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Gesetze für den eigenen Gebrauch schafft sich Italiens

Seine plötzliche Bekanntheit verdankt Melchiorre Cirami nicht etwa besonderen Fähigkeiten. Der Abgeordnete des Rechtsbündnisses hatte sich bisher ausschließlich um die Interessen seiner Wähler im sizilianischen Agrigent gekümmert. Jetzt ist der farblose Jurist plötzlich in aller Munde: als Einbringer eines Gesetzentwurfs, der Italien in zwei Lager spaltet. Denn die aus wenigen Artikeln bestehende "Legge Cirami" dient vor allem einem Zweck: sie soll Ministerpräsident Silvio Berlusconi vor der Verurteilung wegen Korruption retten. Dazu führt das Gesetz einen nicht näher definierten "legitimen Verdacht" ein, der Angeklagten die Möglichkeit gewährt, einen anderen Gerichtsort zu beantragen - auch in bereits laufenden Verfahren.

Bei rascher Genehmigung des Gesetzes könnten Berlusconis Anwälte noch vor Beginn der Schlussplädoyers eine Verlegung des in Mailand laufenden Korruptionsprozesses nach Brescia beantragen. Den Rest überlässt man der Verjährung - wie bereits bei drei anderen Prozessen gegen den Regierungschef. Doch viele Anzeichen deuten darauf hin, dass der Cavaliere den Italiern diesmal etwas zuviel zumutet. In Land wächst die Empörung über das Rechtsverständnis des Premiers. Über eine halbe Million Menschen demonstrierten am vergangenen Samstag in Rom gegen die Legge Cirami.

Der Massenaufmarsch ließ das Rechtsbündnis unbeeindruckt: noch während der Kundgebung genehmigte der Justizausschuss der Abgeordnetenkammer das Gesetz. Wie ungeniert dabei persönliche und politische Interessen verknüpft werden, zeigt die Tatsache, dass der Ausschussvorsitzende Gaetano Pecorella den Regierungschef im Mailänder Prozess als Anwalt vertritt. Eine Unvereinbarkeit vermag er nicht zu erkennen.

Justiz im Dienst des Premiers

Allerdings: auch vielen Berlusconi-Wählern ist die Eile, mit der die Legge Cirami durchs Parlament gepeitscht wird, zunehmend suspekt. Dass sich Abgeordnete und Senatoren in Tag- und Nachtsitzungen der Justizprobleme des Premiers annehmen, während Haushaltsdefizit und Inflation steigen und die versprochenen Reformen ausbleiben, enttäuscht eine wachsende Zahl Berlusconi-Fans. Zwar verkauft das Rechtsbündnis das umstrittene Gesetz unbeirrt als Teil einer Justizreform im Dienst des Bürgers. Doch Italiens Justiz stöhnt unter ganz anderen Problemen. "Wir können 750 Prozesse nicht abwickeln, weil die Gerichtsvollzieher für die Zustellungen fehlen", klagt Mailands Oberstaatsanwalt Gerardo D'Ambrosio. "Auch fehlen uns 16 Staatsanwälte und 100 Beamte."

Auch die Mafia profitiert

Italiens schwerfälliger und veralteter Justizapparat produziert vor allem Stillstand: gut fünf Millionen Strafverfahren und über drei Millionen Zivilprozesse harren ihrer Erledigung. Der Oberste Gerichtshof in Rom ist mit über 70.000 Verfahren in Verzug. Die Durchschnittsdauer eines Zivilprozesses beträgt fast sieben Jahre. Die Legge Cirami - warnt die Richtervereinigung - werde die Prozessdauer weiter verlängern. Die Mafiafahnder verweisen auf die Gefahr, die organisierte Kriminalität werde die Legge Cirami zur Verzögerung der Verfahren nutzen. Staatspräsident Ciampi hält jenen Artikel des Gesetzes für verfassungswidrig, wonach der Antrag auf Verlegung des Gerichtsortes den sofortigen Abbruch des Prozesses bedingt.

Doch ein Einlenken ist nicht in Sicht. Denn Berlusconi verfolgt nur ein Ziel: sich endgültig der "Verfolgung" durch Richter und Staatsanwälte zu entziehen. Der Medienunternehmer, dem der Mailänder Staatsanwalt Antonio di Pietro noch 1994 einen Ermittlungsbescheid in den römischen Regierungspalast geschickt hatte, hat diesmal vorgesorgt. Ein ganzer Pulk Berlusconi-Anwälte sitzt im Parlament und sorgt umsichtig dafür, dass die Gesetze nicht für alle gleich sind. Seit seinem Regierungsantritt hat der Premier eine Serie von Gesetzen durchgedrückt, die vor allem einem nutzen: ihm selbst.

Während weltweit die Strafen für Bilanzfälschung verschärft wurden, verharmloste man sie in Italien zu einem Kavaliersdelikt. So entledigte sich Berlusconi mehrerer Prozesse. Mit dem Einbau neuer Hürden für die internationale Rechtshilfe verhinderte er die Übermittlung unliebsamer Unterlagen aus der Schweiz an Mailänder Gerichte. Weitere Gesetze sollen in Kürze folgen und auch bedrängte Parteifreunde dem Zugriff der Gerichte entziehen. Der Eifer wird verständlich, wenn man weiß, dass über 50 Parlamentarier Probleme mit der Justiz haben. Sie gehören fast alle dem Rechtsbündnis an. So steht der Regierungschef in Mailand gemeinsam mit seinem früheren Anwalt Cesare Previti vor Gericht. Der schwerreiche Lobbyist und Forza-Italia-Abgeordnete wird beschuldigt, einen hohen römischen Richter bestochen zu haben. Im Schutz der parlamentarischen Immunität verzögert er seit Jahren systematisch den Prozess.

Berlusconi-Freund Gianstefano Frigerio, der unter falschem Vornamen kandidiert hatte, wurde nach seiner Wahl zum Senator verhaftet. Er muss wegen Bestechung, Hehlerei und Erpressung sieben Jahre Haft absitzen. Der sizilianische Berlusconi-Intimus Marcello dell' Utri ist rechtskräftig wegen Fälschung und Steuerbetrug verurteilt. Auch etliche Regierungsmitglieder haben Ärger mit der Justiz: Umberto Bossi ist wegen Annahme von Schwarzgeld, Widerstand und Verleumdung zu mehreren Jahren Haft verurteilt, sein Lega-Parteifreund und Sozialminister Roberto Maroni wegen Widerstand gegen Amtspersonen. In Bossis Ministerium für Reformen glänzt der Berlusconi-Günstling Aldo Brancher als geschäftiger Staatssekretär. Der ehemalige Priester mit Luxusvilla am Gardasee wurde in einem Schmiergeldprozess zu drei Jahren Haft verurteilt.

Amnestie für "leichte Jungs"

Die Staatssekretäre Antonio D'Ali und Francesco Colucci sind ebenso vorbestraft wie die Vizepräsidenten von Kammer und Senat. Verständlich, dass Berlusconis Juristen an einem Gesetz basteln, das die parlamentarische Immunität zu einer für Richter unüberwindbaren Hürde ausbauen will. Das Thema Strafverfolgung ist für Berlusconi offenbar ein Albtraum. Daher bastelt seine Regierung an mehreren Strafnachlässen, um auch den kleinen Mann dem Zugriff des Gesetzes zu entziehen. So können Italiener, die Schwarzgelder ins Ausland geschleust haben, diese jetzt straflos auf heimische Konten zurückfließen lassen.

Eine Amnestie soll die übervollen Gefängnisse leeren, in denen die Hälfte der rund 50.000 Häftlinge auf ihren Prozess warten. Hatte die Regierung ein hartes Vorgehen gegen die Kriminalität angekündigt, gewährt sie jetzt Rabatt: wer weniger als drei Jahre abzusitzen hat, soll freigelassen werden. Für den Vorsitzenden des Justizausschusses Gaetano Pecorella eine "durchaus akzeptable Lösung". Ein Strafnachlass für die zahlreichen Steuersünder soll Geld in die leeren Staatskassen bringen. Auch eine neuerliche Amnestie für Bausünder wird erwogen - die letzte hatte Berlusconi erst 1994 erlassen. In einem Land mit 33.000 illegalen Bauten pro Jahr ist schon die Signalwirkung solcher Erwägungen fatal.

Schwarzbauten & Pfusch

In Sizilien, wo das Rechtsbündnis alle 61 Wahlkreise der Insel erobert hat, will die Region über 15.000 Schwarzbauten nachträglich legalisieren - eine indirekte Aufforderung zum Gesetzesbruch. Der ist in Süditalien ohnedies weit verbreitet. Allein in der Region Kampanien leben eine Viertel Million Beschäftigte von der Schwarzarbeit - mit geregelter Arbeitszeit. Die von Berlusconi versprochene Legalisierung der weit verbreiteten Schattenwirtschaft war ein Schlag ins Wasser. 800.000 Menschen fahren in Kampanien ohne KFZ-Versicherung. Strafen haben sie ebensowenig zu erwarten wie jene Zehntausende, die ihre Wasser- oder Müllabfuhrgebühren nicht begleichen oder ihr Ferienhaus am Meer errichten - ohne Baugenehmigung.

Sicher, die desolate Lage Süditaliens ist Ergebnis von Jahrzehnten Misswirtschaft. Doch die Signale, die Berlusconi aussendet, sind unmissverständlich. Was für den Regierungschef recht, ist für jeden Bürger billig: sich der Bestrafung zu entziehen. Sollte Silvio Berlusconi trotz aller Vorkehrungen wegen Korruption verurteilt werden, hat er einen Rücktritt bereits ausgeschlossen. Nur, den hätte ohnedies niemand erwartet.

Der Autor ist Italien-Korrespondent.

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