"Mit freier Forschung hat das nichts mehr zu tun"

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Ist der akademische Betrieb in staatlicher oder privater Hand besser aufgestellt? Der deutsche Wissenschaftsforscher Peter Finke hat Erfahrungen mit beiden Seiten.

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Ist der akademische Betrieb in staatlicher oder privater Hand besser aufgestellt? Der deutsche Wissenschaftsforscher Peter Finke hat Erfahrungen mit beiden Seiten.

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Peter Finke lehrte und forschte an der staatlichen Universität Bielefeld; 1996/97 war er Professor an der Privatuni Witten/Herdecke. Die FURCHE bat den Hochschul- und Bologna-Reform-Kritiker zum Gespräch.

Die Furche: Was hat Sie eigentlich dazu bewogen, eine Stelle an einer privaten Universität anzutreten?

Peter Finke: Ich hatte das Angebot, die Stelle an der Privatuniversität eine Zeit lang parallel zu meinem Lehrstuhl an der staatlichen Uni wahrzunehmen. Ausschlaggebend waren zwei Dinge: das neue Fach der Kulturökologie und mein Interesse als Wissenschaftsforscher in Bezug auf die Frage: Was ist denn hier eigentlich anders und geht es hier besser zu als an meiner staatlichen Universität, wo ich seit langem eine überbordende Bürokratie, politische und vor allem wirtschaftliche Einflussnahme beklagt habe. Das wollte ich selbst überprüfen.

Die Furche: Und wie waren dann Ihre Erfahrungen an der Privatuniversität?

Finke: Von großem Vorteil war etwa, dass man auch bei gravierenden Strukturentscheidungen nicht immer das Einverständnis des Wissenschaftsministers einholen musste. Dadurch konnte man viel schneller reagieren oder neue Erkenntnisse umsetzen. Die Einführung jenes neuen Faches an einer staatlichen Uni hätte endlose Debatten ausgelöst, gerade auch hinsichtlich der Finanzierung: Deshalb war es an meiner Bielefelder Uni so gut wie unmöglich. In Witten war das eine Sache von zehn Tagen. Ohne Zweifel könnten private Universitäten bei der nötigen Forschungswende "die Nase vorn" haben. Aber sie können ganz im Gegenteil auch stur auf konventionelle Spezialisierung und Marktwirtschaft setzen - und dann zu Blockierern werden.

Die Furche: Was meinen Sie hier mit Blockieren?

Finke: Das Ganze hatte eben auch Kehrseiten, die ich nach und nach entdeckte. Als ich frisch an die Privatuni kam, wunderte ich mich über die vielen Türen mit der Aufschrift "Fundraising". Wo in Bielefeld kräftig geforscht wurde, wurde hier vor allem nach immer neuen Geldquellen gefahndet. Es gab intelligente neue Lehrmethoden, aber eine Schwäche bei der Forschung. Der größte Nachteil aber war, dass die privaten Geldgeber ganz frei waren, ihre Förderung auch einzustellen, wenn sie wollten. Ich habe das einmal miterlebt, als eine Schweizer Stiftung wegen eines blödsinnigen Krachs mit einem der Dekane quasi über Nacht jede Förderung einstellte. Die Studenten waren entsetzt und rannten zum Präsidenten. Aber der war genauso entsetzt und hilflos wie sie. Das ist ein schwerer Nachteil dieser privaten Struktur, die auf privaten Interessen begründet ist - und nicht auch die nötige Verantwortung für dauerhafte Lösungen zu tragen bereit war.

Die Furche: Wie schätzen Sie derzeit die Situation der staatlichen Universitäten ein?

Finke: In Deutschland jedenfalls haben sich die staatlichen Unis für Drittmittelforschung aus privaten Quellen schon jetzt viel zu weit geöffnet. Zwar wird dort mehr und meist bessere Forschung betrieben, aber man leidet sehr unter einer zunehmend zweckgesteuerten Finanzierung schon durch den Staat: Er antizipiert die Verwertungsgesichtspunkte der Wirtschaft und hält Fachbereiche, bei denen er solche kaum erkennt, so kurz, dass sie bald bedeutungslos wären - wenn dort nicht einfach durch Eigeninitiative guter Leute gute Forschung gemacht würde. Wenn das einer aber nicht kann, dämmert ein Fach so lange dahin, wie er seine Lebenszeitstelle innehat. Andererseits schielt der Staat auf alles, was nach Prestige und potenzieller ökonomischer Relevanz aussieht. Dadurch kommt es zu einer extrem ungleichen Entwicklung der Fachgebiete, die mit wissenschaftlichen Gründen gar nichts mehr zu tun hat.

Die Furche: Was ist so schlecht daran, wenn sich staatliche Universitäten an einem ökonomischen Denken orientieren?

Finke: Das Ausmaß, in dem heute solche Verwertungsabsichten die Wissenschaftsentwicklung selbst an den staatlichen Universitäten steuern, hat längst jedes vernünftige Maß überstiegen. Die Wissenschaftler sind Getriebene dieser Fremdinteressen geworden. Wenn sie junge Leute fördern wollen, müssen sie sich wohl oder übel ökonomisch interessant aussehende Projekte ausdenken; sonst haben sie keine Chance. Viele Fächer einer klassischen Universität sind da völlig chancenlos.

Die Furche: Gibt es ein optimales Verhältnis von privaten und öffentlichen Unis?

Finke: Man braucht eine Mischung, weil privater Antrieb eben auch gute Früchte tragen kann, für die eine staatliche Struktur zu träge ist. Grundsätzlich würde ich jetzt aber vor einem weiteren Rückzug des Staates aus der Uniförderung warnen, denn privates Geld ist immer mit privaten Interessen verbunden. Es sollte daher über Stiftungen seiner direkten Interessen entkleidet und mit Gesichtspunkten der Verantwortung verbunden werden. Der Negativgipfel sind "Universitäten" - sie verdienen den Namen nicht mehr -, die von der Wirtschaft offen für bestimmte Zweckforschung mit sehr begrenzten Fachbereichen gegründet werden, meist verbunden mit wenigen Alibi-Lehrstühlen für Philosophie oder Literaturwissenschaft. So, wie die Sache jetzt läuft, will der Staat gar nicht mehr kaschieren, dass knallharte Interessenforschung Eingang ins System gefunden hat und alles, was entbehrlich erscheint, schlicht unter den Tisch fällt. Mit freier Forschung hat das alles nichts mehr zu tun.

Die Furche: Wie muss sich die Wissenschaft verändern, um die großen Herausforderungen unserer Zeit zu bewältigen - Stichwort Klimawandel, Energiewende, Wasserkrisen etc.?

Finke: Die akademische Wissenschaft muss sich vom äußeren Joch der Politik und der Wirtschaft möglichst weitgehend befreien, indem sie sich gegen deren Zumutungen mehr als bisher wehrt, und erkennen, dass das Zeitalter der Disziplinen und Spezialisierungen zu Ende geht. Es hat die Kollateralschäden mit sich gebracht, die das Leben auf unserer Erde auf vielen Gebieten gefährdet haben. Heute muss es um Zusammenhangswissen gehen. Die Zukunft gehört nicht einzelnen Lehrstühlen und Einzelwissenschaften, sondern bunt zusammengesetzten Forschergruppen - wo jeder sich in die Probleme der anderen hineinzudenken versucht und an Lösungen mitarbeitet, die im gemeinsamen Zukunftsinteresse liegen. Diese sind besser aufgestellt, künftig jene Kollateralschäden zu vermeiden, die aus den extremen Einzelperspektiven erwachsen.

Die Furche: In Österreich gibt es derzeit den Appell, die Wissenschaft eben stärker an Wirtschaft und Technologie anzubinden...

Finke: Die geradezu hemmungslose Ökonomisierung ist der grundfalsche Weg, der uns in einen Problemsumpf hineingezogen hat. Der globale Wettbewerb ist ein gnadenloser Prestigekampf und hat mit Wahrheitssuche nichts mehr zu tun. Der Versuch, die Wissenschaft noch stärker mit Wirtschaft und Technologien zu verbandeln, zeugt von kurzsichtigem Denken. Es stammt von Leuten, die Geldmangel für das größte Problem der Wissenschaft halten. Zeitmangel und Freiheitsmangel sind doch viel größere Probleme!

Die Furche: Gibt es auch in Sachen Demokratie noch Verbesserungsbedarf bei den Universitäten?

Finke: Die Wissenschaft hat bisher noch nicht ernsthaft das demokratische Prinzip für sich akzeptiert. Sie gefällt sich stattdessen in Hierarchien und in der Ablehnung von Bürgermitsprache. Wer geschlossene Gesellschaft in der offenen Demokratie spielen will, hat den Sinn von Demokratie nicht verstanden. Zwei österreichische Wissenschaftsphilosophen können uns noch heute wichtige Einsichten lehren: Man lese mal wieder Karl Poppers "Die offene Gesellschaft und ihre Feinde" sowie Paul Feyerabend, der die Vision einer wirklich freien Wissensgesellschaft beschreibt. Bei demokratischer Wissenschaft geht es um Offenheit gegenüber den berechtigten Interessen der Bürger. Diese haben Rechte und Pflichten - etwa sich einzumischen, wenn Allgemeininteressen auf dem Spiel stehen.

DIE FURCHE: Was halten Sie von Zugangsbeschränkungen und Studiengebühren an den Unis?

Finke: So wie sie heute praktiziert werden, gar nichts. Aber die Akademisierung des gesamten Lebens ist auch keine Lösung. Der Slogan "Jeder soll studieren" ist weltfremd. Wir müssen für viele wichtige Dienstleistungsberufe ein Ende des Akademisierungswahns definieren. Er ist eine Einbahnstraße ohne Ausweg. Ich bin für Aufnahmeprüfungen vor dem Studium: Man muss dann zeigen, dass man sich für eine Sache wirklich interessiert, Allgemein- von Spezialinteressen unterscheiden kann, oder gewisse Grundfähigkeiten besitzt. Auch Studiengebühren könnten helfen, allerdings begleitet von einem umfassenden Stipendiensystem. Wenn die Wirtschaft dies finanzieren würde, könnte sie sich tatsächlich um die Wissenschaft verdient machen. Bisher erkenne ich das nicht, im Gegenteil.

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