Luftschutzsirene in Wien

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Friedliche Lautenklänge erfüllen das Kellergeschäft. Doch im Ohr hat sich das Auf und Ab einer Sirene festgesetzt. Krieg ist. Und Wut und Ohnmacht herrschen - auch in der arabischen Buchhandlung "Averroes".

Naseer Shamma hat Laute-Kompositionen für Kinder mit einer Hand geschrieben. Nach dem ersten Golfkrieg war der Bedarf dafür in den irakischen Musikschulen groß. Shamma gilt als der weltbester Lautespieler. Die Musik des Irakers wird in Konzertsälen auf der ganzen Welt gespielt - und in der einzigen arabischen Buchhandlung in Wien. Einen Monat vor Kriegsbeginn hat Sonia Al-Dulayme ihr Geschäft eröffnet. "Averroes" hat sie es genannt - nach dem arabischen Gelehrten, der vor 900 Jahren die Philosophie des Aristoteles in den Westen überliefert hat. Noch einmal 300 Jahre früher brachten arabische Eroberer die Laute über Spanien nach Europa.

Al-Dulaymes Buchhandlung liegt in der Schwarzspanierstraße. Draußen zieht pfeifend und trommelnd eine Demonstration gegen den Irak-Krieg vorüber, drinnen spielt der CD-Player Shammas Lautenklänge. Die weltweiten Friedensmärsche seien das einzige Positive an diesem Krieg, kommentiert Sonia die Pfiffe, die trotz geschlossener Tür ins Kellergeschoß dringen. Nicht nur bis in ihr Geschäft, bis in den Orient hört man von den Demonstrationen, weiß sie. Für die Menschen in der arabische Welt sei das ein wichtiges Zeichen, ist Sonia überzeugt: "Sie können sehen, dass nicht der ganze Westen gegen den Orient ist. Krieg und Elend sind gobal geworden, dann kann auch die Solidarität global werden."

Bagdad im Bombenhagel

"The Moon Fades" heißt der Titel von Naseer Shammas Komposition, die die Räume der Buchhandlung erfüllt. Auf den abnehmenden Mond haben auch die amerikanischen Streitkräfte gewartet. Für ihren Krieg brauchen sie kein Licht. Die Raketen und Bomben finden im Dunkeln ihr Ziel. "Baghdad Night" heißt ein anderes Stück von Shamma, in dem der Künstler den vom Bombenhagel "wie einen Christbaum erhellten" Nachthimmel der Hauptstadt beschreibt. "Der Tod ist für uns Iraker ein ständiger Begleiter geworden", bemerkt der Künstler, "er folgt uns wie ein Schatten überall hin." Shamma kann diesen Schatten selbst im Exil in Kairo nicht von sich streifen. "Warum muss das irakische Volk soviel leiden?" fragt Sonia Al-Dulayme im Wiener Exil. Die Irakis sind müde, sagt sie, und haben sich an das Elend gewöhnt. Jeder Tag ist ein Kampf ums Überleben. Wie soll da noch Kraft für den Sturz Saddams übrig bleiben, zeigt sie sich enttäuscht über den Unverstand, den der Westen dem geschundenen irakischen Volk entgegenbringt.

Und was, wenn der Krieg jetzt diese Aufgabe übernimmt, den Diktator unschädlich macht? Haben die Kämpfe, die Toten, die neuerliche, weitere Zerstörung des Landes dann einen Sinn? Sonia zögert. Sie zieht sich ihren Mantel über. Ihr Mann bringt Tee an den großen runden, aus Messingblech getriebenen Tisch in der Mitte des Raumes - und eine Antwort: "Die arabischen Völker sind von ihren Regierungen entführt", erläutert Nader Kraitt die Politik im Nahen Osten mit einem Vergleich. "Auch Saddam hat den Irak so wie ein Flugzeug entführt. Und weil die Amerikaner den Kidnapper nicht erwischen, schießen sie jetzt das ganze Flugzeug ab", beschreibt Kraitt die schlimmen Befürchtungen der Iraker.

Nader Kraitt ist Syrer. Er hat als Bauingenieur im Irak gearbeitet, Werkstätten für das schwere militärische Gerät der in diesen Tagen besonders gefürchteten Republikanischen Garde gebaut. Seine Frau ist Irakerin. "Die Al-Dulaymes sind die größte Familie im Irak." Sonia war wissenschaftliche Assistentin im Industrieministerium. Nach dem ersten Golfkrieg hat Kraitt als Ausländer keine Zukunft mehr im Irak gehabt und ist mit seiner Frau nach Österreich geflohen. Ihre Liebe zur orientalischen Literatur haben sie sich jedoch behalten. Oder, wie es ein arabisches Sprichwort ausdrückt: "Ein Buch ist ein Garten zum Mitnehmen." Der arabische Philosoph Averroes hat vor Jahrhunderten seine geschriebenen Gärten nach Europa und hier zum Blühen gebracht. In Spanien ist er zum Brückenbauer zwischen Orient und Okzident geworden. In der Schwarzspanierstraße will Sonia Al-Dulayme mit ihrem Büchergarten Brücken bauen, das verzerrte Bild des Orients, des Islams korrigieren, verändern.

Naseer Shammas Lebenseinstellung haben die beiden bisherigen Golfkriege korrigiert, verändert. "Mit den Bombenangriffen ist mir bewusst geworden, wieviel Zeit ich bisher vergeudet habe", schildert der Musiker seinen Sinneswandel. "Der Tod hat mich erst richtig zu leben gelehrt. Ich will keine Zeit mehr vergeuden."

Saddam steht nicht allein

Zeit ist auch zum entscheidenden Faktor im Irak-Krieg geworden. An einen schnellen Sieg der Amerikaner glauben nur mehr wenige. Die Zeit spielt dem irakischen Diktator in die Hände. In der arabischen Welt nehmen Wut und Hass auf den kolonialen Westen mit jedem Kriegstag, mit jeder Bombennacht, mit jedem Bericht über die steigende Zahl der Opfer zu. "Saddam steht nicht allein", warnt Nader Kraitt. Die Unterstützung, die Saddam den Familien der palästinensischen Selbstmordattentäter zukommen lässt, "rührt die Araber", sagt er. Und "der Angriff der USA ist für viele Araber ein Beweis, dass Saddam mit seiner Warnung vor den weißen Herrenmenschen, die den Orient unterjochen, Recht hat".

Sonia kehrt zum Tisch zurück. Sie bietet noch Tee an, versucht das Gespräch wieder auf Bücher und Musik zu lenken: "Wir wollen zeigen, was es außer Saddam und Bin Laden noch gibt". Shammas Laute spielt indes das Lied "Al Ameriyya", benannt nach dem bombardierten Bagdader Luftschutzbunker, in dem 1991 über 200 Zivilisten starben. Acht Tage hat Shamma in dem zerstörten Bunker zugebracht, seine Musik als eine Form der Aufarbeitung dieser Tragödie komponiert. Sein Lautenspiel erinnert an das Auf und Ab einer Luftschutzsirene. Von der Friedensdemonstration auf der Straße ist im Geschäft nichts mehr zu hören. Einen bedrückenden Moment lang herrscht in der arabischen Buchhandlung nur mehr der Krieg.

Averroes: Bücher-Musik-Kunst

Schwarzspanierstraße 20, 1090 Wien, Öffnungszeiten: Mo bis Fr 11-18 Uhr

Sa 11-14 Uhr, Tel.: 01 / 40 99 187

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