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Minderheitenrechte ade

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Den strittigen Punkt des nach jahrelangem Ringen erstellten ungarisch-rumänischen Grundlagenvertrages bildet die Handhabung der Empfehlung Nr. 1201 des Europarates über die Autonomie nationaler Minderheiten. Erst vor einem Jahr hat sich Bukarest bereit erklärt, das Dokument im Vertragstext zu verankern. Als Gegenleistung sollten aber Budapest und die Vertreter der 1,7 Millionen Menschen umfassenden ungarischen Minderheit ihre Forderung nach einer auf ethnischer Grundlage beruhenden Autonomie aufgeben. Nun hatte aber die von Gyula Horn angeführte Koalition aus Sozialisten und Liberalen den Führern von elf ungarischen Nationalitätenverbänden in Budapest Mitte Juli noch zugesichert, deren Streben nach Autonomie im Übereinklang mit den internationalen Normen zu fördern. Gleichzeitig gab sie in Geheimgespjächen dem rumänischen Wunsch nach, die Empfehlung des Europarates lediglich in einer Fußnote zu erwähnen. Demnach halten die vertragsschließenden Partner daran fest, daß sich das Dokument in keiner Weise auf die kollektiven Rechte der Minderheiten beziehe und folglich auch keinen der Unterzeichner verpflichte, den Minoritäten eine auf ethnischer Grundlage beruhende Autonomie zu gewähren.

Die Regierungsparteien wollen freilich von keinem Wortbruch wissen. Sie behaupten sogar, im Interesse der Betroffenen gehandelt zu haben. Der Vertrag sei das Optimale, das unter den gegebenen Umständen ausgehandelt werden konnte. Es sei überhaupt ein Erfolg, Bukarest in bezug auf die Wahrung der Nationalitätenrechte zu Verpflichtungen bewogen zu haben. Die Regierung könne nunmehr hoffen, daß das Nachbarland früher oder später auch die kollektiven Rechte der Minderheiten anerkennen werde. Dieser erstaunliche und von der Erfahrung mehrfach widerlegte Illusionismus hat der Koalition den Vorwurf des Dilettantismus eingebracht. Mit Recht weist die Opposition darauf hin, daß trotz nachdrücklicher Forderungen weder sie noch die Repräsentanten des Minderheitenverbandes bei der Erarbeitung des Vertragstextes von der Koalition konsultiert worden sind.

Heftige Kritik erregte außerdem der Eifer mancher Regierungspolitiker, die sich wochenlang krarrmfhaft um eine ihren Intentionen entsprechende Auslegung der Empfehlung

Demnach sei jede Debatte über das Straßburger Dokument sinn- und zwecklos, da dieses nichts über die kollektiven Rechte der nationalen Minoritäten besage. Hinzu kam auch noch die erst in der Parlamentsdebatte bekanntgewordene Nachgiebigkeit der Regierung, die einem nachträglich geäußerten Rukarester Wunsch folgend auf die Regelung der Entschädigung der Kirchen der ungarischen Minderheit im Nachbarland im Rahmen des Vertragswerkes verzichtete und diese zur Aufgabe eines „Briefwechsels" zwischen den Außenministern beider Länder machte. Ein im Jahre 1991 vom Bukarester Parlament verabschiedetes Gesetz regelt die strittigen Fragen nur zugunsten der orthodoxen Kirche, alle anderen Religionsgemeinschaften beklagen nach wie vor schwere Diskriminierung.

Die Koalition argumentierte stets damit, daß das Vertrauen dem Partner Vorausetzungen der europäischen Einigung sei. Überhaupt gilt für sie die euroatlantische Integration als ein Zauberwort, mittels dessen sie sich über alle Einwände hinwegsetzt. Kritiker des Vertrages werden schlicht als politisch Kurzsichtige oder nationalistische Störenfriede bezeichnet, denen es darum gehe, den Integrationskurs des Landes zu beeinträchtigen.

Die Vertreter der Rumänien-Ungarn haben sich mittlerweile damit abgefunden, daß ihr Versuch, mit der jetzigen Regierung einen Dialog führen zu können, gescheitert ist. Der Verdacht, daß diese ihre Bestrebungen nach der Bewahrung ihrer Identität ignorieren wolle, sei bestätigt, heißt es. Solidarisch mit ihnen haben sich die Repräsentanten der Magyaren in der Slowakei erklärt, die auf den ungarisch-slowakischen Grundvertrag hinweisen, dem im Anschluß an die Ratifizierung das Abgeordnetenhaus in Preßburg im Frühjahr eine Zusatzerklärung beigefügt hat. Sie erteilt der Anerkennung der kollektiven Rechte der ungarischen Minderheit eine klare Absage. Hinzu kommtauch noch das wenig später verabschiedete

Sprachgesetz, das die rechtliche Grundlage zur Einengung des freien Gebrauches der Muttersprache der rund 600.000 Ungarn liefert, sowie die Neubestimmung der Verwaltungsgrenzen, die den Prozentsatz der Nationalität in den bis dahin mehrheitlich von ihnen bewohnten Gebieten verändert hat. Beide Gesetze stehen im Widerspruch zu wesentlichen Prinzipien der Empfehlung Nr. 1201.

Bezeichnend ist es für die sich als alleinige Garanten der europäischen Integration des Landes darstellenden Sozialisten und Liberalen, daß ihren Wortführern zu dem in die Debatte gebrachten Begriff „Südtiroler Modell" nicht das Geringste einfiel. Zu spät wäre es ohnedies gewesen.

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