Mehr Staat, der Teilungsregeln vorgibt

19451960198020002020

Immer weniger tragen die Nutznießer der Kapitalerträge zur Finanzierung allgemeiner Aufgaben bei - das ist zu ändern.

19451960198020002020

Immer weniger tragen die Nutznießer der Kapitalerträge zur Finanzierung allgemeiner Aufgaben bei - das ist zu ändern.

Werbung
Werbung
Werbung

Als ob die Sozialkosten für ein hochproduktives Land der entscheidende Faktor für Wohlfahrt und sozialen Frieden wären! Die Polarisierung über den Sozialstaat - nun schon länger als zwei Jahrzehnte das griffige Hauptthema politischer Auseinandersetzung - hat offenbar über die Sache hinaus eine tiefere Bedeutung. Das geht unter im Getöse von Angriff und Verteidigung. Hier: Der aufgeblähte, zum Missbrauch einladende Sozialstaat behindert im überlebensnotwendigen Wettbewerb - Stichwort Standortekonkurrenz. Dort: Nur das Verteidigen dieser und jener Transfers und des Regelarbeitsvertrags mildert Ungerechtigkeit und Armut. Und die Angreifer haben Oberwasser.

Zunehmend misslingt die Verteidigung, notgedrungen lassen die einen gegen die anderen sich ausspielen. Wir haben es zu tun mit einer kulturellen Hegemonie der Vorteilsmaximierer. Nur quantitativer Erfolg zählt: schneller sein und mehr Geld machen. Die Moral der rücksichtslosen Bereicherung ist systemisch geworden, exemplarisch als Vorrang des Shareholder value. Das prägt nicht allein die schmale Schicht der Reichen und Mächtigen. Es ist Vorbild; und wer ist nicht Mitläufer? Damit ist kein Staat, auch kein Sozialstaat zu machen.

Die Kritik am Sozialstaat ist nur das auffälligste Moment einer Abwertung von Politik und Staat überhaupt. Im zweiten Jahrzehnt der Gegenreform haben mächtige Akteure ihr Spielfeld über jegliche politische Grenzen ausgeweitet und Spielregeln zu ihren Gunsten durchgesetzt: Politik und die Staaten als Handlanger einer verdrängerischen Bereicherung.

Das Ausschalten von Demokratie und Republik ist der Inhalt der laufenden Gegenreform. Die Kehrseite ist ein Schwund von politischer Handlungsfähigkeit, und dies nicht bei Parteien und Regierungen allein, sondern vor allem bei den zu Mitläufern domestizierten Mehrheiten.

Verteidigung genügt daher nicht. Die bürokratisierten Sozialdienste können das Anwachsen von Armut und Elend nicht verhindern, ersetzen eine Ungerechtigkeit durch die nächste; sie entmündigen. Was Not tut, ist ein ehrgeizigeres Vorhaben. Ohne ein allgemeines unbedingtes Einkommen geht gar nichts mehr. Die Reichtumsproduktion erlaubt es, allen, losgelöst von Erwerbsarbeit und von Symptomen der Bedürftigkeit, Geld zur Teilnahme am Leben zu geben als Voraussetzung für sozialen Frieden. Geld allein freilich tut es nicht. Allen soll der Zugang zu sinnvollen Tätigkeiten ermöglicht werden. Drittens ist quer zur privaten Bereicherung die Erneuerung der sozialen und ökologischen Gemeingüter das Programm der Zukunft.

Eine dreifache Innovation dieser Art kann die Qualität des Sozialen verwandeln. Gewiss, auch ein unbedingtes Einkommen macht Mitläufer nicht automatisch zu handelnden Staatsbürgern. Aber es gibt vielen die Chance dazu.

Also neuerlich der Ruf nach Umverteilung? Immer weniger tragen die Vermögenden und Nutznießer der Kapitalerträge zur Finanzierung der allgemeinen Aufgaben bei; das ist zu ändern. Aber Umverteilung, so nötig sie ist, geschieht immer hintennach und ist nur quantitativ: Ein Teilen zwischen Feinden. Friede entsteht so nicht. Ein anderes Teilen ist fällig, mit dem unbedingten Einkommen für alle als Kernstück. Ein Teilen zwischen Freunden, ein Befreunden durch Teilen.

Die hinhaltende Defensive gegen das scheibchenweise Demontieren des Sozialstaats hat keine Zukunft. Gewiss muss mehr aufgewendet werden für die vernachlässigten Gemeingüter. Doch vieles wird an der Sozialbürokratie entbehrlich, sobald die Weichen umgestellt werden zu einem unbedingten Einkommen und zur Erweiterung der gemeinsamen Güter. Mehr Staat also, aber Staat, der Teilungsregeln vorgibt und aus den Konflikten der Zivilgesellschaft hervorgeht.

Der Autor ist Sozialwissenschafter, Honorarprofessor für Wirtschaftsphilosophie am Institut für Interdisziplinäre Forschung und Fortbildung, sowie an der Uni Klagenfurt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung