"Mische mich nicht in religiöse Strukturen ein"

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Bekannt geworden als Darsteller des jungen Kaisers Franz Joseph in den Sissi-Filmen wirkt Karlheinz Böhm, Initiator der Hilfsorganisation "Menschen für Menschen", seit vielen Jahren in Äthiopien: ein beachtliches Hilfswerk in einem der ärmsten Länder der Welt.

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Bekannt geworden als Darsteller des jungen Kaisers Franz Joseph in den Sissi-Filmen wirkt Karlheinz Böhm, Initiator der Hilfsorganisation "Menschen für Menschen", seit vielen Jahren in Äthiopien: ein beachtliches Hilfswerk in einem der ärmsten Länder der Welt.

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dieFurche: Sie sind kürzlich erst von einem mehrmonatigen Aufenthalt in Äthiopien für Ihre Organisation "Menschen für Menschen" nach Österreich zurückgekehrt - was haben Sie von diesem Krieg an der Grenze zu Eritrea bemerkt?

Karlheinz Böhm: Zum einen möchte ich feststellen, daß in der heutigen Medienwelt über ein so weit entferntes Land wie Äthiopien am Kontinent Afrika nur dann berichtet wird, wenn entweder eine Dürrekatastrophe das Leben von Millionen Menschen bedroht oder ein Bürgerkrieg. Die Berichterstattung ist meist - weil es sich zum Beispiel bei Äthiopien um eines der ärmsten Länder der Welt handelt - abschätzig und verurteilend, ohne daß über die tatsächlichen Ursachen genauer informiert wird. Daß in unserem hochzivilisierten und reichen Europa wenige Kilometer vor der Haustür der Kosovo-Konflikt stattfindet, sollten wir nicht vergessen. Außer in den äthiopischen Medien habe ich weder in der Hauptstadt Addis Abeba, wo "Menschen für Menschen" das Projektzentrum hat, noch in den vier Landesteilen Äthiopiens, wo wir arbeiten, etwas von dem Konflikt an den Grenzen zu Eritrea gespürt.

dieFurche: Welche Ursachen hat dieser Konflikt?

Böhm: Ich bin nicht sicher, ob der eritreische oder der äthiopische Staatschef diese Frage tatsächlich beantworten könnten. Die Frage, warum der eritreische Präsident im Mai letzten Jahres dieses Stück Land durch seine Truppen besetzen ließ, ist schwer erklärbar. Man kann nur hoffen, daß die Vernunft mit Hilfe der OAU und der UNO eine Lösung dieses scheinbaren Grenzkonfliktes findet.

dieFurche: Dutzende Hilfsorganisationen aus Europa und Amerika kämpfen gegen den Hunger in Äthiopien. Aber zum Kriegführen sind Geld und Waffen vorhanden. Wer bezahlt das?

Böhm: Eine sehr berechtigte Frage, die für mich zu der anderen Frage führt: Welche waffenproduzierenden Staaten und Waffenfabriken verdienen an der Armut dieser Menschen? Ich persönlich halte den Waffenhandel für das schwerste Verbrechen, das ungestraft stattfindet. Selbstverständlich leiden in Äthiopien und Eritrea die ärmsten Schichten der Bevölkerung am meisten. Die von der äthiopischen Regierung verheißungsvoll begonnene Entwicklung sozialer Strukturen werden zurückfallen. Die umstrittene Grenze und deren Verlauf haben mit der Kolonialzeit unter dem italienischen Diktator Mussolini zu tun, der beide Staaten damals mit militärischer Gewalt unterworfen hat.

dieFurche: War es schon immer - und erst recht in Kriegszeiten - Ihr Prinzip, den Menschen unabhängig vom jeweils herrschenden politischen Regime partnerschaftlich zu helfen?

Böhm: Als ich meine Arbeit in Äthiopien begonnen habe, war dort eine kommunistische Militärdiktatur unter Mengistu Haille Mariam. In den Grundsätzen von "Menschen für Menschen" ist verankert, daß wir unabhängig von Politik, Wirtschaft und Religion helfen. Das hat aber zur Folge, daß wir unsere Hilfe an keine Bedingungen knüpfen. Das läßt zwar eine interne Kritik an Verhaltensweisen, mit denen man nicht einverstanden ist, zu - führt aber auch dazu, daß umgekehrt keine Bedingungen dieser Art von der betreffenden Regierung gestellt werden.

dieFurche: Ihre Organisation "Menschen für Menschen" hat ein Umdenken in der Entwicklungshilfe bewirkt. Hier sind nicht bloß Europäer für Äthiopier tätig, sondern Äthiopier selbst bekommen die Möglichkeit, für ihre Landsleute tätig zu werden. Wie funktioniert das?

Böhm: Als ich meine Arbeit begonnen habe, war neben den mir anvertrauten Spenden meine einzige Kraft der sokratische Lehrsatz "Ich weiß, daß ich nichts weiß!" In Ermangelung jeglichen Fachwissens habe ich mich vom ersten Tag an bemüht, auf die Menschen, mit denen ich zu arbeiten begonnen habe - seien es Politiker oder Halbnomaden - mit offenen Armen und einem Lächeln im Gesicht zuzugehen, was ich persönlich für die beste Kommunikation halte. Und zu begreifen, warum diese Menschen in dieser Armut leben, warum ihr Entwicklungsstadium ein so anderes ist, und was sie benötigen würden, um sich selber zu entwickeln! Das halte ich für das entscheidendste Kriterium, wenn man erreichen will, daß eine Gesellschaft Jahrhunderte einer Entwicklung überspringt.

dieFurche: Die eigenverantwortliche Mitbestimmung derer, denen geholfen wird, setzt gewisse Grundformen demokratischen Bewußtseins voraus. Läßt sich etwa das Modell Kibbuz auf landwirtschaftliche Genossenschaften in Äthiopien übertragen?

Böhm: Das habe ich mir am Anfang meiner Tätigkeit auch so ähnlich vorgestellt. Ich mußte aber bald herausfinden, daß eine Kooperative nicht auf Halbnomaden, deren Kultur und Lebensweise übertragbar ist. Unser erstes Projekt wurde mit den Siedlern mit mir zusammen wieder privatisiert, und die einzige Landwirtschaftsuniversität Äthiopiens, AlemaYa, macht augenblicklich eine Studie darüber, wie es uns mit "Menschen für Menschen" gelungen ist, diese Halbnomaden aus dem Stamm der Hauiwas in einer so relativ kurzen Zeit von 16 Jahren erfolgreich anzusiedeln. Was das Demokratieverständnis betrifft, möchte ich daran erinnern, wieviele Jahrhunderte und blutigste Kriege wir in den sogenannten demokratischen Ländern gebraucht haben, um diese Staatsform zu entwickeln. Daß sie auch in einem Land wie Äthiopien und anderen afrikanischen Staaten durchsetzbar ist, wage ich anzuzweifeln.

dieFurche: Zu den stärksten Kultur- und Verhaltensnormen in Äthiopien gehören die Traditionen der Großfamilien und der Einfluß der äthiopisch-christlichen Kirche und des Islam. Einerseits gilt es, diese Zusammenhänge zu erhalten, um die Menschen nicht zu entwurzeln - anderseits werden dabei aber auch Verhaltensweisen tradiert, die dem Kampf gegen Hunger und Armut entgegenstehen. Wie ist da vorzugehen?

Böhm: Ich werde mich immer gegen überlebte Traditionen und Kulturen wehren. Die Frauen-Beschneidung und die frühzeitige Verheiratung von Mädchen halte ich für schädliche Bräuche, gegen die sich "Menschen für Menschen" neuerdings mit organisierter Aufklärung wendet. Ansonsten will ich mich grundsätzlich nicht in religiöse Strukturen einmischen.

dieFurche: Wie ist die Situation der Bildung in Äthiopien?

Böhm: Der Analphabetismus und die minimale Anzahl von Schulen im ganzen Land in Relation zur Bevölkerung sind einer der Hauptgründe, warum eine Entwicklung verhindert wurde. "Menschen für Menschen" hat in den letzten 17 Jahren 33 Schulen, darunter auch sieben Gymnasien, gebaut. Unser wichtigstes Projekt ist ein "Agrotechnisches Trainingszentrum" in der regionalen Hauptstadt Harar, der ältesten Stadt Äthiopiens, wo wir auf den Gebieten Metallverarbeitung, Automechanik, Elektrizität und vor allem als Basis Agro-Ökologie, der jungen Generation die Möglichkeit geben, sich mit uns in das dritte Jahrtausend zu bewegen.

dieFurche: Was halten Sie von den Methoden der Geburtenkontrolle, die von der Regierung propagiert werden?

Böhm: Zur Geburtenkontrolle möchte ich an ein Wort eines der großen Humanisten dieses Jahrhunderts, des schwarzen Bürgerrechtlers Martin Luther King erinnern. Er sagte als Antwort auf die Frage nach der Bevölkerungsexplosion in den armen Ländern der Welt "Gebt den Menschen bessere soziale Bedingungen und Sicherheiten - und sie werden weniger Kinder haben!" Diese These hat Europa seit Beginn dieses Jahrhunderts eklatant bewiesen.

dieFurche: Gerechtigkeit und Partnerschaft schließen auch wirtschaftliche Investitionen ein. Wie wollen Sie der gewinnorientierten Globalisierung Investitionen in Äthiopien nahelegen?

Böhm: Der afrikanische Kontinent wird in absehbarer Zeit die Milliarden-Bevölkerungsgrenze übersprungen haben. Unsere wirtschaftliche Konzeption ist mit und durch die Werbung daraufhin konzipiert, daß man möglichst viele Produkte erwirbt - ungeachtet ob man sie braucht oder nicht. Trotzdem haben wir steigende Arbeitslosenziffern, weil ein Betrieb nach dem anderen schließen muß. Wir werden also, sollten wir unser System nicht radikal verändern, ohne einen Absatzmarkt wie Afrika gar nicht mehr existieren können. Irgendwann einmal wird diese Erkenntnis auch auf den Schreibtischen der Wirtschaftsgewaltigen landen.

dieFurche: Wie können Sie für den optimalen Einsatz der Mittel durch die Organisation "Menschen für Menschen"garantieren?

Böhm: Ich stehe seit 50 Jahren im Licht der Medien und ihrer kritischen Beobachtung. Seit der Arbeit für "Menschen für Menschen" gilt das besonders dem Einsatz der mir anvertrauten Mittel. Ich stehe dafür mit meinem Namen gerade, und ich habe ein hohes Interesse an der Überprüfung durch Fachleute aus allen Bereichen. Ich lebe mit dieser Verantwortung jede Stunde meines Lebens.

Das Gespräch führte Eduard C. Heinisch.

ZUR PERSON Vom "Herrscher" zum Helfer Der Sohn des berühmten Dirigenten Karl Böhm wuchs in einem Schweizer Internat auf und schlug die Schauspieler-Laufbahn ein. In der Josefstadt und auf deutschen Bühnen feierte Karlheinz Böhm beachtliche Erfolge. Zum Star machte ihn Ernst Marischkas Sissy-Trilogie. Die 41 weiteren Filme erreichten nicht mehr diesen Publikumserfolg. Eine mittlerweile legendäre TV-Sendung "Wetten daß" änderte sein Leben von Grund auf: Er begann in Äthiopien mit der Projektarbeit von "Menschen für Menschen" und setzte dabei auf Impulse zur Selbsthilfe der Einheimischen. Als Einundsiebzigjähriger wirbt er weiterhin für die Unterstützung der armen Länder.

(PSK-Konto 92094093)

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