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Lehren einer Budgetdebatte

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In der Budgetdebatte zum Kapitel „Soziales“ setzte sich lediglich. der Sprecher der Freiheitlichen, Abgeordneter Kindl, für ihre Aufhebung ein und erklärte, daß die vorläufigen Mehrkosten ihrer Aufgabe (120 Millionen Schilling) schon allein durch den Wegfall des enormen Verwaltungsaufwandes bei der Durchführung der Ruhensbestimmungen paralysiert würden. Bekanntlich gibt es Pensionisten, die während eines Jahres bis zu dreimal bei Firmen ein- und austreten, da sie nur bei einem erhöhten Arbeitsanfall von diesen herangezogen werden; das erfordert dann jedesmal eine Neuberechnung der Rente. Abg. Hauser (ÖVP), meinte, man könne nicht für die Lockerung oder gänzliche Beseitigung der Ruhensbestimmungen eintreten, wenn durch die Frühpension weit jüngere Personen vom Arbeitsprozeß weggelockt werden.

— Dazu wäre zu bemerken, daß die Frühpension stets nur von solchen Arbeitnehmern in Anspruch genommen wird, die zwar noch nicht berufsunfähig im Sinne des ASVG, aber doch einfach nicht mehr imstande sind, in ihrem vorgerückten Alter (der Stichtag für die Frühpension liegt ab 1. Jänner 1965 bei Männern, bei der Vollendung des 61., bei Frauen bei der Vollendung des 56. Lebensjahres) mit dem jetzigen Arbeitstempo Schritt zu halten.

— Großes Befremden erregten dann die Ausführungen des Sprechers der SPÖ, der sich im Widerspruch zu dem von seiner Partei eingenommenen Standpunkt gegen die Aufhebung der Ruhensbestimmungen nicht nur aus wirtschaftlichen, sondern auch aus moralischen (!) Gründen wandte, es sei nicht zu rechtfertigen, daß die Gesunden ein volles Einkommen und daneben eine volle Pension bezögen. — Dem Sprecher scheint dabei die Wirklichkeit unbekannt gewesen zu sein: Niemals verbleibt der Pensionist in seiner ursprünglichen Stellung, zu derartigen Gesetzesumgehungen (“ 253 ASVG) gibt sich keine Firma her, sondern der aus seinem Beruf ausgetretene Pensionist sucht sich, weil er mit seiner Rente einfach nicht leben kann, eine kleine, zumeist sehr niedrig bezahlte Nebenbeschäftigung.

In der ersten Sitzung der neugewählten Arbeiterkammer in Wien konstatierte dann Präsident Hille-jreist unter Berufung auf seinen „Mut zur Unpopularität“ mit Befriedigung, daß an eine' Aufhebung oder Lockerung der Ruhensbestimmungen im kommenden Jahr nicht gedacht werde; er selbst sei sogar für ihre weitere Ausdehnung und ihre Anwendung auch bei einem Rentenidoppelbezug, also wenn etwa eine Witwenrente neben einer selbsterworbenen Rente bezogen wird.

Und in diese völlig verfahrene Situation, die den Rentnern schon den Gedanken einer Volksbefragung eingab, platzt nun gleich einer Bombe die Nachricht, daß die Salzburger Landesregierung unter dem Vorsitz von“ Landeshauptmann Doktor Lechner einstimmig beschlossen habe, beim Verfassung&gerichtshof die Uberprüfung der Ruhensbestimmungen des ASVG (“ 94), des GSPVG und LZVG auf ihre Verfassungsmäßigkeit nach Artikel 7 des Bundesverfassungsgesetzes

(Gleichheit-grundsatz) zu beantragen. Es kann nicht der geringste Zweifel darüber bestehen, daß Landeshauptmann Lechner hier der gleiche Erfolg beschieden sein wird, wia dem steirischen Landeshauptmann Krainer im Jahre 1960. Wie damals der Verfassungsgerichtshof über dessen Antrag den 93 ASVG (Rentenkürzung bei Bezug einer Bundespension) aufhob, so wird er jetzt den 94 ASVG als verfassungswidrig erklären. Damit wird eine Bestimmung fallen, durch die etwa ein Sechstel der Gesamtrentneranzahl schwerstens belastet wurde.

Dem Verfassungsgerichtshof steht keine leichte Aufgabe bevor, denn hier geht es um eine Problematik, die nicht mit ein paar Worten abgetan werden kann — die seinerzeitigen Ausführungen zum 93 ASVG ließen es an der notwendigen Akribie durchaus fehlen —, hier müssen Fragen des öffentlichen Versicherungsrechtes (ist eine Bedürftig-keitsprüfung, wie sie die Prüfung der Einkommensverhältnisse des Rentenwerbers darstellt und die in der öffentlichen Fürsorge selbstverständlich ist, überhaupt zulässig?) und der Grundrechte des Artikels 7 (Gleichheitssatz) und des Artikels 5 (Unverletzlichkeit des Eigentums) eingehend erwogen werden. Sollte man uns zu letzterem Punkt entgegnen, daß der österreichische Grundrechtskatalog nur das Privateigentum schützt, so lehnen wir diese Ansicht als völlig veraltet ab und verweisen auf die diesbezügliche Rechtsentwicklung in der Deutschen Bundesrepublik; hier genießen auf dem Boden des öffentlichen Rechtes entstandene, eigentumsähnliche Ansprüche, wie es auch die Rentenansprüche sind, den gleichen Schutz wie die privatrechtlichen Eigentumsansprüche.

Sollte der Verfassungsgerichtshof aber Ruhensbestimmungen an sich in der Sozialversicherung als zulässig erklären (bei der Aufhebung des 93 ASVG hat er das zunächst getan), dann wird er sich fragen müssen, ob die im konkreten Fall getroffene Differenzierung objektiv und sachlich ist und nicht allein in der Person des Betroffenen selbst begründet, subjektiv und daher unzulässig ist. Verletzt es denn nicht den Gleichheitsgrundsatz, wenn ein entgeltliches Erwerbseinkommen zwar das Ruhen des Grundbetrages der Rente zu Folge hat, ein Einkommen aus Miete, Pacht oder Wertpapieren aber nicht?

Der Verfassungsgerichtshof wird weiter zai prüfen haben, ob die Gleichheit aller“ Staatsbürger vor dem Gesetz nicht dadurch verletzt wird, wenn der Bezieher eines öffentlichrechtlichen Versorgungsgenusses (Bundespension) ohne Pensionskürzung jeden Nebenberuf entgeltlich ausüben kann, der ASVG-Rentner aber nicht? Sollte der Verfassungsgerichtshof hier etwa der Meinung sein, daß ein diesbezüglicher Vergleich unzulässig sei, weil es sich hier um eine Versorgung, dort aber um eine Versicherung handle, so würde diese Rechtsanschauung dem Rechtsempfinden der Bevölkerung völlig widersprechen. Auch darf nicht vergessen werden, wieviel Versorgungselemente in unserer Sozialversicherung bereits enthalten sind.

Und der Verfassungsgerichtshof wird sich schließlich mit dem gegenwärtigen Gesetzestext des 94 ASVG befassen und den Absatz 5 desselben, der einen Jahresausgleich zwar für die unselbständig erwerbstätigen Rentner zuläßt, aber nicht für die selbständig erwerbstätigen Sozialpensionisten, mit Sicherheit als dem Gleichheitssatz widersprechend und daher verfassungswidrig bezeichnen. Damit bricht aber der ganze 94 ASVG in sich zusammen und wird unanwendbar.

Wie immer der Verfassungsgerichtshof auch entscheidet, sein Spruch muß für jeden Fall respektiert werden. Es darf niemandem dann etwa einfallen, Ruhensbestimmungen unter der Etikette „Verfassungsbestimmung“ neuerlich einzuführen.

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