Mit diesem Ergebnis musste man rechnen

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Die Europäische Volkspartei sollte kein loser Zusammenschluss von Parteien sein, sondern sich als gesamteuropäische Partei konstituieren. Dem Wahlkampf in Österreich stellt Ex-Nationalratspräsident Neisser ein denkbar schlechtes Zeugnis aus. Die ÖVP sollte sich über ihren Erfolg freuen, aber keine vorschnellen Schlüsse ziehen. Gastbeitrag von Heinrich Neisser

Die Europawahlen in Österreich brachten im Großen und Ganzen ein Ergebnis, mit dem man rechnen musste. Zwei Ausnahmen gibt es jedoch. Nachdem die Medien wochenlang von einem Kopf-an-Kopf-Rennen der Regierungsparteien berichteten, kam der Absturz der SPÖ doch überraschend - nahezu minus 10 Prozent sind ein Debakel. Die zweite Überraschung liegt wohl darin, dass sich alle Befürchtungen über einen Rückgang der Wahlbeteiligung nicht bewahrheitet haben. Der Stand von den letzten Europawahlen - mehr als 42 Prozent - wird voraussichtlich gehalten werden: Man wird bescheiden.

Misslungener Wahlkampf

Die diesjährigen Europawahlen in Österreich fanden in einem politischen Vor- und Umfeld statt, das von Turbulenzen unterschiedlicher Art geprägt war. Der berühmte Brief der sozialdemokratischen Parteispitze an den Herausgeber der Kronen Zeitung war ein peinlicher Akt der Anbiederung - kontraproduktiv für jede europapolitische Strategie. Die ÖVP bescherte ihrer Wählerschaft eine völlig überflüssige Debatte über ihren Spitzenkandidaten. Der neue Mann, Ernst Strasser, führte einen Wahlkampf, der von europapolitischen Leerformeln strotzte und jenem traditionellen Parteijargon huldigte, mit dem sich in Europa nichts "gestalten" lässt. Die ÖVP kann sich über ihren Erfolg freuen. Sie soll aber keine falschen Schlüsse daraus ziehen. Bleiben schließlich die Grünen, die in einer zermürbenden Debatte ihren charismatischen Europäer und ihr europapolitisches Zugpferd Johannes Voggenhuber abzogen und damit ihre Chancen limitierten. In Anbetracht der allgemeinen Ideenlosigkeit, die diesen Wahlkampf prägte, kann es nicht verwundern, dass die primitiven Slogans der FP-Wahlkampfstrategie das politische Klima stark beeinflussten und - bedauerlich genug - zu einer Verdoppelung des Stimmenanteils dieser Partei führten. Von 6,77 auf 13,0 Prozent.

Europawahlen, nämlich Wahlen zum Europäischen Parlament, beinhalten nicht eine umfassende demokratische Legitimation der Europäischen Union. Sie legitimieren aber immerhin eine Institution, die als "Mitgesetzgeber" im europäischen Einigungsprozess schon jetzt eine starke Position im institutionellen System einnimmt. Der Lissaboner Vertrag - vorausgesetzt, dass er ratifiziert wird - wird die Gestaltungsmacht des Europäischen Parlaments ausweiten. Auch in Zukunft wird sich der Einfluss dieser "europäischen" Volksvertretung vergrößern. Im Hinblick auf diese Zukunftsperspektive ist die außergewöhnlich niedrige Wahlbeteiligung bei den Europawahlen ein demokratiepolitisches Warnsignal. Ein weiterer Rückgang der Zahl derjenigen, die für Europa zu den Urnen gehen, gefährdet die demokratische Legitimation des Europäischen Parlaments und stellt dessen Autorität in Frage. Ein System, das von Regierungen dominiert wird, braucht ein gewähltes Parlament, das die Machtbalance gewährleistet.

EVP als übernationale Partei

Die Europäische Volkspartei, die auf europäischer Ebene klar gewonnen hat, sollte die Initiative zur Gründung einer gesamteuropäischen Partei ergreifen, die den Bürgerinnen und Bürgern gesamteuropäische Dimensionen der Politik deutlich und bewusst macht. Die lächerliche Debatte in Österreich, ob Mitglieder des Europäischen Parlaments im österreichischen Nationalrat das Wort ergreifen dürfen oder nicht, zeigt, wie wenig man in diesem Land die Herausforderungen eines geeinten Europas begreift.

Die in Österreich gewählten Abgeordneten des Europäischen Parlaments sollten, wenn sie wirklich aus innerer Überzeugung ein gemeinsames Europa wollen, eine solidarische Gruppe bilden, die sich für eine europäische Debatte und einen europäischen Parlamentarismus als Zukunftschance einsetzt. H. P. Martin verdankt seinen Wahlerfolg zweifellos der tatkräftigen Unterstützung der Kronen Zeitung. Man sollte aber nicht übersehen, dass sein dauerndes Plädoyer für ein demokratisches Europa bei vielen Bürgerinnen und Bürgern eine durchaus positive Resonanz erzeugt hat. Die Herausforderung der Zukunft liegt vor allem darin, dass gesamteuropäische Parteien gesamteuropäische Konzepte erarbeiten und der Bürgerschaft der Union näherbringen. Damit würden sie jener Rolle gerecht werden, die ihnen der Gemeinschaftsvertrag zuordnet: Politische Parteien auf europäischer Ebene sind wichtig als Faktor der Integration in der Union. Sie tragen dazu bei, ein europäisches Bewusstsein herauszubilden und den politischen Willen der Bürger der Union zum Ausdruck zu bringen.

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