Mehr Leben in die Flüsse

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Der Hochwasserschutz hat Bäche und Flüsse vielfach zu Gerinnen degradiert. Viele Gründe erfordern ihre Revitalisierung.

Die materiellen Schäden sind zum großen Teil behoben, die Häuser wieder aufgebaut. Die Wunden an den Seelen der Menschen sind geblieben, mit jedem Regen kommt auch wieder die Angst. Im August des vergangenen Jahres wurde Ostösterreich von einer verheerenden Hochwasserkatastrophe heimgesucht. Existenzen wurden vernichtet, Todesopfer waren zu beklagen. Über die Ursachen der Flut und die Maßnahmen zur Verhinderung diskutieren die Experten noch heute.

Der Grund für die verheerenden Ausmaße der Hochwasserereignisse in den letzten Jahrzehnten ist hausgemacht. Früher konnten Fließgewässer ihrem natürlichen Lauf folgen und ausgedehnte Flussauen bilden. Das Wasser hatte Raum, um sich auch bei starken Niederschlägen zu verteilen und im Boden zu versickern. Die Augebiete wirkten wie riesige Schwämme, die das Wasser aufsogen und langsam wieder an das Gewässer abgaben.

Zu Gerinnen degradiert

Doch Gewässer hatten schon immer eine magische Anziehungskraft auf den Menschen. Flusslandschaften waren der bevorzugte Raum für große Siedlungen. Mit zunehmender Besiedlungsdichte rückten die Menschen näher an die Gewässer heran. Eine vorausschauende Raumplanung gab es nicht. Hochwassergefährdete Gebiete wurden bebaut.

Nach den ersten Katastrophen kam der Ruf nach Zähmung der Natur. Viele Bäche und Flüsse wurden im Zuge des Hochwasserschutzes zu Gerinnen degradiert. Die Gewässer verloren ihre ökologische Unschuld. Die Zeit der Regulierungen war angebrochen. Die Begradigung der Flussläufe und die Befestigung der Ufer sollte die Wassermassen schneller ableiten und damit die umgebenden Siedlungen schützen.

Regulierungen bedeuten einen schnelleren Abfluss des Wassers vor allem aus dem Oberlauf der Flüsse. Dort ist die Gefahr vorerst gebannt. Im unteren Abschnitt des Gewässers kommt es in der Folge aber zur Katastrophe. Die Gewässer schwellen an, das Wasser findet keinen Platz mehr, der Fluss tritt über die Ufer.

Doch die unbeabsichtigte Verstärkung der Hochwasserwelle ist nur eine der negativen Auswirkungen der flächendeckenden Verbauung unserer Flüsse. Mit dem Verlust der Vielfalt ging der ökologische Wert der Gewässer verloren. In monotonen Gerinnen ohne Uferbewuchs und abwechslungsreiche Kleinlebensräume fühlen sich nur wenige Tiere und Pflanzen wohl. Viele Arten wurden verdrängt und finden sich heute auf der roten Liste der gefährdeten oder ausgestorbenen Arten wieder.

Keine Selbstreinigung mehr

Mit der ökologischen Funktionsfähigkeit ging aber auch die Kraft der Gewässer zur Selbstreinigung im wahrsten Sinne den Bach hinunter. Das radikale Ausräumen von Gewässern und die Rodung der Flussbegleitflora sind massive Eingriffe in das ökologische Gleichgewicht. Die fehlende Beschattung bedingt eine starke Erwärmung des Wassers und eine verstärkte Algenbildung. Die Belastung mit Nährstoffen steigt, die Wasserqualität verschlechtert sich rapide und kann in extremen Fällen zu einem Umkippen des Gewässers führen.

Was aber noch mehr ins Gewicht fällt, ist die ökologische Katastrophe, die solche Maßnahmen in einem Gewässer auslösen. Die Selbstreinigungskräfte werden geschwächt, die Vielfalt an Lebewesen nimmt drastisch ab, das Gewässer verkommt zu einem leblosen Gerinne.

Passiver Hochwasserschutz

Die letzten Jahre zeigen uns, dass es auch anders geht. Gezielter Hochwasserschutz und der Erhalt der ökologischen Funktionsfähigkeit eines Gewässers müssen sich nicht ausschließen. Ziel bei allen Überlegungen ist es, das Wasser in der Landschaft zurückzuhalten und das schrittweise Abgeben nach dem Niederschlagsereignis zu ermöglichen.

Moderner Wasserbau setzt immer stärker auf den passiven Hochwasserschutz, bei dem den Flüssen jener Raum gegeben wird, den sie für den Rückhalt von Hochwässern brauchen. Retentionsmaßnahmen wie Rückhaltebecken oder Überflutungsgebiete entstanden. Harte Verbauungen, Trapezprofile und Regulierungen der alten Schule werden nur mehr dort eingesetzt, wo sie tatsächlich notwendig sind. Die brutalen Regulierungen der Vergangenheit werden heute wieder entfernt.

Die Revitalisierung der Flüsse bringt aber noch viele andere Vorteile. Flüsse und Bäche werden wieder zu Erholungsgebieten für die Menschen. Leben kehrt ein an unseren Gewässern. Die naturnahe Gestaltung der Gewässer bedeutet eine höhere Artenvielfalt. Damit erhöht sich die Fähigkeit zur Selbstreinigung und in der Folge die Gewässergüte. Doch nicht nur die Qualität der Oberflächengewässer steigt. Auwälder und natürliche Flusslandschaften sind billige und verlässliche Aufbereitungsanlagen für das Grundwasser. Und sichern damit auch in Zukunft die Versorgung mit sauberem Trinkwasser!

Beispiele für diesen positiven Trend gibt es viele. Die Großache etwa verursachte bei den Hochwässern 1991 und 1995 schwere Schäden in der Tiroler Gemeinde Kirchberg. Die Schutzdämme aus den zwanziger Jahren bieten heute keinen wirksamen Rückhalt mehr. An der Großache wurden zusätzliche Flächen für den Hochwasserrückhalt geschaffen. Damit erhielt sie wieder die Charakteristik eines Gebirgsflusses mit weit verzweigtem Verlauf. Viele seltene Tierarten haben das Gebiet inzwischen wieder besiedelt.

Überflutung freier Flächen

Die Lafnitz an der steirischburgenländischen Grenze ist einer der wenigen naturnahen Tieflandflüsse Österreichs. Hier wird seit den achtziger Jahren erfolgreich der passive Hochwasserschutz angewandt. Durch Kauf oder Entschädigung wurden freie Flächen für die Retention geschaffen. Die Lafnitz darf über ihre Ufer treten. Damit ist neben dem Hochwasserschutz für die nahen Gemeinden auch sichergestellt, dass eine der schönsten Flusslandschaften Mitteleuropas erhalten bleibt.

Die Pielach in Niederösterreich ist eines der letzten Refugien des Huchen. Gefährdet ist die Population dieses Raubfisches allerdings durch zahlreiche Wehre, die den Flusslauf unterbrechen. Die Öffnung dieser Hindernisse und die Vernetzung der Pielach mit Melk und Donau schaffen heute einen Gewässerverbund mit insgesamt 78 Kilometern Länge.

Nur drei Beispiele von vielen, die das Umdenken im modernen Wasserbau belegen. Gewinner in diesem Prozess sind nicht nur die Menschen, die nachhaltigen Schutz vor Hochwasserkatastrophen finden, sondern auch die Gewässer. Denn nur lebendige Bäche und Flüsse können die Lebensadern der Natur sein.

Der Autor ist Mitarbeiter von "die umweltberatung".

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