Mexiko im Friedens-Aufruhr

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Der Marsch der Zapatisten auf die mexikanische Hauptstadt schreibt Geschichte. Ein ganzes Land steht buchstäblich Kopf und verfolgt gespannt die einzelnen Stationen des Triumphzuges. Damit dürfte dem seit Jahren stockenden Friedensprozess ein endgültiger Durchbruch gelungen sein.

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Der Marsch der Zapatisten auf die mexikanische Hauptstadt schreibt Geschichte. Ein ganzes Land steht buchstäblich Kopf und verfolgt gespannt die einzelnen Stationen des Triumphzuges. Damit dürfte dem seit Jahren stockenden Friedensprozess ein endgültiger Durchbruch gelungen sein.

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So etwas hat die Welt tatsächlich noch nie gesehen: Nachdem die Zapatisten um ihren "Subcomandante" Marcos jahrelang von der mexikanischen Armee im lacandonischen Urwald belagert und die indianischen Bewohner dieser Region drangsaliert und bedroht wurden, ziehen nun Marcos und 23 Mitglieder des Führungsgremiums der EZLN, der "Zapatistischen Befreiungsarmee", in einem Triumphzug sondergleichen in die mexikanische Hauptstadt. Begleitet werden sie auf diesem friedlichen Marsch von Tausenden mexikanischen Sympathisantinnen und Sympathisanten und von etwa 300 ausländischen Beobachtern, vor allem aus Italien, und beschützt von annähernd 2.000 Polizisten, um Zwischenfälle zu vermeiden. Denn an Drohungen gegen die Zapatisten hatte es im Vorfeld des Marsches nicht gefehlt.

Die Wende in Mexiko Zehn Jahre nach Osteuropa erlebt nun auch Mexiko seine Zeit der Wende, den Übergang zu einem demokratischen Staatswesen. Alte verkrustete Machtstrukturen brechen auf, ein neues Regierungskonzept wird ausgearbeitet, der klientelistische Staat in ein "Gemeinwesen für den Bürger" umgewandelt. Der erste Paukenschlag erfolgte bei den Wahlen Anfang Juli: Es gelang Vicente Fox, dem Kandidaten der rechtskonservativen "Partei der nationalen Aktion", PAN, der seit 70 Jahren felsenfest herrschenden Staatspartei PRI friedlich und demokratisch die Macht zu entreißen. Schon im Wahlkampf hatte Fox angekündigt, den Konflikt in Chiapas "in 15 Minuten" regeln zu können, und zwar auf friedlichem Weg, anders als sein Vorgänger Ernesto Zedillo, der die Zapatisten mit eiserner Hand zum Aufgeben zwingen wollte. An die 70.000 Soldaten wurden in der Konfliktregion stationiert, illegale paramilitärische Gruppen aufgebaut, das mit den Zapatisten ausgehandelte Abkommen von San Andres über indianische Rechte und Autonomie wurde nicht umgesetzt.

Und der Zapatistenführer Subcomandante Marcos verharrte schweigend im lacandonischen Urwald. Seine Ausdauer hat sich ausgezahlt, könnte man nunmehr sagen. Auch wenn der neue Präsident den Konflikt nicht in einer Viertelstunde löste, so sandte er dennoch deutliche Signale in Richtung Frieden aus. Und vier Monate nach dem epochalen Wechsel im Präsidentenpalast von Chapultepec wird Marcos im mexikanischen Kongress vor den Abgeordneten seine Gesellschaftsvision darlegen. Vielleicht wird er bei diesem Anlass auch seine Pasamontana, die vermummende "Schimütze" als Symbol des klandestinen Kampfes, ablegen, um den Schritt in die Legalität spektakulär zu untermauern.

Die mexikanische Regierung ist seit einiger Zeit überzeugt, dass es sich bei dem mysteriösen Subcomandante um den Philosophieprofessor Sebastian Guillen handelt, der Anfang der 80er Jahre aus der Hauptstadt verschwand. Der letzte PRI-Herrscher Ernesto Zedillo hatte die Umsetzung des von der Parlamentarierkommission COCOPA mit den Zapatisten ausgehandelten San Andres-Abkommens stets mit dem Hinweis abgelehnt, dieses würde die nationale Integrität Mexikos gefährden. Präsident Fox ist hier weniger furchtsam: "Ich glaube, es ist machbar, die nationale Einheit beizubehalten und gleichzeitig die Autonomie der indigenen Völker und ihr Recht, ihr Schicksal selber zu bestimmen, anzuerkennen." Auch Marcos bemüht sich, entsprechende Befürchtungen der mexikanischen Öffentlichkeit zu zerstreuen: "Wir wollen nicht die Aufsplitterung Mexikos in kleine indianische Nationen, wir wollen auch keine Maya-Nation schaffen." Nach anfänglichem Zögern und Misstrauen quittierte "Sub" Marcos die Signale des neuen Regierungschefs unter anderem den stufenweise Abzug der Militärs aus Chiapas mit Zuversicht: "Ich bin optimistisch. Ich glaube, wir werden einen erfolgreichen Dialog mit der Regierung führen und der Krieg wird beendet werden."

Marcos hat sich mit seinen Aussagen und seinen Kommuniques aus dem lacandonischen Urwald in den letzten Jahren zu einem geistigen Führer der internationalen Zivilgesellschaft, dieser "Globalisierung von unten", entwickelt. Tatsächlich besitzen seine Schriften eine bestechende literarische und philosophische Qualität, und auch sein politisches Verhalten ist von einem strategischen Denken geprägt, dessen Weitsicht oft erst im nachhinein deutlich wird. Es mutet unglaublich an, dass dieses kleine, schlecht ausgerüstete Heer der Zapatisten sieben Jahre lang in einer völlig militarisierten Zone, ständig im Belagerungszustand lebend, ausharren und dabei immer wieder die politische Initiative an sich reißen konnte. Der von den Medien bereits Zapatour genannte Marsch startete am 24. Februar in San Cristobal de las Casas, wo in der Neujahrsnacht 1994 der zapatistische Aufstand begann, und führte durch die Bundesstaaten Oaxaca, Puebla und Hidalgo nach Michoacan. Hier nahmen die Zapatisten zusammen mit 5.000 Delegierten der über 70 indianischen Völker Mexikos und ebenso vielen mexikanischen und ausländischen Zaungästen - am Dritten Nationalen Indigena-Kongress teil. Auf Grund von zahlreichen Einladungen von sozialen Bewegungen, Universitäten, indianischen Gemeinden musste der ursprüngliche Reiseplan erweitert werden.

Ureinwohner-Rechte Am kommenden Sonntag, dem 11. März, wird die zapatistische Delegation schließlich in der Hauptstadt eintreffen, wo am Zocalo-Platz eine zentrale Großkundgebung stattfindet. Präsident Fox hatte schon mehrmals seine Bereitschaft angekündigt, das Abkommen von San Andres zu unterzeichnen, doch muss es vorher vom Kongress verabschiedet werden. Und so stehen dieses Abkommen und eine verfassungsmäßige Verbriefung der Rechte der zehn Millionen Ureinwohner Mexikos im Mittelpunkt der Gespräche der Zapatisten mit dem mexikanischen Kongress. "Dieses Abkommen ist ein Vorschlag, der einem Konsens zwischen allen Beteiligten am nächsten kommt", zeigt sich Fox optimistisch. "Chiapas stellt freilich nicht nur die Institutionen und die Demokratie Mexikos auf die Probe, sondern auch die Zapatisten und den Subcomandante Marcos. Es wird sich zeigen, ob sie wirklich den Frieden wollen und die Integration der indigenen Gemeinschaften anstreben."

Marcos hingegen ist nicht so sehr überzeugt vom Friedenswillen des Staatschefs: "Die zentrale Sorge des Herrn Fox ist nicht der Frieden in Chiapas, sondern den Anschein zu erwecken, dass der Friede in Chiapas möglich oder bereits eine Tatsache ist." Neben der Unterzeichnung des San Andres-Abkommens verlangen die Zapatisten die Schließung von sieben Militärstützpunkten in Chiapas und die Freilassung aller zapatistischen Gefangenen als Bedingungen für eine Wiederaufnahme des Friedensdialogs. An der Friedensbereitschaft der Zapatisten besteht wohl kein Grund zu zweifeln. Obwohl ihr erstes spektakuläres Lebenszeichen der bewaffnete Aufstand war, haben sie immer ihren Wunsch betont, auf friedlichem Weg für die Rechte der indianischen Völker von Chiapas und ganz Mexiko kämpfen zu wollen. "Wir möchten unsere Gesichter zeigen", so der Subcomandante kürzlich, "wir möchten unsere Waffen niederlegen, doch weiterkämpfen, wie Menschen in allen anderen Teilen der Welt für ihren Glauben kämpfen." Die Zeichen für ein Ende des Konflikts in Chiapas und für eine verfassungsmäßige Festlegung der Rechte der indianischen Bevölkerung Mexikos stehen so günstig wie noch nie. Die nächsten Tage und Wochen werden die Weichen dafür stellen.

Der Autor ist Redakteur der in Wien erscheinenden Monatszeitschriften "Südwind" und "Lateinamerika anders".

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