Liberaler Großbürger, humanistischer Patriot

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Er war ein Herr vom Scheitel bis zur Sohle. Der weltläufige Grandseigneur Heinrich Treichl war ein Großbürger der alten Schule: feinsinnig, umfassend gebildet, vielseitig interessiert. Und er war ein großzügiger Gastgeber: In seinem schönen Palais in Wien-Landstraße versammelte er Künstler, Gelehrte, Schauspieler ebenso wie Unternehmer, Finanzfachleute, Privatiers. Dort zeigte er voll Stolz die Entwürfe seines Urgroßvaters Heinrich Ferstel, des Erbauers der Votivkirche.

Der 1913 geborene Sohn eines aus dem salzburgischen Leogang stammenden Bankiers und der gebürtigen Baronesse Dorothea von Ferstel hatte die Salonkultur bereits im Elternhaus erlebt. Ursprünglich wollte er Architektur studieren, doch der Vater bestimmte ihn für das Bankgeschäft. Nach der Promotion zum Dr. iur. wurde er 1936 Devisenhändler und trat später erst bei der Mercur-Bank, dann bei der Länderbank ein.

Im Krieg wurde er zur Wehrmacht eingezogen, desertierte indes später in Paris und kam in amerikanische Kriegsgefangenschaft. Seinem Bruder Wolfgang Treichl, der 1944 als Widerstandskämpfer ums Leben kam, widmete er unter dem Titel "Am Ende war die Tat" ein bewegendes Erinnerungsbuch.

Nach dem Krieg heiratete Heinrich Treichl die Urenkelin des Ullstein-Verlegers und führte zehn Jahre lang erfolgreich den Buchverlag in Wien. 1958 trat er in die Creditanstalt-Bankverein ein, die er schließlich von 1970 bis 1981 als Generaldirektor leitete. Er öffnete das damals größte österreichische Geldinstitut für das internationale Bankgeschäft ebenso wie für Privatkunden und die Laufkundschaft. Dem damaligen Bundeskanzler Kreisky und seiner Verstaatlichten-Politik stemmte sich der Wirtschaftsliberale Treichl stets als streitbarer Widerpart entgegen.

Eine der nicht wenigen Leidenschaften von Heinrich Treichl galt dem Theater, der Lyrik eine andere: An seinem 100. Geburtstag rezitierte er in kleinem Kreis noch immer aus dem Gedächtnis Gedichte und Balladen von Goethe, Rilke, Hofmannsthal. Als Buchautor blickte er stilgewandt auf "Fast ein Jahrhundert" erlebter Zeitgeschichte zurück und erlernte zu diesem Zweck noch im hohen Alter den Umgang mit dem Computer. Seine humane Gesinnung bewies Heinrich Treichl auch als langjähriger, vielfach engagierter Präsident des Roten Kreuzes. Am 2. November entschlief er, der zeitlebens ein leidenschaftlicher österreichischer Patriot war, friedlich im 102. Lebensjahr.

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