"Medien haben den Krieg angeheizt"

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Anat Saragusti war eine der "führenden Frauen" bei der letzwöchigen "Women Leaders"-Konferenz, zu der Außenministerin Ursula Plassnik nach Wien geladen hat. Vor und während der publicityträchtigen Auftritte der Promi-Frauen wurde nämlich auf dieser Konferenz auch wirklich "genetzwerkt" - wie und wozu, das lesen Sie in diesem Furche-Gespräch.

Die Furche: Frau Saragusti, Sie haben an der letztwöchigen Frauen-Nahostkonferenz in Wien teilgenommen; in der "Presse" wurde diese Veranstaltung als "Weltzentrum der Leerformeln und diplomatischen Gemeinplätze" abgekanzelt - sehen Sie das als Teilnehmerin auch so?

Anat Saragusti: Es ist immer schwierig, den konkreten Nutzen solcher Treffen zu evaluieren; ich würde aber die Bilanz dieser Konferenz nicht negativ beurteilen: Es hat viel Netzwerkarbeit stattgefunden, Frauen mit ähnlichen Anliegen haben sich getroffen - daraus kann viel Positives entstehen, mittelfristig, längerfristig …

Die Furche: Die israelische Außenministerin Tzipi Livni war ebenfalls anwesend - ich kann mich nicht erinnern, dass sie sich vorher jemals für den Friedensprozess im Nahen Osten besonders stark gemacht hat.

Saragusti: Das stimmt so nicht, Livni hat im letzten Jahr vor Beginn des Libanon-Krieges durchaus kritische und zweifelnde Fragen zur Sinnhaftigkeit dieses Angriffs gestellt, aber sie wurde zu wenig gehört. Die israelischen Medien gaben ihr in dieser Situation keine Stimme …

Die Furche: Das verwundert jetzt schon, dass Sie als prononcierte israelische Friedensaktivistin für die Außenministerin Partei ergreifen …

Saragusti: In diesem Fall war Livni eine besonnene Stimme und eine der wenigen Frauenstimmen in diesem von Männern dominierten Kriegsgebrüll. Das zeigt die von der Nicht-Regierungsorganisation "Keshev" durchgeführte Medienanalyse zum Libanon-Krieg sehr genau.

Die Furche: "Keshev" untersucht mit einer palästinensischen Partnerorganisation die Kriegs-Berichterstattung der jeweils eigenen Medien - in Kürze wird ein Bericht zum Libanon herauskommen …

Saragusti: … der zeigt, dass die israelischen Medien den Konflikt angeheizt haben; sie haben auch insofern zum Ausbruch des Krieges beigetragen, als sie unsere politischen Führer ermutigten, stärker und mit mehr Gewalt gegen den Libanon vorzugehen.

Die Furche: Gilt diese Aussage für alle israelischen Medien - stehen die Qualitätsmedien ebenso am Pranger wie der Boulevard?

Saragusti: Wirkliche Unterschiede zwischen Boulevard und seriösen Titeln gibt es in dieser Frage keine. Wenn man tief in die Geschichten eintaucht, die Artikel bis zur letzten Zeile liest, dann findet man vielleicht eine differenzierte Sicht - aber angekündigt wurden alle diese Artikel mit Schlagzeilen, die den Krieg unterstützten. Generell gilt: Alle israelischen Medien haben den Krieg unterstützt und kritischen bzw. den Krieg hinterfragenden Stimmen keine Plattform geboten.

Die Furche: Stellt sich die Frage: Warum diese Kriegstreiberei?

Saragusti: Vielleicht um mit der öffentlichen Meinung konform zu gehen, diese zu unterstützen; oder ganz einfach, weil Krieg in den Schlagzeilen mehr sexy ist - ich weiß auch nicht warum …

Die Furche: Sie waren als Fernsehjournalistin ja selber mit dabei - wurden Sie in Ihrer Arbeit behindert?

Saragusti: Zuerst als Frau und dann als Medienmacherin kommt mir vor, dass uns die israelischen Medien kaum eine Stimme gegeben haben; Frauen waren total von der Berichterstattung ausgeschlossen, ganz besonders im TV. Mein Fernsehsender hat 24 Stunden am Tag live berichtet: Anfangs waren Frauen völlig unsichtbar; vorgekommen sind sie erst zwei Wochen nach Kriegsausbruch und dann nur in der Rolle von Soldatenfrauen oder Soldatenmüttern. Es waren nie Frauen zu sehen oder von Frauen zu lesen, die den Krieg oder die Politik dahinter analysieren durften - diese Rolle war den Generälen vorbehalten. Die israelische Sicht auf diesen Krieg wurde modelliert von Armee-oder Ex-Armee-Männern.

Die Furche: Gilt dieser Befund auch für die palästinensische Seite?

Saragusti: Definitiv ja. Auch in den palästinensischen Medien haben die Schlagzeilen oft den Artikeln widersprochen - waren mehr sexy, aggressiver … Die Sprachwahl ist da wie dort die gleiche: Es wird auf ein Wörterset voller schlechter Assoziationen zurückgegriffen, um eine Entmenschlichung zu erreichen.

Die Furche: Entmenschlichung?

Saragusti: Und Entpersonalisierung - die Person X wird zum "radikalen Palästinenser", die Person Y zum "Terroristen", ohne dass jemand fragt, wer diese Menschen eigentlich sind und was sie wollen.

Die Furche: Was will "Keshev" mit diesen Berichten erreichen?

Saragusti: Wir wollen Medienleute nicht beschuldigen, sondern einen Dialog, um das Bewusstsein für diese Fragen zu schärfen. Wir hätten den Krieg nicht verhindern können, aber wir hätten ihn anzweifeln müssen.

Die Furche: Heute gibt es deutlich mehr Zweifler an diesem Krieg, auch Ministerpräsident Ehud Olmert ist deswegen unter schweren Beschuss geraten - müssten da nicht auch die in Verantwortung genommen werden?

Saragusti: Es gab auch eine offizielle Untersuchung über die Rolle der Medien, aber in die gegenteilige Richtung: Die israelische Öffentlichkeit beschuldigt die eigenen Medien, dem Feind geholfen zu haben und nicht patriotisch genug gewesen zu sein …

Die Furche: Also das Gegenteil dessen, was "Keshev" kritisiert.

Saragusti: Ja, eine völlig andere Sichtweise, die breite Öffentlichkeit denkt, "ihre" Medien sollten ganz und gar und immer auf der Seite der Regierung stehen.

Die Furche: Das sollte ja bald schon wieder möglich sein, es gibt Befürchtungen, ein nächster Krieg gegen den Libanon ist in Planung.

Saragusti: Ich weiß und ich hoffe, dass es nicht dazu kommt, aber ich bin sehr pessimistisch - fragen Sie mich nicht solche Fragen …

Das Gespräch führte Wolfgang Machreich.

Reporterin über alle Linien hinweg

Zugegeben, Anat Saragusti war nicht die erste Wahl für dieses Furche-Gespräch; eigentlich wollte ich bei der "Women Leaders"-Konferenz die irakische Journalistin Selwa Zako interviewen - die man zum besseren Verständnis hierzulande am ehesten als Iraks Anneliese Rohrer, was ihre Arbeitserfahrung und Direkt- und Unerschrockenheit betrifft, bezeichnen könnte. "Frau Zako ist nicht gekommen", sagt mir aber bei meinem Eintreffen Standard-Redakteurin und Furche-Kolumnistin Gudrun Harrer, die als die österreichische Spezialistin für den Irak und die Region den Medien-Workshop geleitet hat.

"Gut, dass ich mich noch auf eine zweite Frau auf dieser Konferenz vorbereitet habe", denk ich mir und steuere auf Hussniya Jabara zu, die erste arabische Abgeordnete in der israelischen Knesset. Arabische Israelis - eine interessante Mischung, umso mehr, als ihnen jetzt die offene Feindschaft rechter israelischer Kreise entgegenschlägt und der bekannteste arabische-Knesset-Abgeordnete Azmi Bishara nach Spitzelvorwürfen untertauchen musste. Leider wird auch aus diesem Gespräch nichts - Frau Jabara lehnt ab. Und das obwohl Nahost-Experte John Bunzl (OIIP) aus dem Iwrith (Hebräischen) übersetzt hätte.

Bunzl rät, Anat Saragusti um ein Gespräch zu bitten. Nicht nur, dass sich die Fernsehjournalistin (Channel 2 News, Tel Aviv) bei "Keshev" engagiert (siehe Gespräch). 1982 wurde Saragusti berühmt, als sie sich mit dem Friedensaktivisten Uri Avnery über alle Linien hinweg ins belagerte Ost-Beirut durchkämpfte, um das erste Interview mit dem Feind schlechthin, Jassir Arafat, zu führen. "Als wir zurückkamen, wurden wir als Verräter beschimpft", erzählt Saragusti - eine Rolle, die sie bis heute bewusst beibehalten hat. WM

Weitere Info unter: www.keshev.org.il

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