Masse, Macht und Machbares

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Politisches Gespür ist zu wenig. Wir brauchen Strukturen, in denen die Bürger und Bürgerinnen selbst zu Wort kommen. Anmerkungen zum Interview mit Gerhard Hirschmann (furche Nr. 18).

Gerhard Hirschmann formuliert, Regierungen in Massendemokratien seien kaum in der Lage, der Gesellschaft in Zukunftsfragen einen Kompass zu geben, gerade die konservativen Parteien bräuchten jedoch ein Gespür für soziale Erfordernisse. Ich halte wenig davon, wenn mit "Gespür" ausschließlich die politische Spürnase gemeint ist, die bei der Lektüre der morgendlichen Zeitung ein populäres Thema entdeckt. Politisches Gespür ist zu wenig, wenn nicht zusätzlich der ständige Dialog zwischen Politikern und BürgerInnen gepflegt wird.

Dass der direkte Kontakt einzelner Politiker zu einer großen Zahl von BürgerInnen in einer Massendemokratie äußerst schwierig zu organisieren, geschweige denn zu institutionalisieren ist, kann nicht bestritten werden. Es führt jedoch kein Weg daran vorbei. Ich bin ein großer Fan dieser von manchen so bezeichneten "politischen Kleinarbeit", und es ist einen Versuch wert, Strukturen aufzubauen, in denen BürgerInnen tatsächlich zu Wort kommen. Das bedeutet natürlich auch, dass Themen der BürgerInnen weiter bearbeitet werden und nicht nur "einmal gesagt" werden dürfen.

Ich glaube, mit der Diskussion über Reformen im Schulwesen ist uns das in der Steiermark bisher ganz gut gelungen. Nur über die Fragen und Ideen der BürgerInnen kommen wir zu den Kernpunkten notwendiger politischer Schritte. Wir müssen uns die grundsätzliche Frage stellen: Mit wem werden Zukunftsfragen eigentlich diskutiert? Mit der unterbezahlten Raumpflegerin, die haarscharf am Existenzminimum vorbeischrammt - oder mit dem Universitätsprofessor, der sicher fundiert aber dennoch abstrakt analysiert? Mit beiden ist der Dialog zu führen, die Raumpflegerin wurde bisher jedoch von niemandem befragt.

Gerhard Hirschmann beschäftigt sich mit dem heute gängigen Thema des (Ein-)Sparens. Wir können uns organisatorisch alles mögliche sparen, teils müssen wir sparen, weil uns Geld fehlt. Die österreichischen Landtage auflösen ist anscheinend für Hirschmann kein Thema mehr, vom Generallandtag scheint er sich verabschiedet zu haben. Dafür jedoch sei der Bundespräsident verzichtbar. Konform gehe ich mit Gerhard Hirschmann dahingehend, dass es neue Aufgaben für die Vertreter des Volkes im Parlament und in den Landtagen gibt. Europäische Vorgaben in Bundes- oder Landesgesetze zu transformieren, kann nicht Existenzberechtigung dieser Gremien sein.

Andere Aufgaben stehen schon bereit. Es braucht für Bürgerbeteiligung Rezipienten und Vermittler. Es kann nicht ausschließlich Aufgabe der Medien sein, politische Inhalte zu transportieren. Dafür müssen sich die Mandatare in Zukunft bereithalten.

Wir brauchen ein breites Netz der Kontakte vor Ort in den Gemeinden. Kontakt, wie er heute medienwirksam im (bestenfalls) Dreißig-Minuten-Takt zwischen den Terminen geschieht, meine ich damit ausdrücklich nicht! Politik muss in den Gemeinden Diskussionsthema sein, Mandatare müssen Ideen mitbringen und Ideen aufnehmen. Das funktioniert nur im Dialog, und der braucht seine Zeit. Eine Herausforderung für alle, die mit Politik zu tun haben.

Der Gottesbezug in der Verfassung wird von Gerhard Hirschmann nicht angesprochen, dafür aber der Bundesrat zu Gott in Bezug gesetzt: "Gott bewahre uns vor einer Aufwertung des Bundesrats!" Ich glaube, eine Aufwertung kann nicht schaden, wenn man darunter versteht, dass sinnvoll umgebaut wird. Es ist nicht sinnvoll, dass man sich als Bundesrat mit Themen befassen muss, die längst beschlossen sind und auch nicht mehr verändert werden können. Der Handlungsspielraum des Bundesrates ist zu klein. Eine Aufwertung käme übrigens genau denen zugute, die täglich vor Ort das Gespräch mit den BürgerInnen führen - den BürgermeisterInnen, denn diese sind zahlenmäßig im Bundesrat stark vertreten. Vor Ort zeigt sich letztlich, was das Machbare ist.

Univ.-Doz. Dr. Andreas Schnider ist Bundesrat und Landesgeschäftsführer der Steirischen Volkspartei.

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