"Lieber mehr Zeit als wochenlang Proteste"

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Die Gesundheitsreform steht auf der Kippe: Der VP-Abgeordnete Werner Amon und sein grüner Kollege Kurt Grünewald über die neue Holding und alternative Modelle.

Das Ringen um die Kassensanierungsreform ist im Parlament in vollem Gange. Im Furche-Streitgespräch diskutieren der ÖVP-Sozialsprecher und ÖAAB-Generalsekretär Werner Amon, der parteiintern zu den Kritikern des Papiers zählt, und der Grüne-Gesundheitssprecher und Arzt Kurt Grünewald. Für die Grünen ist die Vorlage grundlegend misslungen.

Die Furche: Was muss sich an der Regierungsvorlage zur Kassensanierungsreform noch ändern, damit Sie zustimmen?

Werner Amon: Wir müssen uns die Regierungsvorlage in aller Ruhe anschauen. Ich habe mich dafür stark gemacht, dass es eine umfassende Beratung im Ausschuss gibt, dass ein Hearing stattfindet und dass dann am 3. Juli nach Möglichkeit eine Beschlussfassung erfolgen kann. Es ist wichtig, eine Einigung mit der Ärzteschaft herzustellen. Auch die Strukturfrage der Kassen ist für uns nach wie vor ein Thema, das eingehend behandelt werden muss. Für uns ist die Selbstverwaltung der Gebietskrankenkassen wichtig, sie ist in der Verfassung verankert.

Die Furche: Das klingt nach einigem Änderungsbedarf.

Amon: Es ist ja nicht Aufgabe des Parlaments, Regierungsvorlagen grundsätzlich abzunicken, sondern sich die Dinge anzuschauen und allenfalls Verbesserungen vorzunehmen. Das ist weder sensationell noch unanständig.

Kurt Grünewald: Es freut mich zu hören, dass das Parlament nicht nur abnicken, sondern sich gründlicher mit der Regierungsvorlage beschäftigen sollte. Diese Regierungsvorlage ist eigentlich keine Reform, sondern ein Kassensanierungspaket mit einem großen Manko: Den Kassen werden nach und nach Schulden erlassen und etwas mehr - muss man fairerweise sagen - an Mitteln zugeführt. Tatsache ist aber, dass trotz guten Gesundheitssystems noch beträchtliche Ungleichheiten und Versorgungslücken bestehen. Es besteht eine Unterfinanzierung im Bereich Prävention, es gibt schwerste Lücken bei der Rehabilitation, auch Psychotherapie auf Krankenschein ist nach wie vor nicht bundesweit verankert. Allein um diese Lücken zu schließen, nützt es nichts, Defizite zu stabilisieren, sondern das System wird über mehr Mittel verfügen müssen. Darüber wird nicht gesprochen. Berührungspunkte gibt es in der Frage der Strukturveränderungen der Kassen.

Die Furche: Sehen Sie die neue Holding positiv?

Grünewald: Wenn ein Hauptverband existieren soll, dann muss er über mehr Kompetenzen verfügen, als nur an Bundesländer und Kassen zu appellieren. Wenn wir wünschen, dass vom Boden- bis zum Neusiedlersee annähernd gleiche Bedingungen an Qualitätsstandards, an Versorgungsstandards und auch an Selbstbehalten existieren, dann muss es eine stärker führende, ordnende und kontrollierende Kraft geben. Gewisse regionale Spielräume stehen dazu aber nicht im Widerspruch. Es ist aber nicht einzusehen, dass in einer Struktur der Selbstverwaltung das Gesundheitsministerium Durchgriffsrechte auf Hauptverband und Kassen bekommt. Kritisch sehen wir auch die Umschichtung der Kräfteverhältnisse: Es gibt ca. 300.000 Arbeitgeber und drei Millionen Arbeitnehmer. Dass diese nun 50:50 in der neuen Holding vertreten sind, finde ich nicht in Ordnung.

Die Furche: Da setzt die Kritik des ÖAAB an?

Amon: Zunächst muss ich widersprechen: Selbstverständlich wird über neues Geld nachgedacht, damit auch weiterhin jeder Zugang zu Spitzenmedizin hat. Wir lehnen jegliche Entwicklung in Richtung einer Zwei-Klassen-Medizin ab. Zur Holding: Wir als Arbeitnehmervertreter innerhalb der Volkspartei wenden uns klar gegen diese Form des Hauptverbandes Neu, da hier ein Moloch geschaffen wird, der die eigentliche Bottom-Up-Struktur, die sich bewährt hat, durch eine Top-Down-Struktur ersetzt, die ein Durchgriffsrecht auf alle Träger schafft. Das sehen wir sehr kritisch, denn es ist fraglich, ob Vertreter von Versicherten, die über Wahlen in den gesetzlichen Interessensvertretungen vorgesehen sind, noch repräsentativ abgebildet sind.

Die Furche: Welches Modell würden Sie vorschlagen?

Amon: Der Hauptverband in seiner jetzigen Form ist nicht schlecht. Er hätte Kompetenzen, die er aber nicht ausschöpft. Das ASVG (Allgemeine Sozialversicherungsgesetz) sieht bereits Durchgriffsmöglichkeiten, Richtlinienkompetenz oder das Ablehnen von Verträgen der Gebietskrankenkassen vor. Auch die Kontrollversammlungen hätten mehr Kompetenzen als bisher ausgeschöpft. Es gibt offenbar systemimmanente Probleme, warum das nicht funktioniert.

Die Furche: Welches Modell schlagen die Grünen für den Hauptverband vor?

Grünewald: Diese Fülle von verschiedenen Krankenkassen bringt viel Ungleichheit. Heutzutage ist der Unterschied zwischen Arbeitern, Angestellten und Gewerbetreibenden - was das Gesundheitsrisiko betrifft - doch nicht mehr so unterschiedlich wie früher. Da schießt man den Kassen Geld zu, um Defizite abzubauen, und beachtet nicht, was sind die Ursachen dieser Defizite? Dass die Beamtenkassen positiv wirtschaften, erklärt sich daraus, dass diese einen großen Akademikeranteil aufweisen und damit höhere Einnahmen. Außerdem haben die Gebietskrankenkassen von der Regierung Belastungen aufgeladen bekommen: Die Kassen zahlen 508 Millionen Euro jährlich für das Wochengeld. Diese Leistung brauchen wir, aber mit den eigentlichen Aufgaben der Kassen haben sie wenig zu tun. Und da fängt es an. Das heißt, wenn diese Jahrespläne zur Sanierung der Kassen abgelaufen sind, werden sich die Defizite, deren Gründe ja weiter bestehen, wieder aufbauen.

Die Furche: Wie diese Ursachen beheben?

Grünewald: Es gibt Modellrechnungen von autonomen Experten, die sagen: Wären in Österreich Löhne- und Gehälter im selben Ausmaß gestiegen wie das Bruttoinlandsprodukt, dann hätten die Kassen ein Nulldefizit. Es sind also nicht alles Managementfehler. Ich will auch keinen Moloch - eine Kasse im Donauturm, die mit ihrem Feldstecher in die Länder schaut und sagt, so müsst ihr es machen. Das verstehe ich nicht als sinnvolle Bündelung der Kräfte.

Die Furche: Sondern …

Grünewald: Man könnte sagen: Es gibt eine einzige Krankenkasse, die legt Standards fest und verhandelt diese mit dem Bund, Parlament und Hauptverband. Dann gibt es Spielräume für die Länder, wo regionale Strukturen berücksichtigt werden.

Die Furche: Was lief schief bei der Entstehung dieser Regierungsvorlage?

Amon: Es entsteht oft eine Aufregung, wo sie noch nicht nötig ist. Es waren zwei Sozialpartner (ÖGB und Wirtschaftskammer) eingeladen, ein Reformpapier zu entwickeln. Dieses Papier ist entwickelt worden und der Aufstand war schon da, weil Sozialpartnerpapiere in Österreich als sakrosankt gelten. Die Bundesregierung hat diesen Vorschlag mehr oder weniger übernommen und ihn nun dem Parlament zugewiesen. Bei gutem Willen ist eine Lösung bis zum 3. Juli möglich. Es kann aber auch sein, dass wir zur Erkenntnis kommen, dass die Zeit nicht ausreicht, dass wir zu keiner Einigung kommen, dann müssen wir eben in den Herbst hineingehen. Soll nichts Schlimmeres passieren. Mir ist lieber, wir lassen uns mehr Zeit, als wir haben dann wochenlang Proteste.

Grünewald: Es sind schon Fehler bei der Entstehung der Regierungsvorlage begangen worden: Man darf nicht vergessen, dass die Sozialpartner das Papier unter enormen Druck geschrieben haben. Die Regierung hat nicht gesagt: wir sind so schwach und haben keine Zeit, bitte macht ihr es für uns. Sondern sie hat gesagt: Die Steigerung der Krankenversicherungsbeiträge von 0,15 Prozent ist weg, wenn da kein Sparpapier kommt. Solche Drohungen verführen eben dazu, harte Maßnahmen des vordergründigen Sparens zu setzen. Ich bin übrigens froh zu hören, dass das Parlament das Ringen um eine Einigung im Herbst fortsetzen könnte. Lieber eine bessere als eine schnelle Lösung.

Langversion und Standpunkte zur Kritik der Ärzte unter www.furche.at

Das Gespräch führte Regine Bogensberger.

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