Lobbyist für die Kirche

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Auch die Kirche betreibt Lobbying in Brüssel. Das Kontaktbüro der Bischofskonferenz vertritt die kirchlichen Anliegen und informiert daheim über die EU.

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Auch die Kirche betreibt Lobbying in Brüssel. Das Kontaktbüro der Bischofskonferenz vertritt die kirchlichen Anliegen und informiert daheim über die EU.

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Aha, von der Bischofskonferenz sind Sie? Na, die Österreicher können ja im Moment geistliche Unterstützung sicher brauchen, oder?" Die Causa prima verfolgt einen überall. Geduldig versuche ich meinem Gegenüber zu erklären, daß ein pastorales Gespräch zwar nicht ausgeschlossen ist, meine Hauptaufgabe aber eher im Informieren und Kommunizieren mit und über Europa und seinen Institutionen liegt und im Dienst für die Kirche in Österreich steht.

Wo die einen verständnisvoll nicken und sich mit dieser Kurzerklärung zufrieden geben, wollen andere mehr wissen. Worin besteht die Aufgabe des Kontaktbüros der Österreichischen Bischofskonferenz? Zahlt es sich denn aus, in Brüssel zu sitzen? Und fühlt man sich denn überhaupt als Kirche ernst genommen? Erstaunen, Interesse, Mitleid und Vorurteile - das sind nur einige Haltungen, denen ich beim Gespräch über meine Arbeit in Brüssel als Vertreter einer kirchlichen Einrichtung immer wieder begegne. Was als kurze Antwort gedacht war, wird zu einem langen Gespräch über Europa, die Union, die Kirche, über Zweifel an diesem "Projekt Europa", über die Sinnhaftigkeit des europäischen Einigungsprozesses und die Notwendigkeit, daß Kirchen und Religionsgemeinschaften sich nicht ausschließen, sondern aktiv und gestaltend daran teilnehmen.

Nicht das Büfett zählt Hinzu kommt, daß das Informationsbedürfnis über Europa in der Kirche in Österreich eher zu- als abgenommen hat. Die Europakommission, die in den einzelnen Diözesen die weitergehende Europaarbeit erdet und gleichzeitig eine Art Arbeitsgruppe für den "Europabischof" bildet (derzeit der Kärntner Diözesanbischof Egon Kapellari), trifft sich inzwischen drei- bis viermal jährlich. Und auch bei anderen Themen - Alpentransit, Mehrwertsteuerermäßigung für Kirchenrestaurierungen und vieles mehr - wissen kirchliche Gruppen und Stellen inzwischen: Es gibt da unser Büro in Brüssel.

Arbeit in den Abendstunden findet in Brüssel nicht nur hinter dem Schreibtisch statt, sondern auch bei vielen der zahllosen Veranstaltungen, zu denen Vertretungsbüros, politische Stiftungen und andere Einrichtungen einladen. Dabei steht nicht das kalte Büfett (das mehr oder weniger immer das Gleiche ist) im Mittelpunkt des Interesses, sondern die Möglichkeit, im ungezwungenen Rahmen den Aufgaben eines Lobbyisten nachzugehen. Lobbying - in der Bedeutung, die es hier in Brüssel hat - heißt nicht, den anderen zu übertölpeln, sondern zwischen den Vertretern von europäischen Institutionen und Lobbyisten Informationen und Argumente auszutauschen. Ohne die von Lobbyisten gelieferten Informationen wäre die Arbeit der europäischen Institutionen - zumindest in diesem Umfang - nicht zu leisten. Die Grundvoraussetzung für Lobbyarbeit ist gegenseitiges Vertrauen. Die Möglichkeit, dieses Vertrauen zu gewinnen, bieten die Veranstaltungen, auf denen man miteinander reden, diskutieren und einander kennen- und oft schätzen lernen kann. Der Austausch von Visitenkarten mag ein Ritual sein, er hilft aber später, dienstlich Kontakt aufzunehmen.

In regelmäßigen Abständen kommen kirchliche Einzelpersonen oder Gruppen aus Österreich nach Brüssel, um sich selbst vor Ort umzusehen, sich zu informieren, ein Projekt vorzustellen oder einzureichen. Um gezielt auch das erledigen zu können, ist es notwendig, den Besuch gut vorzubereiten. Die Vorbereitung, die Begleitung und auch die Nacharbeit von solchen Besuchen zählt zu den interessantesten Aufgaben des Kontaktbüros, da man einerseits Einblick bekommt, wie in Österreich über bestimmte EU-relevante Themen gedacht und gesprochen wird, und es gleichzeitig möglich ist, in sehr offenen, konkreten und intensiven Gesprächen, etwas von den Möglichkeiten und Aufgaben der europäischen Institutionen, aber auch von der Arbeit des Kontaktbüros zu vermitteln. Bei der Schilderung dieses zwar bunten, aber trotzdem gewöhnlichen Brüsseler Büroalltags stellt sich die Frage: Wo bleibt denn hier das Projekt Europa? Wo bleibt das eigentlich Kirchliche? Wären nicht das die wirklichen Aufgaben eines Büros der Österreichischen Bischofskonferenz?

Kirchen ohne Privileg Um ein Mißverständnis aus der Welt zu schaffen: zwischen den Kirchen und den Europäischen Institutionen gibt es kein wie immer geartetes offizielles Verhältnis. Der Vertrag von Amsterdam hält zwar in seiner Erklärung 11 fest, daß die Union den Status der Kirchen und Religionsgemeinschaften - der ihnen in den Mitgliedsstaaten zukommt - achtet und ihn nicht beeinträchtigt. Das bedeutet aber keineswegs, daß die Kirchen damit irgendwelche Vergünstigungen oder Privilegien genießen. Die kirchlichen Vertretungen - neben der ComECE (der Kommission der Bischofskonferenzen der EG) und der Kommission für Kirche und Gesellschaft der KEK gibt es von der Caritas bis zur Vertretung Katholischer Schulen noch eine ganze Reihe kirchlicher Interessenvertretungen - haben inzwischen mit der Neutralität der europäischen Institutionen zu leben und umzugehen gelernt.

Sie haben auch gelernt, selbständig ihre Rolle im Prozeß der europäischen Integration zu bestimmen. Mit einem Bild läßt sich ihre Aufgabe als Wegbegleitung eines dem ersten Anschein nach technischen Unternehmens ausdrücken: die Erinnerung an die Vergangenheit und an die bereits zurückgelegte Distanz wachzurufen, wenn man nicht mehr weiter möchte; auf diejenigen aufmerksam zu machen, die das Marschtempo nicht halten können und zurückzubleiben drohen; helfen, nicht vom Weg abzukommen, den Leitstern nicht aus den Augen zu verlieren; rechtzeitig zur Rast, aber auch zum Aufbruch zu mahnen. Etwas weniger bildhaft gesprochen: den Prozeß Europa bewußt, engagiert und gleichzeitig kritisch mit zutragen und mitzugehen.

Die EU beseelen Wenn das den Kirchen gelänge, und mit ihnen allen, denen Europa wirklich ein Anliegen ist, dann wären sie tatsächlich die Seele dieses ganzen Unternehmens - aber nicht, weil der eine oder andere Politiker die Grenzen der Machbarkeit erkennt und als Abhilfe eine "Seele für Europa" fordert, oder weil Kirche und Seele immer schon irgend etwas miteinander zu tun haben, sondern weil durch diesen Dienst der ganze Prozeß des Werdens Europas erst ein menschlicher, und damit ein beseelter Prozeß werden kann. Konkret heißt das für die Kirchen, hier sowohl ihre pastorale Kompetenz einzubringen, als auch ihre anderen Kompetenzen - etwa im Sozial- oder im Bildungsbereich - im politischen Prozeß einzusetzen.

Für dieses große Ziel die tägliche Kleinarbeit zu leisten, dafür zu sorgen, daß die notwendigen Informationen von Brüssel den Weg nach Österreich finden und gleichzeitig die Ideen und Anliegen der Kirche in Brüssel gehört werden - das scheint mir die angemessene und gleichzeitig wichtige Aufgabe eines kirchlichen Vertretungsbüros in Brüssel zu sein.

Der Autor ist Leiter des Kontaktbüros der Österr. Bischofskonferenz in Brüssel.

Anschrift: B-1150 Brüssel, Tervurenlaan 221, Tel.: 0032-2-7380793 DATEN UND FAKTEN Arbeiten unter den zwölf Europasternen Neben den bekannten Österreichern in der EU, Kommissar Franz Fischler, Botschafter Gregor Woschnagg und den 21 österreichischen Mitgliedern im Europäischen Parlament, arbeiten viele Österreicher in den EU-Vertretungen der Parteien und in den EU-Organisationen. Die Parteien haben in Brüssel jeweils ein Europabüro eingerichtet, das für die Koordination und Pressearbeit zuständig ist. Hinzu kommen jene Frauen und Männer, die als Assistenten der EU-Parlamentarier in Brüssel und Wien beschäftigt sind.

In der Europäischen Kommission arbeiten derzeit 412 Damen und Herren Österreicher. Das sind zwei Prozent der Gesamtbeschäftigten in der Kommission. Davon sind 178 Personen als leitende Beamte tätig. Hier halten wir drei Prozent aller leitenden Beamten. Zum Vergleich: 447 Finnen, beziehungsweise 548 Schweden arbeiten in der Kommission.

Weiters sind mit Stand Herbst vorigen Jahres 24 Österreicher im EU-Parlament angestellt (ohne Politiker), im Europäischen Gerichtshof 9, im Europäischen Rat 19, im Wirtschafts- und Sozialausschuß 17, im Ausschuß der Regionen eine Person, im Statistischen Amt 10 und im Rechnungshof 17. Insgesamt 509 Beschäftige. Die Beschäftigten in den Interessenverbänden und privaten Unternehmungen nicht eingerechnet. WM Nächste Woche lesen Sie im Dossier: Globalisierungund Umwelt

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