Mauern, Zäune bis zum Mond

Werbung
Werbung
Werbung

Chinesische Mauer, römischer Limes, Berliner Mauer, Zäune auf Zypern, zwischen Nord- und Südkorea, USA und Mexiko, Kuwait und Irak, Indien und Pakistan, rund um Ceuta und Melilla: der Wall zwischen Israel und dem Westjordanland ist in "guter Gesellschaft".

Was hat der Mann im Mond gedacht, als er die Chinesische Mauer auf der Erde entdeckte? Es muss so etwas wie Menschen geben, war wahrscheinlich seine erste Vermutung: Wer sonst braucht Mauern, Zäune, Grenzen? Bezeichnend ist, dass ausgerechnet eine Mauer das einzige Bauwerk von Menschenhand ist, das vom Mond aus zu erkennen ist - ein Grenzwall als menschliche Vistenkarte für den Weltraum dient.

"An und für sich ist eine Mauer nichts Schlechtes", sagt Heinz Magenheimer, "entscheidend ist der Geist, der dahinter steht." Eine Grenzbefestigung kann auch Friedenszeiten einläuten, ist der Militärhistoriker an der Wiener Landesverteidigungsakademie überzeugt und verweist auf die Große Mauer, die China 1.400 Jahre geschützt hat. Ihre Erbauer "waren dem sinnlosen Militarismus Europas voraus", meint William Edgar Geil, ein Amerikaner, der 1909 als Erster die Mauer von einem Ende zum andern bereiste. "Eine Mauer, um die Lebenden zu beschützen, ist besser als ein Graben, um die Toten darin zuzudecken", preist Geil das Bauwerk.

Trügerische Sicherheit

Die Mauer hat die Chinesen in Sicherheit gewiegt, verdeutlicht Magenheimer einen negativen Effekt des Bollwerks. "Es sind nicht die Mauern, welche die Stadt schützen, sondern die Bewaffneten auf den Mauern", zitiert er eine antike Weisheit - die Chinesen haben allein auf die Abschreckungswirkung der Mauer vertraut - das war ihr Verhängnis.

"Maginot-Mentalität", benannt nach dem von der deutschen Wehrmacht überrannten französischen Verteidigungswall, lautet der Fachausdruck für das trügerische Sicherheitsgefühl hinter Befestigungsanlagen. Heute warnen israelische Intellektuelle vor dieser fatalen Fehleinschätzung: Die Mauer zwischen Israel und den Palästinensergebieten gibt der Bevölkerung ein falsches Gefühl von Sicherheit, das mit Leichtigkeit als Ersatz für einen Friedensprozess missverstanden werden könnte, fürchtet der Schriftsteller David Grossmann. In die gleiche Kerbe schlägt der Historiker Mosche Zimmermann: "Der Zaun ermöglicht die Aufrechterhaltung einer Illusion. Wir werden die Palästinenser los, ohne die Besatzung ihrer Gebiete aufzuheben."

Pufferzonen machen Sinn

Der Streit über die Rechtmäßigkeit der Sperranlage im Westjordanland ist mittlerweile beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag anhängig. Israelis nennen das Bauwerk "Terrorabwehrzaun", die Palästinenser brandmarken es als "Apartheidmauer". Der Wall, der 700 Kilometer lang werden soll, ist eine Kombination aus Mauer- und Zaunanlagen. 180 Kilometer der "seperation wall" sind bereits gebaut.

"Ein Zaun ist ein greifbares Symbol für einen Konflikt", sagt Otmar Höll, Chef des Österreichischen Instituts für Internationale Politik (OIIP). "Und ein Zaun schafft wichtige Distanz", fügt der Konfliktforscher hinzu: Deeskalation ist möglich, "wenn die Gegner nicht aufeinander picken". Pufferzonen machen geopolitisch Sinn, meint Höll. Bei der israelisch-palästinensischen Grenzanlage sieht er den positiven Effekt von starken Grenzen aber nicht gegeben: "Dieser Zaun schafft keine Distanz, sondern ist durch die ungerechtfertigte Landnahme eine zusätzliche Provokation."

Was viele Palästinenser verbittert, ist nicht die Sperranlage selbst, sondern ihr Verlauf. Sie weicht von der bis 1967 gültigen Grenze ab und schneidet in palästinensisches Gebiet ein. Entlang der Mauer reihen sich Einzelschicksale, wie das von Mohammed Mussa und seinem Olivenhain. Mitten durch die Pflanzung soll die Mauer laufen. Paradoxerweise sind es palästinensische Arbeiter, die den Wall im Auftrag der Israelis bauen. "Die brauchen das Geld", seufzt Mussa. "Wir können es ihnen nicht Übel nehmen."

Mit ihrem Protest sind die Palästinenser nicht allein: Die EU hat Israel aufgefordert, den Bau einzustellen und bereits vollendete Abschnitte zu beseitigen. Und mit den Stimmen von 144 Staaten (bei vier Gegenstimmen - Israel, USA, Mikronesien und Marshall-Inseln) bläst die Uno-Generalversammlung in dasselbe Horn - das diese Mauern vor Jericho zum Umfallen bringen soll.

Indischen Zaun vergessen

Diese massive Parteinahme gegen Israel sei nicht gerechtfertigt, meint der US-Sicherheitsexperte Gal Luft. In einem Gastkommentar im Standard kritisiert Luft, dass die Medien den israelischen-palästinensischen Zaun hochspielen, während sie den ebenfalls im Bau befindlichen indisch-pakistanischen Zaun völlig außer Acht lassen. "Es ist wohl kein Zufall", schreibt Luft, "dass der indische Zaun international nicht verurteilt wird, wie das im Fall Israels geschieht." Luft fürchtet, dass wir Medienkonsumenten bald von einem Zaun umgeben sein werden, "der uns zunehmend die Sicht auf die Angelegenheiten der realen Welt verstellt".

Zaun gegen Waffen & Drogen

Um jeder Einseitigkeit vorzubeugen, wird der Blick nach Indien ausgeweitet - davor sei der Vollständigkeit halber aber angeführt, dass Israel auch an der Grenze zum Libanon und zu Jordanien Wehranlagen mit elektrischen Zäunen und Minenfeldern betreibt.

Indien errichtet einen Stacheldrahtzaun entlang der 745 Kilometer langen Grenze zwischen dem indischen und pakistanischen Teil von Kaschmir. Im Unterschied zu Israel wird der Zaun aber zehn Kilometer von der Grenze entfernt auf indischem Gebiet errichtet. Rund 4.000 Soldaten sind an dem Bau beteiligt. Ein Fünftel der Grenzbefestigung sei fertig, hieß es Ende letzten Jahres, der Rest solle bis Mitte 2005 folgen. Zudem plant die indische Regierung den Bau eines Zauns an der Grenze zu Burma, um Rebellen zu stoppen und den Schmuggel von Waffen und Drogen besser kontrollieren zu können.

Zwischen dem indischen Amritsar und dem pakistanischen Lahore liegt der einzige Übergang entlang der gemeinsamen Grenze. Und täglich vollzieht sich hier ein bizarres Schauspiel: Tribünen für bis zu 5.000 Besucher hüben und drüben füllen sich allabendlich mit begeisterten Patrioten, die ihre Soldaten bei der Flaggenzeremonie anfeuern. Die Massen toben, als sich sich die Posten Auge in Auge gegenüber stehen. Minuten später sind die Fahnen eingeholt, und die Tore werden mit lautem Krachen zugeschlagen. Das Spektakel ist vorbei. "Eigentlich sind wir Brüder, auch wenn es gerade anders ausgesehen haben muss", sagt ein Inder zu dem Journalisten neben ihm.

Nord- und Südkorea sind weitere Brudervölker, deren Armeen seit über 50 Jahren am stärksten gesicherten Grenzwall der Welt waffenstarrend gegenüberstehen.

Ähnlich gut gesichert ist die Grenze zum US-Flottenstützpunkt Guantanámo auf Kuba. Wachturm reiht sich an Wachturm, und bis zu 90 Millimeter nähern sich die beiden Grenzzäune an, an deren Verlauf 65.000 Minen vergraben sein sollen.

Zäune gegen Einwanderer

Keine Minen, dafür mit Hunden und Nachtsichtgeräten ausgerüstete Border-Patrols erwarten mexikanische Flüchtlinge, wenn sie die Grenze nach den USA überwinden. Viele wählen den gefährlichen Weg durch die Wüste, um den bis zu drei Meter hohen Stahlwänden auszuweichen, die den Grenzverlauf über hunderte Kilometer hinweg bestimmen.

Ebenfalls gegen illegale Einwanderer sind die scharf bewachten Zäune rund um die spanischen Enklaven Ceuta und Melilla in Nordafrika gerichtet. Mit wenig Erfolg sagt ein Grenzer: "Diese Zäune können keine Menschen aufhalten, die Tausende Kilometer zu Fuß hinter sich haben."

Bei einem einzigen Zaun gibt es berechtigte Hoffnung, dass er nicht mehr allzulange trennen wird: Zypern soll ungeteilt in die Europäische Union. Schade, dass dieser Grenzabbau vom Mond aus nicht sichtbar ist.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung