Kroatien - © Foto: Pixabay

Kroatien: Locker in die NATO, mit Mühen in die EU

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Kroatien hat viele Altlasten. Damit die Bestrebungen der neuen Regierung Richtung Europa realistisch bleiben, müssen sich auch die EU-Partner bewegen.

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Kroatien hat viele Altlasten. Damit die Bestrebungen der neuen Regierung Richtung Europa realistisch bleiben, müssen sich auch die EU-Partner bewegen.

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Blaues Meer, die dalmatinische Küste entlang, ein herrlicher Anblick, wenn man hier auf der Autobahn fährt. Und viele Probleme im Hinterland nicht sieht: dass die vom Krieg zerstörten Häuser teilweise immer noch Ruinen sind und dass die Dörfer unzureichend mit Wasser und Strom versorgt werden; dass das Leben superteuer geworden ist und dass die Kroaten durchschnittlich umgerechnet 500 Euro im Monat verdienen - viele bekommen als Mindestpension noch weniger, vielleicht 250 Euro.

Wachstum & Stabilität

Dennoch hat die neue Regierung unter ihrem "alten" Chef Ivo Sanader zwei Top-Ziele: den Beitritt zur NATO und die Aufnahme als 28. EU-Mitgliedsland. Nach dem Wahlsieg im November gelang Sanader Anfang Jänner ein Bündnis seiner Kroatischen Demokratischen Gemeinschaft (HDZ) mit der Bauernpartei, den Sozialliberalen und der Unabhängigen Serbischen Demokratischen Partei. Die Vertreter der nationalen Minderheiten unterstützen die Koalition. Damit ist Sanader der erste Premier Kroatiens, der seine erste Amtszeit fortsetzt. Wichtig seien jetzt wirtschaftliches Wachstum und Stabilität, sagte er. Nur 18 Prozent der Kroaten beurteilen die Wirtschaft ihres Landes als gut. Der Durchschnitt der EU-Staaten liegt bei 48 Prozent. Wegen der tristen Lage samt Teuerungswelle und gesunkener Lebensstandards (die Arbeitslosenrate beträgt 15 Prozent) drohten die Gewerkschaften bereits mit Streiks. Besser sieht es für das Land aus, was den angestrebten NATO-Beitritt betrifft. Die Unterstützung der USA holte sich Sanader vor mehr als einem Jahr vom scheidenden Präsidenten George Bush. Beim Gipfeltreffen im April in Bukarest wird Kroatien daher problemlos die offizielle Einladung zur Aufnahme in das Nordatlantikbündnis erhalten.

Unter Beobachtung

Blickt man hinter die außen- und innenpolitische Fassade, sieht die bevorstehende Arbeit der neuen Regierung alles andere als einfach aus. Der gesamte öffentliche Dienst müsse endlich reformiert werden, "die Beamten werden schlecht bezahlt und haben willkürliche Rechte, was Korruption Tür und Tor öffnet", moniert etwa die Journalistin Maja Klasnic. Die Justiz sei niemandem Rechenschaft schuldig, was sie ebenfalls korrupt gemacht habe. Das Problem Korruption führt auch Jorge Fuentes an, Botschafter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in Zagreb. Fortschritte seien bei den Minderheitenrechten erzielt worden. Dass Kroatien eine "stabile Demokratie" sei, habe es mit der jüngsten Parlamentswahl bewiesen (s. Interview unten).

Die OSZE beobachtet seit elf Jahren den Reformprozess in Kroatien. Seit Jänner hat sie nur mehr ein Büro in Zagreb. Schließlich ist man inzwischen EU-Beitrittsland - und es leid, dass einem immer noch jemand ständig auf die Finger schaut. Doch es liegt noch einiges im Argen in der jungen Republik. Also haben sich die 56 OSZE-Staaten (inklusive Kroatien) darauf geeinigt, dass die Beobachtungen in zwei Bereichen fortgesetzt werden: ob die (neben Den Haag) in Kroatien geführten Kriegsverbrecherprozesse rechtmäßig sind und wie die Unterkunftsprogramme für die heimgekehrten Flüchtlinge in der Praxis funktionieren. Von der serbischen Minderheit etwa wurden im Krieg mehr als 300.000 zu Flüchtlingen. Davon kamen 120.000 nach Kroatien zurück. Nur konnten sie ihre staatlichen Wohnungen nicht beziehen, weil die Mietverträge einfach gekündigt worden waren.

90 Prozent Katholiken

Einer der OSZE-Beobachter ist seit April 2005 als einziger Österreicher Heinz Habertheuer. Zwar pocht die OSZE darauf, dass sie und die EU zwei verschiedene Organisationen sind, wie auch OSZE-Botschafter Fuentes betont. Dennoch haben beide ähnliche Schlüsselaufgaben, speziell im Hinblick auf die Demokratisierung. Der OSZE (wie der UNO) selbst beitreten kann die EU erst, wenn sie eine eigene Rechtspersönlichkeit hat, wie es im neuen Reformvertrag vorgesehen ist. Wie schätzt OSZE-Beobachter Habertheuer Kroatiens offizielles Ziel ein, 2010 in die EU aufgenommen zu werden? Der Grazer ist in seiner Funktion zu höchster Diskretion verpflichtet und darf kein offizielles Statement über seine Wahlheimat abgeben.

Wegen bis dato mangelnder Kooperation in den Kriegsverbrecherprozessen hat die EU erst im Oktober 2005 Beitrittsverhandlungen mit Zagreb aufgenommen, mit siebenmonatiger Verspätung. Zur Überraschung der OSZE. Und Wolfgang Schüssel sei Dank. Österreichs damaliger Regierungschef sowie zahlreiche Unionspolitiker in Deutschland hatten den Aufschub der Beitrittsgespräche mit Kroatien als unangemessen kritisiert. Österreich ist Kroatiens wichtigster Handelspartner. In dem südosteuropäischen ehemaligen Habsburgerland sind 90 Prozent Katholiken. Aus dem EU-Parlament stärkt die EVP-Fraktion den kroatischen EU-Bestrebungen den Rücken. Man unterstütze die neue Regierung, "die Beitrittsverhandlungen zeitgerecht so abzuschließen, dass das EU-Parlament noch vor den Wahlen 2009 seine Zustimmung zu einem Beitritt geben kann", so EVP-Vizepräsident Othmar Karas. Kroatiens Chefverhandler in Brüssel, Vladimir Drobnjak, ist jedoch äußerst unzufrieden: "Die Verhandlungen sind ins Stocken geraten. Wir sind zufrieden mit dem, was bisher erreicht wurde. Aber wir sind nicht zufrieden damit, wie sich die Dinge derzeit entwickeln."

Streit um Fischgründe

Seit gut einem halben Jahr herrscht praktisch Stillstand. Nicht nur auf Grund der Parlamentswahlen. Schuld sein dürfte einerseits ein Nachbarschaftsstreit über die slowenisch-kroatische Grenze sowie über eine Fischereizone, die bis in die Gebiete Italiens und Sloweniens reicht. Wie aus Brüssel verlautet, blockiert Slowenien (derzeit EU-Vorsitzland) de facto drei Kapitel in Kroatiens Verhandlungen mit der EU. Zurückzuführen sei der Streit mit Slowenien auf dessen "Minderwertigkeitskomplex", meint die kroatische Journalistin Maja Kosor. Zudem verzögere andererseits die EU-Kommission die Zeit. "Wenn die Kommission die gemeinsamen Verhandlungspunkte genauso schnell vorbereiten würde, wie Kroatien seine Positionen ausarbeitet, wäre 2010 ein realistisches Beitrittsdatum."

28. EU-Mitglied?

Hannes Swoboda, Vizepräsident der sozialdemokratischen EU-Fraktion, sieht sogar 2011 als Ziel gefährdet. Er ermahnt Kroatien zu den Reformen vor allem im Justizbereich, aber auch in der Wirtschaft. Die Verhandlungen müssten "um die Jahreswende 2008/09" abgeschlossen sein, soll das Beitrittsdatum 2011 halten. Denn den Beitrittsvertrag müssen nach dem EU-Parlament alle 27 Mitgliedsländer ratifizieren, und das dauert länger als ein Jahr.

A propos Vertrag: Voraussetzung für einen 28. Mitgliedstaat ist, dass den neuen Vertrag von Lissabon alle Länder so schnell verabschieden, dass er 2009 in Kraft treten (und die EU-Wahlen sowie die EU-Kommission neu regeln) kann. Der derzeit gültige Vertrag von Nizza sagt nämlich nach 27 Mitgliedern "Stop".

Heike Hausensteiner ist freie Journalistin und Autorin des Eurobarometer-Länderberichts.

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