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Mit Gott und Wallnöf er

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Während die Bundesparteileitung der ÖVP in Wien, wie auch die sozialistische Zentrale in der Löwel-straße in geradezu panischer Aufmerksamkeit gen Westen blicken — wenn sie nicht von den Vorbereitungen der Nachwahl in den drei Wiener Wahlkreisen abgelenkt werden.—, vollzieht sich der Wandel in Tirol auct die kommende Wahlentschei-dunig hin unimerklicher und beinahe unwillig. Die 329.000 Tiroler und Tirolerinnen, die am 4. Oktober das zweitemal in diesem Jahr (für die Beschäftigten in der Land- und Forstwirtschaft ist es bereits das drittemal) ihrer Wahlpflicht nachkommen, sehen diesem Datum mit Gelassenheit entgegen. Wer dieser Tage die Tiroler Landeshauptstadt besucht, wird bestätigen, daß von einer Stimmung, wie sie vor Wahlen allgemein üblich ist, noch kaum etwas ziu bemerken ist — die Parteisekretariate natürlich ausgenommen. Wie gesagt: die Tiroler Parteien denken — sehr im Gegensatz zu ihren Wiener Bundesparteistelien — im Augenblick viel eher an den Urlaub als an Wahlkampf. Die Tiroler Parteien beteuern, daß der 4. Oktober vor allem über die Zusammensetzung des Landtages entscheide, die Wiener Parteistellen versuchen hingegen die Wahl auf Testwahlen — pro oder contra SPÖ-Regierung — umzufunktionieren.

Die Partei Eduard Wallnöfers, die, wie bekannt, am 1. März 1970 einen Kanonenschlag vor den Bug gesetzt bekam, sieht die Lage nach der verlorenen Nationalratswahl durchaus realistisch. Zwei Mandate, so wird in der Umgebung des Landeshauptmannes geflüstert, könnten ohne weiteres „in die Binsen“ gehen und damit die Volkspartei wieder auf den Mandatsstand von 1961 zurückwerfen. Das Ergebnis der Nationalratswahl hätte jedenfalls für die Volkspartei den Verlust von drei Mandaten bedeutet. Es würde weiter bedeutet haben, daß die ÖVP durch den Verlust der Zweidrittelmehrheit der SPÖ ein zusätzliches Landesregierungsmitglied abtreten müßte. Andere Faktoren wiederum, wie die traditionelle Schwäche der SPÖ bei Landtagswahlen und die Tatsache einer sozialistischen Minderheitsregierung im fernen Wien, könnten jedoch die Wahl entscheidend nach beiden Seiten hin beeinflussen, könnten dazu führen, daß die rund 40.000 Wechselwähler Tirols der SPÖ ein Schnippchen schlagen. Die Zwergpartei Tirols, die Freiheitlichen, fürchten — ähnlich wie Peter auf Bundesebene — die kommende Wahlauseinandersetzung wie der Teufel das Weihwasser. So kennzeichnet FPÖ-Obmann Mahnert die Aussichten seiner Partei für den 4. Oktober lapidar: „Es ist alles drinnen von Null bis Zwei.“ Wenn die FPÖ trotz ihres guten Abschneidens vom 1. März in Tirol am 4. Oktober nur 500 Stimmen verliert, ist sie aus dem Landtag; wenn sie in Innsbruck 1500 Stimmen gewinnt, ist sie mit zwei Grundmandaten aus dem Wasser. Wiewohl die Lage der Freiheitlichen prekär ist und sie überdies mit einem völlig neuen Spitzenkandidaten, dem Kitzbüheler Rechtsanwalt Dr. Wendling, ins Rennen geht, zweifein nur wenige politische Beobachter in Innsbruck daran, daß die FPÖ nach dem 4. Oktober in den renovierten Sitzungssaal des Landhauses einziehen wird. Dies rührt zu einem Gutteil von der geltenden Wahlordnung her, die im Jahre 1965 von der ÖVP gegen heftigen Widerstand in den eigenen Reihen durchgesetzt wurde und die auf das Erfordernis eines Grundimandates für die zweite Ermittlung verzichtet, wenn eine Partei nur zwei Sieben-unddreißigstel der gültigen Stimmen errungen hat

Die Entscheidung am 4. Oktober wird aber doch zu einem unbekannten Teil von der Bundespolitik mitbestimmt. Die Maßnahmen des sozialistischen Landwirtscliaftsministers — Erhöhung des Milchkrisengro-schens, Kalidüngerverteuerung und ähnliches mehr — werden den „Einbruch ins Dorf“ stoppen. Das in Tirol besonders beifällig aufgenommene Versprechen einer Verkürzung der Wehrdienstzeit, die derzeit alles andere als klaglos in der parlamentarischen Heereskommission vorangetrieben wird, ist eine weitere Hypothek für die sozialistische Regierung in Wien. Dazu kommt die dürftige Lohn- und Einkommen-Steuerreform Androschs, die geringe Erhöhung der Renten und der Vorschlag des Innenministers, eine Wahlrechtsreform durchzuführen, die für Tirol eine glatte Benachteiligung mit sich bringen würde. Dazu kommen die — allerdings nicht weltbewegenden — Differenzen der Tiroler Parteien über Landesfragen. Und schließlich kommt ein wahrscheinlich wahlentscheidendes Moment hinzu, nämlich die Protagonisten beider wahlwerbenden Gruppen: Eduard Wallnöfer für die ÖVP, Dr. Herbert Salcher für die Sozialistische Partei Tirols. Den am 13. Dezember 1913 als Sohn von Bauersleuten in Schluderns in Südtirol geborenen Landeshauptmann trennt von dem um 21 Jahre jüngeren Direktorstellvertreter der riroler Gebietsfcrankenkasse weit mehr als die verschiedene Parteizugehörigkeit. Eine größere Diskrepanz wie zwischen diesen beiden ist kaum vorstellbar: Hier ein gebürtiger Süd-tiröler und Kleinbauer, dort der legere, aber eiskalte Nordtiroler Technokrat, hier der Propagandist des „geistigen“ und „ewigen“ Tirol als Bindeglied zwischen Nord und Süd, lort der entschiedene Befürworter sines sich auf seine derzeitige Grenzen bescheidenden Tirol.

Hier der mit jeder Faser seines Hersens überzeugte Föderalist Wallnöfer [aus seiner Regierungserklärung des Jahres 1963: „Tirol ist und war .mmer ein Hort des Föderalismus“ ... ,Was die kleinere Gemeinschaft besorgen kann, soll ihr zur Erledigung iberlassen bleiben“...), dort der •nüchterne Rechner Dr. Salcher, der n der Frage der Wahlrechtsreform nit Kreisky einer Meinung ist und sich mit Vorliebe dem Aufbau einer nodernen EDV-Anlage in seinem \rbeitsbereich widmet. Schließlich st das verschiedene Temperament .Gewähr“ dafür, daß es zwischen lern sicheren „neuen“ Landeshaupt-nann Wallnöfer und dem ebenfalls iicheren neuen Landeshauptimann-itellvertreter Salcher in der zukünftigen Regierung anders als bis-ler zugehen wird.

Die geistige Grundeinstellung beider riroler Spitzenpolitiker ist es auch, lie sich auf die Frontstellung in den L,andesproblemen auswirkt und nanche Details schärfer erscheinen äßt, als sie ansonsten sind. Neben ler bereits genannten Wahlrechts-■eform der Sozialisten ist es vor illem die Frage der Auflassung ein-dassiger und zweiklassiger Volks-ichulen (Zwergschulen) an denen ;ich das polternde Temperament ■Vallnöfers entzündet. „Es ist unver- i ständlich, daß die Sozialisten wollen, daß die Kinder bereits mit sechs Jahren vom Dorf weg ins Internat fahren müssen“, malt Wallnöfer mit kräftigen Strichen ein düsteres Zukunftsbild. Saldier wiederum rekapituliert, daß gerade die Schulsituation Tirols bei den Unterstufen der Pflichtschulen ungünstiger als im übrigen Österreich sei. „Bewährung und Verjüngung“ lautete der Slogan der ÖVP hinsichtlich der Auswahl ihrer Kandidaten für die Landtagswahl. Tatsächlich gibt es auf den Spitzenplätzen kaum Veränderungen, doch wurden fünf junge Kandidaten auf sichere Plätze gereiht. Da vorgesehen ist, daß die Regierungsmitglieder nach ihrer Angelobung ihre Abgeordnetenmandate zurücklegen werden, kann die ÖVP darauf verweisen, daß ihre Mannschaft neun bis zehn neue und junge Gesichter aufweisen wird. In der Zusammensetzung der Regierung wird sich auf ÖVP-Seite nur dann etwas ändern, wenn der Wahlausgang den Sozialisten ein weiteres — drittes — Regierungsmitglied beschert. Ansonsten würden neben Landeshauptmann Wallnöfer der ÖAABler und Schulreferent Landeshauptmannstellvertreter Dr. Prior, der Wirt-schaftsbündier Lackner, Landesrat Dr. Erlacher und Landesrat Tropp-mair die Regierungslbank beziehen. Nachfolge muß lediglich für den Wirtschaftsbündler Landesrat Unter-weger gesucht werden, der nicht mehr kandidiert.

Die Sozialisten haben gerade an ihrer Spitze radikale Veränderungen vorgenommen. So wird der langjährige Landeshauptmannstellvertreter und Sozialreferent Kunst aus Altersgründen ausscheiden und durch den SPÖ-Spitzenkandidaten und Kreisky-Fan Dr. Saldier ersetzt werden. Pikanterweise rührt gerade ein Großteil der Kritik Dr. Salchers an der bisherigen Landesführung Probleme des Sozialressorts an, die von seinem Parteifreund Kunst verwaltet wurden. Gleichfalls gewisse Pikanterien birgt die Tatsache, daß der Listennächste des Bezirkes Innsbruck-Stadt nach Dr. Saldier sein Vorgesetzter in der Tiroler Gebietskrankenkasse ist! Auf den hinteren Plätzen der Sozialisten hat sich hingegen kaum etwas verändert, die Partei ist, ebenso wie die ÖVP, im mittleren und unteren Funktionärskorps ziemlich veraltet und dementsprechend „konservativ“.

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