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Arbeitslosigkeit - die Gründe dafür, die Maßnahmen dagegen: Darüber debattieren Eva Glawischnig und Reinhold Mitterlehner.

Die Furche: Rekordarbeitslosigkeit in Österreich - eine Folge der weltweiten Konjunkturflaute, oder sind unsere Probleme hausgemacht?

Eva Glawischnig: Natürlich geht die weltweite Krise nicht spurlos an uns vorüber, aber vieles ist schon hausgemacht. Während dem Finanzminister vor einem Jahr noch kein Vorwurf zu machen war, zum jetzigen Zeitpunkt steht seine Mitverantwortung an der Misere außer Frage. Ein Teil der Arbeitslosen kann sich für ihre Situation bei Grasser bedanken.

Die Furche: Woran hat es gefehlt?

Glawischnig: Die Regierung hätte vor einem Jahr ein Konjunkturpaket schnüren müssen. Das haben wir damals gefordert und wurden von der ÖVP als Pessimisten und Krankreder der Wirtschaft abgekanzelt.

Reinhold Mitterlehner: Der Finanzminister und die Regierung sind nicht nur nicht schuld, sondern haben zum richtigen Zeitpunkt die geeigneten Maßnahmen gesetzt. Hätte man nicht gegengesteuert und das Budget saniert, dann wären jetzt gar keine Spielräume für arbeitspolitische Maßnahmen vorhanden. Mit dem Konjunkturpaket, das im März beschlossen und jetzt nachgebessert wurde, hat die Regierung die richtigen strukturpolitischen Weichenstellungen und nicht nur beschäftigungspolitische - wie es die Sozialisten gemacht haben - getroffen.

Glawischnig: Das Konjunkturpaket im Frühjahr war Kosmetik. Ein Staatshaushalt ist kein Haushalt wie man ihn aus dem persönlichen Bereich kennt. Bei derartig dramatischen Anzeichen muss einfach gegengesteuert werden. Das nicht rechtzeitig, bereits vor einem Jahr getan zu haben, ist ein schweres Versäumnis.

Mitterlehner: Wenn es um Infrastruktur, Forschung und Bildung geht, ist Schulden machen gerechtfertigt. Aber in diese Bereiche wurde ja nicht investiert. In den 30 Jahren vor der Wende wurden bei der Bundesbahn - vereinfacht gesagt - keine neuen Schienen gelegt.

Die Furche: In dieser Woche beraten die EU-Sozialminister über Beschäftigungspolitik. Was kann die EU helfen?

Mitterlehner: Europa könnte sich da Amerika zum Vorbild nehmen und genauso im Euro-Raum eine Zinssenkung, von sagen wir einem halben Prozentpunkt, vornehmen. Da erwarte ich mir von der EU stärkere Akzente, aber in Richtung Konjunktur- und nicht in Richtung Beschäftigungspolitik.

Glawischnig: Einer Senkung der Leitzinsen als konjunkturstabilisierenden Faktor kann ich durchaus zustimmen. Mittelfristig geht es den Grünen mit der ökosozialen Steuerreform aber um eine steuerliche Entlastung des Faktors Arbeit. Damit würde die strukturelle Arbeitslosigkeit bekämpft und wir treffen zwei Fliegen mit einem Schlag: Erstens wollen wir eine Senkung der Lohnnebenkosten. Und zweitens wollen wir auf der Umweltseite beispielsweise die Defizite bei der Erreichung des Kyoto-Ziels beheben.

Mitterlehner: Der Vorschlag klingt im ersten Moment ganz großartig. Beim zweiten Hinhören und Nachrechnen ist die Sache aber keineswegs mehr so berauschend.

Die Furche: Woran stoßen Sie sich?

Mitterlehner: Umweltpolitik kann Österreich nicht allein machen. Das geht nur grenzüberschreitend. Natürlich könnten wir als Vorreiter brillieren, aber dazu sind wir zu klein. Die Entlastung der Lohnnebenkosten ist prinzipiell eine gute Sache. Aber nur, wenn gesamtheitlich die Steuer- und Abgabenquote gesenkt und nicht nur von einem Bereich in den anderen umgeschichtet wird. Außerdem belastet die Finanzierung dieses Modells die Industrie. Auch die Klein- und Mittelbetriebe, die nicht substituieren - also einfach gesagt, Maschinen- durch Menschenkraft ersetzen - können, werden benachteiligt. Genauso wie die Pendler, die mit höheren Treibstoffpreisen konfrontiert sind.

Glawischnig: Sehen Sie, das ärgert mich, dass Sie sich das nicht genauer anschauen. Es kommt für Unternehmen nicht auf Einzelsteuern an, sondern auf die Gesamtsteuerbelastung.

Mitterlehner: Die ist ja zu hoch.

Glawischnig: Ich sehe überhaupt nicht ein, dass hier mit internationalem Gleichklang argumentiert wird. Wo doch in Europa bei der Steuerharmonisierung derartig unterschiedliche Niveaus gelten. Außerdem, wie will die ÖVP jemals das Kyoto-Ziel erreichen? Unser Modell haben wir mit vielen Betrieben durchgerechnet. Teilweise sind die Unternehmen demgegenüber schon positiver eingestellt als die Wirtschaftkammer, der Wirtschaftbund oder die ÖVP.

Die Furche: Und der Vorwurf, gerade in einer Zeit, in der Flexibilität gefordert ist, würden Pendler benachteiligt?

Glawischnig: In unserem jetzigen Vorschlag stehen Energieabgaben und LKW-Maut drinnen. Die Pendler würden überhaupt nicht belastet.

Mitterlehner: Der Herr Van der Bellen hat doch neulich in der Pressestunde davon gesprochen, dass man für die Ökosteuer eine Benzinpreiserhöhung um ein paar Cent in Kauf nehmen muss.

Glawischnig: Das ist ein Irrtum: Benzinpreiserhöhung ist für uns kein taugliches Konzept, weil wir können auch logisch denken. Bei Österreich mit seinen langen Grenzen wissen doch alle, dass dann nur der Tanktourismus blüht. Den Transit trifft man damit gar nicht. Denn wenn bei uns der Sprit teuer ist, dann tanken die LKWs in Deutschland oder Italien.

Mitterlehner: Sie rechnen, dass die Mehrbelastungen Ihres Modells durch die Schaffung von Arbeitsplätzen kompensiert werden. Das ist zu bezweifeln, denn man kann das nicht eins zu eins umlegen. Das ist so wie die Gusenbauer-Rechnung: ein Abfangjäger weniger, 2.000 Lehrstellen mehr. So ein Zusammenhang lässt sich nie und nimmer herstellen.

Die Furche: Faktum ist leider auch, dass es bei Rekordbeschäftigung gleichzeitig Rekordarbeitslosigkeit gibt.

Mitterlehner: Es wird viel zuviel Wahlkampfpanik rund um die Arbeitslosigkeit entwickelt. In wenigen Jahren werden wir akuten Arbeitskräftemangel haben. Momentan ist das sicher eine unangenehme Situation, aber es ist eine Übergangssituation.

Glawischnig: Von selber wird das nicht gehen ...

Mitterlehner: O doch! Das zeigt uns schon die demographische Entwicklung. Außerdem erwarten alle für das nächste Jahr, dass mit einem Anziehen der Konjunktur eine Entlastung am Arbeitsmarkt eintritt. An sich funktioniert aber unser System, in dem das Arbeitsmarktservice als Vermittler auftritt, sehr gut.

Glawischnig: Die Probleme am Arbeitsmarkt liegen entlang der Trennlinie Bildung und Qualifikation. Es wird Bereiche geben, wo der Arbeitsmarkt austrocknet. Spätestens bis 2010 wird das sehr deutlich werden. Bildung, Bildung, Bildung muss deshalb die höchste Priorität haben.

Die Furche: Liegt das Problem nicht auch bei der Qualität der neuen Arbeitsplätze? Stichworte: Billigarbeitsplätze, McJobs, working poor ...

Glawischnig: Die Gruppe der atypisch Beschäftigten macht mittlerweile ein Drittel der Erwerbstätigen aus. Das ist ein ernstes Problem vor allem für Frauen. Es wird viel mehr Brüche in den Arbeitsbiographien geben, deswegen müssen die Vorschläge über neue Formen sozialer Absicherung ernster genommen werden. Wir schlagen dafür eine Grundsicherung vor, die unabhängig von der Erwerbstätigkeit eine Absicherung in diesen Lebensphasen bietet.

Mitterlehner: Ihre Grundsicherung halte ich für den absolut falschen Weg. Man sollte eher Anreize schaffen, aber keinerlei Verpflichtung des Staates, er müsse dies oder jenes abdecken. Da bekommen wir über kurz oder lang erneut Finanzierungsprobleme. Die kollektive Absicherung soll es nur für Notfälle bzw. da, wo der Einzelne überfordert ist, geben. Sonst ist jeder für sich selbst verantwortlich und der Staat hat bloß für die Rahmenbedingungen zu sorgen.

Die Furche: Welche negativen Effekte fürchten Sie bei der Grundsicherung?

Mitterlehner: Jede Grundabsicherung ist kein Modell, das anspornt, das motiviert, sondern das einschläfernd wirkt. Unser System ist ein marktwirtschaftliches System. Und alle diese Überlegungen greifen in den Markt ein. Wer aber aus irgendwelchen Gründen sich nicht dem Wettbewerb stellen kann - der muss eine entsprechende Absicherung bekommen. Und dieses System funktioniert, alles andere ist nur teuer.

Die Furche: Welche Zumutbarkeitsbestimmungen für Arbeitnehmer sehen Sie gerechtfertigt?

Mitterlehner: Zumuten würde ich dem Arbeitnehmer vor allem, dass er sich bemüht, möglichst aktiv und rasch wieder in den Arbeitsprozess zu kommen. Aber schon in wenigen Jahren wird der Leidensdruck ein anderer sein. Betriebe werden um qualifizierte Mitarbeiter anstehen. Das ist mein Credo.

Glawischnig: Grundsätzlich gilt für mich bei den Zumutbarkeitsbestimmungen: Anreize statt Zwang. Was ich darüber hinaus für sehr wesentlich halte, ist die Familienvereinbarkeit des Berufs - nicht nur für Frauen, auch für Männer. Denn generell will ich nicht darauf warten, bis der Leidensdruck bei den Frauen so groß wird, dass das von selber einmal passiert.

Das Gespräch moderierte Wolfgang Machreich.

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