der Sippe als Tagelöhner verdingen. Auf den Feldern in der Umgebung beträgt der Arbeitslohn pro Tag umgerechnet sieben Dollar. 260 Dollar verlangt der libanesische Vermieter der notdürftigen Baracke. Für Essen und Unterkunft der syrischen Bürger gibt es derzeit nur im Norden des Libanon Unterstützung der syrienfreundlichen libanesischen Regierung.

22 Bataillone gegen Assads Armee

Seit Sommer 2011 haben sich einige tausend desertierte Soldaten auch unter der neuen Freien Syrischen Armee (FSA) zusammengeschlossen. Der provisorische Militärrat der FSA erklärte sich im November 2011 zur "höchsten militärischen Instanz Syriens“. Dem Militärrat sitzt der desertierte Oberst Riad al-Assad vor.

Die Operationsführung sitzt in der türkischen Provinz Hatay nahe der syrischen Grenze und verfügt nach eigenen Angaben über 22 Bataillone von je 300 bis 1000 Soldaten.

Der regulären Armee sind die Rebellen um ein Vielfaches unterlegen. Allerdings dürften sie seit dem Massaker in der Stadt Hula massive Unterstützung nicht nur der sunnitischen arabischen Staaten, sondern auch der USA erhalten. Laut israelischen Angaben stehen der regulären Armee von Präsident Assad auch chemische und biologische Kampfstoffe zur Verfügung.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung