"Man muss die Särge zeigen"

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Sue Niederer über die Lockangebote der US-Army und die Trauer einer Mutter um ihren gefallenen Sohn.

Es war kurz vor dem Beginn des Irak-Krieges, als Seth Niederer mit der Nachricht nach Hause kam, er hätte sich bei der Armee eingeschrieben. Die Rekrutierer, die den 24-Jährigen aus Pennington in New Jersey anheuerten, versprachen ihm, seine Schulden, die sich nach seinem Studium angehäuft hatten, zu übernehmen. Zudem versicherten sie ihm, bei der Suche nach einem Job beim fbi behilflich zu sein. Niemals hat er zu diesem Zeitpunkt daran gedacht, innerhalb weniger Monate an die Front geschickt zu werden, sagt seine Mutter Sue Niederer. Im Februar 2004, nach fünf Monaten Dienst im Irak, ist Seth Niederer, durch eine Bombe in Al Iskandariyah gefallen. Seine Mutter engagiert sich seither in der Anti-Kriegsbewegung und hat ein Stipendiumprogramm im Namen ihres Sohnes ins Leben gerufen. Sozial und wirtschaftlich benachteiligten Kindern soll damit der College-Besuch ermöglicht werden.

Die Furche: Präsident George Bush lobt in seinen Reden stets die "Freiwilligkeit" bei der us-Armee. Viele Europäer glauben daher, dass us-Soldaten selber schuld seien, im Irak stationiert zu sein. Wie freiwillig gehen Amerikaner zum Militär?

Sue Niederer: Weil es einen Einschreibe-Rückgang gibt, versuchen die Rekrutierer alles nur Erdenkliche, um die Kids zu ködern. Die Mehrheit der im Irak stationierten Soldaten ist unter 25 Jahre alt. Die meisten von ihnen haben kein Geld für eine Ausbildung und keine Aussicht auf einen Job. Sie kommen aus armen Familien. Sie wissen nicht, auf was sie sich einlassen. Man verspricht ihnen Geld, Heldenstatus und dass sie andere Länder kennen lernen. In dieser Hinsicht sind sie unfreiwillig im Krieg. Man führt sie hinters Licht. Die Rekrutierer sind geschickte Verkäufer.

Die Furche: Hatte Ihr Sohn militärische Vorkenntnisse, bevor er in den Irak geschickt wurde?

Niederer: Nein, überhaupt nicht. Er beendete seine dreimonatige Grundausbildung im Juli 2003. Zwei Tage später wurde er nach Übersee geschickt. Er hatte keine Ahnung von dem, was ihn erwartete. Und bereits Mitte Oktober 2004 wurde er im Irak losgeschickt, um mit seiner Einheit Roadside-Bomben ausfindig zu machen. Und das ohne Training und passende Schutzausrüstung. Sobald du solche Bomben findest, bist du tot, denn diese Bomben werden ferngesteuert gezündet. Und so ist er auch gestorben.

Die Furche: Was haben Sie getan, während Ihr Sohn im Irak war? Wie sind Sie damit umgegangen?

Niederer: Ich habe viel mit meinem Mann und meinen Schulkindern geredet; ich haben viel gebetet und mich mit lieben Freunden umgeben. Ich musste ständig etwas tun. Ich habe sogar, um mich abzulenken, zehn Bäume in meinem Garten gepflanzt. Alle sind nach bestimmten, für meinen Sohn wichtigen Ereignissen und Personen benannt. Einer trägt den Namen seiner Frau.

Die Furche: Einem Bericht der "la Times" zufolge wurde im letzten halben Jahr kein einziges Bild eines toten Soldaten in den großen Zeitungen des Landes veröffentlicht - ist das ein Versäumnis, sollen Bilder toter Soldaten oder deren Särge gezeigt werden?

Niederer: Man muss die Särge zeigen und die Familien, die an den Gräbern weinen. Diese Bilder visualisieren den Preis, den wir für diesen Krieg bezahlen. Das ist die Realität. Man hört nur von Zahlen der Gefallenen, aber diese sagen nichts aus. Erst wenn man das Leiden der Familien sieht, hat man eine Ahnung, was Krieg bedeutet.

Die Furche: Was denken Sie, wenn sie an die Tausenden Zivilisten im Irak denken, die umgekommen sind?

Niederer: Das letzte, was mein Sohn zu mir sagte, war: "Wir wissen einfach nicht, wem wir hier trauen können." Ein Iraker hat meinen Sohn getötet. Es klingt hart, aber ich habe keine Kraft, an diese Menschen zu denken.

Die Furche: Seit dem Tod ihres Sohnes engagieren sie sich in der Anti-Kriegsbewegung. Was ist ihr Ziel?

Niederer: Wir wollen erreichen, dass die Truppen den Irak verlassen. Wir wollen die aggressive Rekrutierungspraxis in den usa stoppen. Wir wollen, dass Präsident Bush zugibt, dass wir den Krieg verloren haben. Und er muss sich bei den Familien entschuldigen, die Tote und Verwundete zu beklagen haben.

Das Gespräch führte Heike Warmuth.

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