"Leben mit gepackten Koffern"

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Für Herbert Berger war die Flucht aus Chile eine Flucht in die Heimat. Für viele Chilenen war es ein Weg in die Fremde.

Die Furche: Sehen Sie Parallelen zu den Ereignissen, die vor 30 Jahren zum Putsch in Chile geführt haben und der heutigen Krise in Venezuela?

Herbert Berger: Ja, leider: Wie damals in Chile fürchtet heute in Venezuela eine korrupte Oberschicht um ihre Privilegien. 1973 ging es um die Kontrolle der Kupferproduktion, heute ist es das Erdöl. Chávez hat sicher nicht jedes Problem lösen können. Er hat Fehler gemacht, doch zu Hungeraufständen mit Tausenden Toten wie unter den vorigen Regierungen ist es bei ihm nicht gekommen.

Die Furche: Sind Hugo Chávez und Salvador Allende vergleichbar?

Berger: Sie sind sicher vergleichbar in ihrem Bestreben, soziale Gerechtigkeit herzustellen. Die Charaktere sind aber doch sehr unterschiedlich. Chávez kommt aus sehr einfachen Verhältnissen. Seine nicht gerade vornehme Ausdrucksweise wird ihm ja auch von der Oberschicht übel genommen. Allende kam aus der Oberschicht - das hat man wiederum ihm vorgeworfen. Außerdem, Chávez ist ein Militär, das prägt sein Denken. Allende war ein Intellektueller.

Die Furche: Welche eigenen Fehler haben damals den Sturz Allendes beschleunigt?

Berger: Die Uneinigkeit der linken Parteien war sicher ein großer Fehler. Man hätte sich für ein Konzept entscheiden müssen. Heute mit großem Abstand sage ich, dass das Konzept der Kommunisten das realistischere war. Die haben gesagt, wir müssen zu einer Verständigung mit den Christdemokraten kommen, diese aus der Umarmung der Rechten herauslösen. Die Sozialisten hingegen wollten eine sozialistische Revolution.

Die Furche: In ihrem Buch schreiben Sie, dass Ihnen die österreichische Botschaft Hilfe verwehrte.

Berger: Nach dem Putsch war die große Frage: Können wir mit unserer Botschaft rechnen? Der damalige Botschafter stand aber auf Seiten der Putschisten und hat unsere Ängste keineswegs verstanden. Wie dann die Verfolgungen massiv einsetzten, wollten wir gemeinsam mit einem älteren Ehepaar Zuflucht finden, wurden aber hinausgeschmissen. Daraufhin habe ich den damaligen Außenminister Rudolf Kirchschläger angerufen. Er hat schließlich einen Sonderbeauftragten geschickt und erst ab diesem Zeitpunkt ist es gelungen, Flüchtlinge unterzubringen.

Die Furche: Sie schreiben auch, den Chilenen sei es nicht leicht gefallen und sehr oft nicht leicht gemacht worden, in Österreich Fuß zu fassen.

Berger: Bei den Chilenen haben alle damit gerechnet, dass sie in kürzester Zeit wieder zurück können. Die haben nicht gedacht, hier zu bleiben, ihre Einschätzungen der politischen Situation waren zum Teil sehr illusionär. Die haben jahrelang mit gepackten Koffer gelebt. Das hat sie lange daran gehindert, eine Perspektive für hier zu entwickeln.

Die Furche: Ihr Buch heißt "Zerstörte Hoffnung ..." Ist die Hoffnung nie mehr zurückgekehrt?

Berger: Leute, wie wir eben sind, haben die Vorstellung, dass durch eine Änderung des politischen Systems die sozialen Fragen gelöst werden können. Und damals in Chile gab es auch eine ungeheure Begeisterung, jetzt packen wir es, jetzt schaffen wir es. Diese konkrete Hoffnung wurde zerstört. Aber die Hoffnung auf eine bessere Welt - nein, die geben wir wohl nie auf.

Das Gespräch führte Wolfgang Machreich.

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