Migrant, männlich und in der krise

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Gerade die Burschen und Männer tun sich in der neuen Heimat oft schwer mit ihrer Geschlechterrolle. Welche Folgen das haben kann und wie Experten sie unterstützen.

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Gerade die Burschen und Männer tun sich in der neuen Heimat oft schwer mit ihrer Geschlechterrolle. Welche Folgen das haben kann und wie Experten sie unterstützen.

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Wohl jeder, der Ibrahim Khater auf der Straße begegnet, würde ihn als "gestandenen Mann" bezeichnen: Groß, kahlköpfig, mit angegrautem, gestutztem Ziegenbart, in Jeans, Hemd und mit einem Gilet bekleidet, kommt der 35-Jährige mit aufrechtem Gang aus der Wiener U-Bahn Station "Nussdorfer Straße". Er könnte jetzt ein berufliches Meeting haben, wäre der Syrer nicht im September 2014 nach Österreich geflüchtet.

Nach drei Inhaftierungen blieb dem ehemaligen Volksschullehrer und Human-Ressources-Manager eines 5-Sterne-Hotels keine andere Wahl. Seine damals schwangere Frau Ruaa Almokdad musste er samt der beiden Töchter zurücklassen. Seine Frau sagte ihm, es sei besser, er verlasse sie für eine gewisse Zeit, als sie verliere ihn ganz. "Sie ist eine starke Frau, hatte als Lehrerin ihr eigenes Einkommen", sagt Khater. Es war schwer für sie, allein mit den Kindern zurückzubleiben, aber sie hat es gemeistert - sogar die Geburt ihres Sohnes Omar, den er erst vier Monate später kennenlernte: "Sie hat zwar versucht, ins Spital zu fahren, aber nachts wagt sich in Damaskus niemand auf die Straße", erklärt Khater, "also hat sie das Kind zu Hause zur Welt gebracht." Es ist eine Situation, die wohl jeden Mann an seine emotionalen Grenzen gebracht hätte, erst recht einen, der in einem fremden Land auf Anerkennung wartet, während er um die Sicherheit seiner Familie bangt. "Die erste Zeit war sehr hart für mich", gesteht der dreifache Vater, "ich habe viel geweint." Er musste ständig an seine Vergangenheit denken: An seine zwei Wohnungen, die Autos, die vielen Telefonanrufe und Termine. "Das klingt seltsam, aber ich war wichtig in Syrien. Und jetzt? Jetzt kann ich gar nichts machen."

"Erlernte Hilflosigkeit"

So wie Khater verlieren täglich Menschen bei der Flucht nicht nur ihren Besitz, sondern auch ihre soziale Stellung. Vor allem Männer kommen damit schwer zurecht. "Ich habe den Eindruck, dass die Männer in eine Ohnmacht und Hilflosigkeit gedrängt werden. In der Psychotherapie sprechen wir von erlernter Hilflosigkeit", weiß Elisabeth Klebel vom Interkulturellen Psychotherapiezentrum "Jefira" in St. Pölten. "Gerade Männer definieren sich -auch in unserer Gesellschaft - oft über ihre Stärke und Macht." In den Zufluchtsländern fallen aufgrund der Asylbedingungen viele Dinge weg, die ihnen Eigenmächtigkeit verliehen hatten: zu arbeiten, die Familie zu ernähren, selbst ihre Lebensgestaltung zu bestimmen.

Frauen hingegen können sich nach der Flucht weiterhin mit Haushalt und Kindererziehung beschäftigen und diesen Teil ihrer Identität wahren. "Darüber hinaus haben benachteiligte Gruppierungen wie Frauen, aber auch sexuell anders orientierte Männer durch die Flucht oft die Chance auf ein besseres, selbstbestimmteres Leben", betont Klebel. Frauen können vielleicht in die Schule gehen und arbeiten, was in ihrer Heimat nicht möglich gewesen wäre. Die ohnehin durch Krieg sowie Flucht traumatisierten Männer hingegen bleiben in ihrer Verunsicherung und mit einem Gefühl der Nutzlosigkeit zurück. "Für mich war es hart, Geld aus einem Sozialsystem zu nehmen und nichts dafür zu tun", gibt Khater zu. "Für mich war es das Wichtigste, mich so bald wie möglich zu beschäftigen."

Das ist ihm gelungen. Innerhalb von drei Monaten wurde er als Asylwerber anerkannt, kurze Zeit später konnte er seine Familie nach Wien nachholen. Inzwischen ist er ehrenamtlich in der Sozialberatungsstelle der Diakonie tätig und hält sich mit Deutschkursen sowie Sprachtandems, bei denen er mit anderen gemeinsam lernt, auf Trab. Und er bemüht sich, wieder ins Berufsleben einzusteigen. Wie er das alles schafft? "Ich habe eine starke Frau, die ihre eigenen Kontakte knüpft, mich meine Sachen machen lässt und mir den Rücken stärkt." Wie wichtig Letzteres ist, bestätigt Klebel.

Oft übe nämlich die Erwartungshaltung der Ehefrau zusätzlichen Druck auf den Mann aus. Vielfach möchte die Frau von ihrem Mann versorgt und beschützt werden -kann er diese Aufgabe nicht erfüllen, wird er nicht mehr als Mann wahrgenommen. Die Psychotherapeutin erzählt von einem 50-jährigen Klienten, der wegen Folterungen immense Schmerzen hatte und nicht mehr arbeiten konnte. Seine größte Sorge lautete: Wie stehe ich jetzt bloß vor meiner Ehefrau da?

Rollenumkehr

"Die Männer erleben oft eine unglaubliche Scham und Schuld, wenn sie für ihre Familien nicht mehr aufkommen können", bestätigt Beatrix Bücher, die für die Nonprofit-Organisation "CARE" einen Report über die Rolle der syrischen Frauen und deren Wandel in Kriegszeiten mit erstellt hat. Was sich während des Zweiten Weltkriegs in Österreich gezeigt hat, wird aktuell in Syrien und den umliegenden Zufluchtsländern deutlich: "Die Männer sind nicht mehr präsent, entweder weil sie verwundet oder gefallen sind oder kämpfen", erklärt die CARE-Mitarbeiterin, "somit müssen die Frauen Einkommen für ihre Familien generieren."

Die traditionellen Pflichten fallen aber nicht weg - Doppelt- und Dreifachbelastungen entstehen. Während vor 2011 in nur wenigen der betroffenen Familien die Frauen für das Haupteinkommen sorgten, sind es derzeit zwischen zwölf und 17 Prozent. "Frauen sind jetzt Männer und umgekehrt", weiß Bücher, "diese Rollenumkehr ist für beide sehr verwirrend. Während Frauen scheinbar besser mit der Situation umgehen können, ist es für Männer ein Rollenverlust."

Einer, der zu einer Zunahme von Konflikten und häuslicher Gewalt bis hin zu einem Rückzug der Männer führt. Und einer, der sich in Österreich ebenfalls bemerkbar macht: "Viele Männer sind durch die neue Stärke ihrer Frauen verunsichert und versuchen mittels Gewalt, die Frauen klein zu halten", erklärt Klebel. Wegweisungen aus Quartieren sind keine Seltenheit, auch weil es hier ein unterstützendes Netzwerk wie Frauenhäuser gibt, das Trennungen eher ermöglicht: "Frauen werden von ihrem Mann nachgeholt, wollen aber - sobald sie da sind - die Scheidung. Das sind schwierige Situationen für die Männer."

Gleichstellung betrifft alle

Während einige mit Depression oder Aggression auf die Veränderungen reagieren, seien andere Männer stolz auf ihre Frauen und würden die Chance sehen, "nicht mehr nur stark sein zu müssen", sagt Klebel. Dass traditionelle Rollenbilder weniger mit Religion zu tun haben als mit Klan-zentrierten Kulturen, in denen die Gesetze innerhalb der Community gemacht werden, betont Christian Scambor, Mitgründer des Vereins für Männer- und Geschlechterthemen Steiermark. "Kommen jetzt Menschen aus Staaten mit weniger gut funktionierenden Institutionen zu uns, müssen sie erst lernen, dass sie sich auf diese staatlichen Einrichtungen verlassen können und verwandtschaftliche Strukturen nicht mehr so wichtig sind."

Neue Rollenbilder müssen dann her, lautet der Bildungsauftrag. Scambor versucht, diese Rollenbilder männlichen Migranten und unbegleiteten Minderjährigen in Workshops und Beratungsmodulen aufzuzeigen. "Entscheidend ist, nicht in die Falle zu tappen, dass wir uns als so modern und aufgeklärt empfinden", betont der Klinische und Gesundheitspsychologe. Schließlich existierte auch in Österreich bis 1975 eine patriarchale Gesellschaft mit Züchtigungsrecht, in der der Ehemann bestimmen durfte, ob die Frau arbeiten gehen darf. Die Gleichstellung von Mann und Frau müsse nicht nur Migranten vermittelt werden: "Es ist eine Botschaft, die alle betrifft, die traditionelle Rollenbilder haben - Österreicher genauso. Und es gibt auch Migranten, die sehr modern sind." Das syrische Paar Khater und Almokdad liefert nur ein Beispiel.

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