Mehrheit für die Minderheit

Werbung
Werbung
Werbung

Vergangenheit als Zukunftsmotor: Lokalwahlen in Rumänien - und wer gewinnt: ein Deutscher. In Hermannstadt wählten 88 Prozent den Vertreter der deutschen Minderheit zum Bürgermeister.

Der Fortbestand der siebenbürgisch-sächsischen Identität scheint ausgeschlossen." Mit dieser resignierenden Feststellung endet die Chronik der Siebenbürger Sachsen, die Theodora Puia vom Volkskundemuseum Hermannstadt, Sibiu, vorlegt. In Hermannstadt, das im 12. Jahrhundert von deutschen Siedlern gegründet wurde, leben heute nur mehr rund 2.000 Deutschstämmige unter 170.000 Einwohnern. Vor dem zweiten Weltkrieg stellten sie die Bevölkerungsmehrheit. Durch mehrere Ausreisewellen wurde die Zahl aber Schritt für Schritt dezimiert.

"Wie die Schafe", so ein Verbliebener, verließen mehr als 100.000 Deutsche 1990 ihre rumänische Heimat, die meisten Richtung Deutschland. Ganze Dörfer wurden praktisch über Nacht entvölkert. In Siedlungen, wo zuvor noch 700 bis 800 Sachsen lebten, sind heute nur mehr 20 bis 30 übrig geblieben. Die fluchtartige Auswanderung traf auch die rumänische Bevölkerung. "Dass so viele ausgewandert sind, habe ich als sehr traurig empfunden" erinnert sich Theodora Puia. "Ich verlor meine Nachbarn, Kollegen und Freunde. Viele junge Leute, die damals in meinem Alter waren, wollten gar nicht wegziehen. Aber ihre Eltern meinten, gerade den Kindern zuliebe auswandern zu müssen."

Fleißig, pünktlich, deutsch

Die deutsche Minderheit spielt auf dem Papier nur mehr eine geringe Rolle. Doch ihre ideelle Bedeutung ist ungleich höher. Die wenigen Verbliebenen verkörpern als eine Art menschliches Relikt die Wurzeln der Stadt und werden von der rumänischen Bevölkerung sehr respektiert. "Ich habe mich nie als Außenseiterin gefühlt. Man wird aber sicherlich anders angesehen", meint die 25-jährige Bianca Gunnesch, eine Studentin für Europäische Studien in Hermannstadt. Ihr Vater war Sachse, die Mutter Rumänin. "Uns werden oft bestimmte Qualitäten zugeschrieben, die mit dem Deutsch-Sein' verbunden sind. Zum Beispiel, dass man fleißig ist und pünktlich, oder dass man seine Versprechen hält". Gunnesch besuchte eine deutsche Schule und zählte auch dort zur Minderheit, unter 30 Schülern gab es nur drei oder vier deutschstämmige. Deutsche Schulen erfuhren in den letzten zehn Jahren einen Boom. Die Zahl der Schüler und Schülerinnen an höheren Schulen ist auf mehr als das Doppelte gestiegen. Die deutsche Sprache als Bestandteil der sächsischen Kultur wird heute vor allem von Rumänen weitergetragen. Vom Erlernen der Sprache einer Wirtschaftsmacht erwartet man sich viel. 95 Prozent der Schüler und Schülerinnen sind Rumänen.

Auch Theodora Puia ist "so eine", erklärt sie lachend. Obwohl ihre beiden Eltern Rumänen sind, besuchte sie eine deutsche Schule. Auch zu Hause wurde Deutsch gesprochen: "Mein Großvater arbeitete in einer Fabrik, in der nur Sachsen angestellt waren, so hat er Deutsch gelernt. Meine Mutter war als Schneiderin bei einer sächsischen Frau beschäftigt."

Die Mehrheit der verbliebenen sächsischen Bevölkerung sind alte Menschen. Jene, die keinen Neuanfang mehr wagen wollten oder konnten. Der immer wichtiger gewordene Zusammenhalt der Gemeinschaft wird vor allem durch zwei Organisationen gewährleistet. Durch das Demokratische Forum der Deutschen in Rumänien (DFDR), eine Minderheitenvertretung, die wenige Tage nach der Revolution 1989 gegründet wurde, und durch die evangelische Kirche, die für die deutsche Minderheit eine Art Volkskirche darstellt. Ohne fremde Hilfe sah man sich nach der Wende außerstande, die Betreuung der alten Leute zu gewährleisten. Da kam Unterstützung von der deutschen Regierung.

Rumänen wählten Johannis

Während sich die Kirche der Armutsbekämpfung, Altenversorgung und der evangelischen Jugendarbeit annimmt, konzentriert sich die Arbeit des DFDR auf die Politik. Obwohl gemäß den Statuten ein "offener Verband", können DFDR-Vertreter an politischen Wahlen teilnehmen. Das hat man im Jahr 2000 getan. Und es geschah völlig Unerwartetes: Mit einer sensationellen Mehrheit von 70 Prozent wurde der Kandidat des Deutschen Forums, der ehemalige Schulinspektor Klaus Johannis, zum Bürgermeister gewählt. Er erreichte 20 Mal mehr Stimmen als das DFDR-Klientel ausmacht, wurde also vor allem von Rumänen gewählt.

Protestwahl vs. Unfähigkeit

"Es war eine Protestwahl gegen die bis dahin unfähigen Bürgermeister, die vor allem ihre Parteiinteressen vertraten", erklärt Beatrice Ungar, Journalistin bei der deutschsprachigen Hermannstädter Zeitung. "Johannis wurde als Vorsitzender einer Interessensvertretung als parteineutral angesehen. Man wollte wieder einem Deutschen die Chance geben. Schließlich gab es bis 1945 nur deutsche Bürgermeister", erklärt Ungar. Viel Sympathie brachte Johannis seine erste Amtshandlung ein, als er am Tag nach der Wahl 100 Straßenkehrer einstellte, um die Stadt von den Wahlplakaten zu säubern. Mit dem neuen Bürgermeister kam für die Stadt aber auch in anderer Hinsicht ein nicht zu übersehender Aufschwung: Ausländische Investoren siedelten sich an und die Arbeitslosigkeit fiel in den letzten vier Jahren von neun auf sieben Prozent.

Vorletztes Wochenende wurde erneut gewählt - und wieder schaffte Klaus Johannis mit überwältigender Mehrheit den Einzug in das Rathaus: 88,7 der Stimmen konnte Johannis für sich gewinnen und im 23-köpfigen Stadtrat sitzen 16 DFDR-Leute. Auch Theodora Puia hat Johannis gewählt: "Er hat sehr gute Arbeit geleistet", hat sie an der Richtigkeit ihrer Entscheidung keinen Zweifel. Und die vier Kolleginnen, mit denen sie sich das Bürozimmer im Volkskundemuseum teilt, nicken zustimmend.

Arbeit gibt es für den neuen, alten Bürgermeister genug: Mit Ergeiz wird die Renovierung des mittelalterlichen Stadtkerns vorangetrieben. Baustellen prägen das Stadtbild Noch heuer soll die Altstadt zum UNESCO-Weltkulturerbe ernannt werden. Und 2007 ist Hermannstadt gemeinsam mit Luxemburg die Kulturhauptstadt Europas - nicht nur für die Hermannstädter ein Vorbote für den baldigen EU-Beitritt ihres Landes.

Der Autor ist freier Journalist.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung