Martha Hennessy und ihre Großmutter selig - Selige Großmutter – Martha Hennessy ist die Enkelin der christlichen Sozialistin, Pazifistin, Frauenrechtlerin und Journalistin Dorothy Day. Seit 2000 läuft deren Seligsprechungsverfahren. - © Cristina Yurena Zerr

Martha Hennessy: Mit der Bergpredigt gegen den Atomkrieg

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Aus christlicher Überzeugung brach die US-Friedensaktivistin Martha Hennessy in die größte U-Boot-Basis der Welt ein – und wurde wegen dieses Protests gegen Atomwaffen zu zehn Monaten Gefängnis verurteilt.

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Aus christlicher Überzeugung brach die US-Friedensaktivistin Martha Hennessy in die größte U-Boot-Basis der Welt ein – und wurde wegen dieses Protests gegen Atomwaffen zu zehn Monaten Gefängnis verurteilt.

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Ihre Verteidigungsrede ist ein religiöses Bekenntnis: „Ich habe lange und intensiv darüber nachgedacht und gebetet, wie ich Ihnen die Bedeutung meines gewaltlosen, sakramentalen Vorgehens gegen Atomwaffen auf dem Marinestützpunkt Kings Bay vermitteln kann“, sagt Martha Hennessy: „Ich stehe hier als Ergebnis meiner religiösen Überzeugung, die mich zum Protest gegen Atomwaffen aufruft.“ Die 65-jährige Friedensaktivistin sitzt neben dem Mitangeklagten Carmen Trotta (58), ihrem Anwalt und zwei Zeugen vor einem abgenutzten Schreibtisch, schaut auf den Bildschirm des Laptops vor ihr, hält einen Moment inne und fährt dann mit ihrer Verteidigungsrede fort: „Ich habe keine kriminelle Absicht; ich möchte dazu beitragen, eine weitere atomare Massenvernichtung zu verhindern. Die Weltuntergangsuhr des Bulletin of the Atomic Scientists steht auf 100 Sekunden vor Mitternacht. Ich sehe die Gesichter meiner Enkelkinder in dieser Uhr. […] Unser Manifest ist die Bergpredigt, was bedeutet, dass wir versuchen werden, Friedensstifter zu sein.“ Nach ein paar Sekunden Stille tönt die Stimme der Richterin aus dem Laptop. Sie bedankt sich für die Rede und verkündet das Urteil für Martha: zehn Monate Gefängnis, drei Jahre Bewährung unter Aufsicht und eine Geldstrafe von 33.000 US-Dollar.

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Martha war mit weiteren sechs Katholikinnen und Katholiken am 4. April 2018, zum Gedenken an den 50. Todestag von Martin Luther King, in die größte U-Boot-Basis der Welt, die Kings Bay Naval Submarine Base im US-Bundesstaat Georgia, eingebrochen. Ihre Gruppe nannten sie „Kings Bay Plowshares 7“, da Martha und ihre Mitstreiter(innen) der christlich inspirierten Pflugschar- und Friedensbewegung angehören. Diese „Pflugscharbewegung“ bezieht Namen und Inspiration aus dem biblischen Buch des Propheten Jesaja (2,4): „Dann schmieden sie Pflugscharen aus ihren Schwertern und Winzermesser aus ihren Lanzen. Man zieht nicht mehr das Schwert, Volk gegen Volk, und übt nicht mehr für den Krieg.“ Auf diese Friedensbewegung gehen über hundert Aktionen zivilen Ungehorsams zurück, bei denen symbolisch oder tatsächlich Kriegsmaterial zerstört wurde.

3600 Mal Hiroshima

Diese Tradition fortsetzend, drang die „Kings Bay Plowshares 7“-Gruppe nächtens bis zu den Bunkern des Atomwaffenarsenals vor. Sie hängten Protestbanner auf und bespritzten den Eingang mit eigenem Blut als Zeichen des Protests gegen die dort gelagerten Atombomben, die zusammen die 3600-fache Sprengkraft der Hiroshima-Atombombe besitzen. Nach dem Einbruch wurden sie in der Militärbasis verhaftet und im Oktober 2019 in allen Anklagepunkten – Verschwörung, Verwüstung von Staatseigentum und Hausfriedensbruch – schuldig gesprochen.

Eigentlich hätte die Urteilsverkündung im Frühjahr 2020 stattfinden sollen, doch aufgrund der Covid-19-Pandemie verzögerte sich die Verhandlung. Da Georgia besonders stark von der Pandemie betroffen ist, entschlossen sich die Angeklagten, auf ihr Recht zu verzichten, persönlich vor Gericht zu erscheinen und beendeten den Prozess per Videobotschaft. Zehn Monate Haft für Martha liegen weit unter der erwarteten Strafe, wobei sie die geringste Strafe der sieben Angeklagten erhielt. Der Priester Steve Kelly, der seit der Aktion in Haft sitzt, wurde mit 33 Monaten Gefängnis bestraft, da er jegliche Kooperation mit dem Gericht ablehnte.

„Man sagt, das Problem sei ziviler Ungehorsam, aber das ist nicht unser Problem. Unser Problem ist der zivile Gehorsam angesichts von Armut, Hunger und Kriegen.“

Howard Zinn, US-Politikwissenschafter und Historiker (1922-2020)

Während Martha, ehemalige Therapeutin und achtfache Großmutter, von der US-Regierung als Kriminelle verfolgt und verurteilt wurde, läuft im Vatikan das Seligsprechungsverfahren für ihre Großmutter Dorothy Day. Obwohl die Arbeiteraktivistin zu Lebzeiten sagte: „Macht mich nicht zur Heiligen, so leicht will ich nicht abgetan werden“, wird sie schon jetzt an manchen Orten als Heilige verehrt. Dorothy Day war keine sanfte Heilige. Die atheistisch aufgewachsene Journalistin, die in anarchistisch-sozialistischen Kreisen New Yorks verkehrte, gründete 1933, im Jahr de Großen Depression, gemeinsa mit Peter Maurin die Zeitschrift Catholic Worker. Diese sollte den Entrechteten, Arbeitslosen, Obdachlosen und Betroffenen der kapitalistischen Politik eine Stimme geben. Aus ihren Schriften und Manifesten wurde bald Praxis, und ein paar Jahre später lebten die Herausgeber der Zeitung mit den Menschen zusammen, über die sie schrieben.

Dorothy Day protestierte gegen den Faschismus in Europa, gegen den Vietnamkrieg und die Rüstungspolitik im Kalten Krieg. In den 1950er Jahren weigerte sie sich, während Luftangriffsübungen in die Bunker zu gehen und setzte sich demonstrativ auf eine Parkbank. Jedes Jahr mussten sie und Gleichgesinnte dafür dreißig Tage ins Gefängnis. 1961 schlossen sich schließlich so viele Menschen ihrem Protest an, dass die Gefängnisse überfüllt waren und New York City die Übungen einstellte.

Mit Jesus ins Gefängnis

Inspiriert vom Engagement ihrer Großmutter und ihrer Mutter Tamar, engagierte sich Martha Hennessy den Großteil ihres Lebens gegen die systematische Gewalt ihres Staates: Sie reiste in den Irak und Iran, nach Afghanistan und Südkorea, um die Auswirkungen der US-Kriege zu verstehen. In Kuba protestierte sie gegen Guantánamo. Wegen ihres Protests gegen Atombomben saß sie 1979 zum ersten Mal für drei Monate im Gefängnis.

Als die sieben Aktivisten der „Kings Bay Plowshares 7“ zwei Jahre vor der Aktion von 2018 zum ersten Mal zusammenkamen, fragten sie sich, was es bedeutet, im 21. Jahrhundert ihr Leben im Sinn der jesuanischen Botschaft einer radikalen Nachfolge zu widmen. Ihnen wurde klar, dass sich ihr Widerstand gegen eine der größten Bedrohungen des Planeten wenden musste. Es folgten zwei Jahre der Vorbereitung – in persönlicher, spiritueller und organisatorischer Hinsicht. Die Begegnungen mit Armut, Rassismus, kapitalistischer Ausbeutung und deren Verbindung zum Krieg waren für Martha der ausschlaggebende Grund, in die Militärbasis einzudringen.

Es sind nur wenige, die wie Martha und ihre Gefährtinnen und Gefährten auf die Gewalt von Atomwaffen aufmerksam machen. Trotz weltweiter Aufrüstung gibt es keine breite Bewegung gegen die Milliarden, die jährlich zur Herstellung von Tötungswerkzeug ausgegeben werden. Die Anti-Atom-Proteste gegen die Rüstungsspirale während des Kalten Krieges haben sich nach dem Fall der Berliner Mauer und dem Ende der Sowjetunion 1991 weitgehend aufgelöst. Die öffentliche Angst vor einem Atomkrieg ist verschwunden, auch wenn die Gefahr einer Katastrophe bleibt. Doch Atombomben zerstören das Leben von Natur und Menschen nicht erst bei ihrer Anwendung. Bei der Urangewinnung werden Menschen von ihrem Land vertrieben und das Trinkwasser verschmutzt, was Bevölkerungen krank macht und Ökosysteme zerstört. In den Fabriken, in denen Atombomben gebaut werden, ist die Todesursache Krebs hoch. Insgesamt gibt es heute weltweit etwa 13.355 Atombomben, wovon 93 Prozent in US-amerikanischem und russischem Besitz sind.

Der für die US-Bürgerrechts- und Friedensbewegung wegweisende Politikwissenschafter und Historiker Howard Zinn (1922-2020) schrieb über die Notwendigkeit des zivilen Ungehorsams: „Man sagt, das Problem sei ziviler Ungehorsam, aber das ist nicht unser Problem. Unser Problem ist der zivile Gehorsam. Unser Problem ist die große Anzahl der Menschen auf der ganzen Welt, die dem Diktat ihrer Regierung folgen und deshalb in Kriege ziehen, in denen dann Millionen genau wegen dieses zivilen Gehorsams getötet werden. Unser Problem ist der zivile Gehorsam auf der ganzen Welt, angesichts der Armut, des Hungers, der Dummheit, der Kriege und aller Verbrechen. Unser Problem besteht darin, dass Menschen gehorsam sind, sich die Gefängnisse wegen Bagatellen füllen, während die großen Verbrecher die Staatsgeschäfte führen. Das ist unser Problem!“ Seit dem 14. Dezember sitzt Martha Hennessy in einem Frauengefängnis in Danbury, Connecticut. Als sie von der US-Journalistin Amy Goodman vor zwei Jahren gefragt wurde, ob sie gefasst auf diese Zeit sei, antwortete Martha: „Ich bin 63 und vielleicht habe ich noch 20 Jahre vor mir. Mein eigenes Leben ist bedeutungslos im Angesicht der Zerstörung von Gottes Schöpfung.“

Die Autorin ist Filmemacherin und engagiert sich unter anderem im Internationalen Versöhnungsbund. Im Frühjahr erscheint im Mandelbaum Verlag ihr Buch über christliche Antimilitaristinnen und Antimilitaristen auf der Anklagebank.

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