"Man darf nicht zu empfindlich sein"

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Espresso ist einfach zu bitter, sagt Umyma Mohamad El-Jelede und muss lachen. "Ich erinnere mich noch an meinen ersten Arbeitstag im Frauengesundheitszentrum", sagt die 41-Jährige. Sie war es damals nicht gewohnt, in einem Büro zu arbeiten, in dem es eine Kaffeeküche gab. Sie freute sich irrsinnig, lief immer wieder zum Kaffeeautomaten und trank zwei Wochen lang exzessiv Espressos. "Aber ich hielt einfach nicht durch. Ist man arabischen Kaffee gewohnt, findet man alles andere scheußlich."

Kaffee trinkt sie deshalb fast nur mehr zu Hause. El-Jelede sitzt zusammen mit ihrer Mutter im Wohnzimmer und trinkt arabischen Kaffee aus kleinen Mokkatassen und isst Schokoladenkuchen. Der Raum füllt sich mit dem herrlichen Aroma. Sie hat sich mit ihrer rund zwanzig Jahre älteren Mutter hier, im elften Wiener Gemeindebezirk, ein kleines orientalisches Reich erschaffen. Die Regale, Tische und zwei Sofas sind schwarz, der große Teppich ist rot. An der Wand hängen Familienfotos. Durch die Fenster und die Balkontür strahlt die frühlingshafte Sonne. Es ist Vormittag, und sie hat heute frei.

Referentin und Trainerin

Seit 2007 ist El-Jelede Beraterin bei FEM Süd, dem Gesundheitszentrum für Frauen, Eltern und Mädchen im Kaiser-Franz-Josef-Spital. Frauen aus 60 Herkunftsländern werden hier beraten. El-Jelede spricht arabisch, Deutsch und Englisch mit ihren Klientinnen. Sie engagiert sich seit gut zehn Jahren für Migrantinnen, leitet Gesundheitsworkshops für Frauen, ist im Expertinnenrat für weibliche Genitalverstümmelung, Referentin und Trainerin. Für ihr ungeheures Engagement im Bereich Frauengesundheit ist sie heuer für den MiA-Award nominiert. Sie setzt sich besonders für arabische und afrikanische Frauen in Österreich und ihrer Heimat ein.

Der Preis zeichnet seit 2008 jährlich bemerkenswerte Frauen mit Migrationshintergrund aus, die sowohl beruflich als auch gesellschaftlich Herausragendes geleistet haben. Der Preis wird am Donnerstag in Anwesenheit von Bundespräsident Heinz Fischer in den Kategorien Wissenschaft und Forschung, Wirtschaft, Humanitäres und Gesellschaftliches Engagement, Kunst und Kultur, Sport und Journalismus vergeben. El-Jelede hat die Chance in "humanitäres und gesellschaftliches" Engagement zu gewinnen. "Nach meinem ungewissen Start in Österreich, hätte ich es mir nie gedacht, dass ich so schnell für etwas ausgezeichnet werde", sagt El-Jelede.

Die kleingebaute Frau wuchs im Sudan mit ihren vier Geschwistern und Eltern auf. "Mein Vater war beim Militär. Wir zogen deshalb oft um. Und ich sah immer, wie schlecht es vielen Menschen, vor allem Frauen, ging", sagt sie. "Ein Fehler, den viele Menschen machen, ist, dass sie warten, bis sie um Hilfe gebeten werden. Ich finde aber, man soll helfen, ohne zu warten." Auch heute noch läuft sie durch Wien und spricht arabische beziehungsweise afrikanische Frauen an. "Viele Frauen haben Angst Hilfe von außen anzunehmen. Die will ich ihnen nehmen." Die Frauen vertrauen sich ihr an, denn sie wissen, El-Jelede hat dasselbe durchgemacht wie sie. "Eine beschnittene Frau spricht mit einer anderen beschnittenen anders."

Im Gesundheitszentrum FEM Süd gibt es seit sieben Jahren Beratungsgespräche für von Genitalverstümmelung betroffene und bedrohte Frauen und Mädchen. Man geht davon aus, dass zirka 8000 beschnittene Frauen in Österreich leben. "Wir wollen der bestehenden Tabuisierung bei den Betroffenen und den Communities entgegenwirken", sagt sie. Im Gesundheitszentrum wird eine vertrauensvolle Umgebung geschaffen. "Ich versuche den Frauen auch mitzugeben, wie wichtig Bildung ist und dass sie ihre Kinder unterstützen sollen." Denn gerade Kinder aus Zuwandererfamilien stehen zwischen den Fronten: "Sie werden in die Schule geschickt, sehen dort, wie verschiedenartig Schulkollegen aufwachsen. Dann kommen sie nach Hause und verstehen nicht, warum etwa die Mutter ein Kopftuch trägt." Man müsse deswegen Familien begleiten.

Ausgebildete Fachärztin

El-Jelede setzte sich auch schon in ihrer Heimat für Gesundheit ein, aber nicht beratend, sondern am Operationstisch. Sie studierte an der Universität Tripolis im nordwestlichen Nachbarland Libyen Medizin und absolvierte die Ausbildung zur Fachärztin der Pädiatrie und der Allgemeinen Chirurgie. Das war damals eine reine Männerdomäne, erzählt sie. Die ersten Monate wurde sie von ihrer Kollegschaft auf die Probe gestellt, durfte wenig tun und wurde oft ohne Grund aus dem Operationssaal geschickt. Sie ließ aber nicht locker, das sei nämlich nicht ihre Art. "Tja. Und als sie das merkten, akzeptierten sie mich, und ich wurde ein vollwertiges Mitglied des Spitals." Heute kann sie darüber lachen, fast so, als wüsste sie gar nicht, wie mutig sie damals war.

Die politische Situation in ihrem Heimatland wurde aber immer schlimmer. Es gab für ihre Familie keinen Ausweg mehr. Sie mussten flüchten, um einer Haft zu entgehen. Sie wusste, sie will nach Europa. In welches Land sie kommen würde, stand noch nicht fest. Hauptsache ein Land, in dem Männer und Frauen dieselben Rechte haben, dachte sie sich.

Flucht nach Österreich

Sie flüchtete zusammen mit ihrer Mutter und ihrer Schwester nach Österreich. Der ältere Bruder lebt noch im Sudan, der jüngere in Amsterdam. Als sie Ende 2004 zum ersten Mal durch die Straßen Wiens ging, fühlte sie sich erleichtert. "Frauen trugen Kleider, manche hatten Kopftuch, manche nicht. Jede Frau trug, was sie wollte. Das war ein unfassbar schönes Gefühl", sagt El-Jelede.

Sie lebte drei Jahre lang mit ihrer Mutter in einem Heim in einem Gemeinschaftszimmer. Es waren zermürbende Jahre. Nach negativen Asylbescheiden wurde sie 2007 als Konventionsflüchtling anerkannt.

El-Jelede ist aber jemand, der immer weitermacht, egal wie trist die Situation ist. Anstatt sich im Flüchtlingsheim selbst zu bemitleiden, erkannte sie Potenzial. "Viele Frauen aus verschiedenen Ländern wohnten zusammen. Konflikte entstanden. Ich merkte, wie wichtig interkulturelle Kommunikation ist. Ich organisierte offene Gesprächsrunden und wollte mich in diesem Bereich engagieren", sagt sie. Sie arbeitete in ihren ersten Wien-Jahren im Beratungszentrum für Prostituierte des Vereins "Sophie" und engagiert sich seitdem für sehr viele Initiativen, unter anderem für "Nachbarinnen" in Wien, die sich für eine nachhaltige Verbesserung der Lebensumstände von Migrantinnen in Österreich einsetzt.

El-Jelede kommt selten zur Ruhe, ist ständig unterwegs und kein Kind von Traurigkeit. "Aber klar, man wird als schwarze Frau in Österreich manchmal blöd angesehen." Auch die älteren Frauen in ihrem Wohnhaus hätten am Anfang Probleme mit ihr gehabt und sich "vor den zwei schwarzen Frauen gefürchtet." Aber man dürfe nicht empfindlich sein, "sonst sollte ich gar nicht mehr außer Haus gehen." Es gibt eine Sache, die sie aber bei all ihrem überschwänglichen Optimismus nicht ganz glücklich macht; einen Traum, den sie sich noch erfüllen möchte. Sie will wieder als Ärztin arbeiten. Als afrikanische Frau in Österreich.

Aber leider wird ihr Abschluss nicht anerkannt. Neben ihrer Arbeit fehlt ihr die Zeit, die Prüfungen nachzuholen. Der Kaffee ist mittlerweile getrunken. "Kaffeesudlesen kann ich leider nicht", sagt sie und blickt in ihrer Tasse. "Mal sehen, ob das mit Medizin noch etwas wird."

Mittlerweile hat sie sich aber mit den älteren Damen im Wohnhaus angefreundet. Es hat sich herumgesprochen, dass sie ausgebildete Ärztin ist. Sie kommen zu ihr, um sich den ärztlichen Befund erklären zu lassen.

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