Erhard Busek, Lech Walesa, Josef Riegler - © Foto: picturedesk.com / APA-Archiv /R. Jaeger

Mit Karacho durch Europa: Erinnerung an Erhard Busek

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Erhard Busek hat so viele Leben verändert, so viele mitgerissen. An seiner Seite wusste man, wofür man kämpfte.

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Erhard Busek hat so viele Leben verändert, so viele mitgerissen. An seiner Seite wusste man, wofür man kämpfte.

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„Es gibt eine gottgewollte Unabhängigkeit. Beim Einzelmenschen. Den Kopf zwischen den Schultern trägt jeder für sich.“ (Alfred Döblin)

Es war Sommer 1988. Mit Riesenkaracho fuhren wir in einem Kleinbus durch polnische Dörfer Richtung Danzig. Wir hatten Medikamente dabei, Zigaretten für diverse Grenzkontrollen und Geldspenden. Die eine oder andere Gans musste dran glauben. Im Rückspiegel sah man die Federn fliegen. Eine Begegnung mit Lech Wałęsa war angesagt. Wir trafen ihn auch gut beschützt in der Pfarrerswohnung der Marienkirche. Im selben Tempo ging es dann weiter nach Warschau zu einem Treffen mit Tadeusz Mazowiecki, Adam Michnik und Bronisław Geremek, die intellektuellen Anführer der Solidarność-Bewegung, gerade aus dem Gefängnis entlassen.

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Zurück fuhren wir über Łódź, um den berühmten jüdischen Friedhof zu besichtigen und die Filmschule, in der Roman Polanski, Andrzej Wajda und all die anderen Großen des polnischen Films ihre ersten Werke produzierten. Erhard fuhr selbst und wie immer in einem Höllentempo. Sein langjähriger Weggefährte, Peter Mahringer, an seiner Seite. Allen im Auto war übel, um nicht zu sagen spei-übel.

Groß denken und Pläne schmieden

Für uns war diese High-Speed-Erfahrung Ausdruck seines Wissens um das, was buchstäblich not-wendig war, für seinen sense of urgency. So rasten wir, grün im Gesicht, aber uns dadurch unserer Verantwortung bewusst, durch Mittel-, Ost- und Südosteuropa.

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Busek - Erhard Busek auf dem berühmten jüdischen Friedhof von Łódź - © Foto: Boris Marte
© Foto: Boris Marte
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Busek - Impressionen der Polen-Reise - © Foto: Boris Marte
© Foto: Boris Marte
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Busek - Der jüdische Friedhof von Łódź - © Foto: Boris Marte
© Foto: Boris Marte
  1. Erhard Busek auf dem berühmten jüdischen Friedhof von Łódź
  2. Impressionen der Polen-Reise
  3. Der jüdische Friedhof von Łódź

Erhard hat das große Europa zu bauen begonnen, als noch niemand davon etwas wissen wollte und ein eiserner Vorhang den Kontinent trennte. Er kannte all diejenigen, die später die Revolutionen in ihren Ländern stemmten, sie waren alle seine Freunde. Er fühlte sich als einer von ihnen, er dachte wie sie, er konnte dort Gespräche führen, die ihm in seinem eigenen Land so unendlich fehlten.

Erhard war ein tiefsinniger, begabter und neugieriger Gesprächspartner. Und ein spitzbübischer noch dazu. Man konnte mit ihm groß denken, Dinge aushecken und Pläne schmieden. Das Funkeln in seinen Augen hat er nie verloren.

Wie konnte all das, was er anpackte, in ein Leben passen? Erhard hätte mehrere Leben mit Aufträgen und Sinn füllen können. Erhard hat so viel geben können aus einer schier unerschöpflichen Quelle.

Ein Jahr darauf kamen wir ziemlich ernüchtert von einer Reise aus Jugoslawien zurück, wo uns in den orthodoxen Klöstern bereits die Ideologie für den späteren Krieg entgegenschlug. Erhard wusste um die tiefen Risse in diesem Land und warnte, bevor es dann zu spät war. Für György Konrád aus Budapest haben wir Manuskripte geschmuggelt.

So war er, der Erhard. Ohne ihn wäre Österreichs Beitritt zur Europäischen Union nicht möglich gewesen. Doch „Held“ sein, das lag ihm nicht. Lieber dann irgendwo mit Freunden in seiner geliebten und besungenen „Weaner Stadt“ abtauchen und die feine Klinge auspacken. Und Lachen, was das Zeug hält, sodass man es bis in die Gasse hinaushören konnte.

Seine Brille war wie ein Brennglas, das an gesellschaftlichen Brüchen und intellektuellen Achsen entlang sich durchackerte und Feuer entfachte. So zog er uns mit. An seiner Seite wusste man wofür man kämpfte. Es ging ihm immer um viel. Und viel zu langsam. Belesen wie er war, war ihm jede einfache Antwort zuwider. Man konnte es ihm ansehen. Für ihn war nie etwas selbstverständlich (und wie Recht er hatte). Zu nah war ihm das aus den Ruinen des Zweiten Weltkriegs entstandene junge, zerbrechliche Österreich. Und er wusste sehr genau, wie dünn die Decke der Zivilisation ist.

Der Konservative als wahrer Revolutionär

Aus seiner ungeduldigen Inakzeptanz der Realität gegenüber wuchs ein einmaliges politisches Programm, das glaubwürdig nur er selbst vertreten konnte. In seinem Verständnis, die Welt zu verändern, war der Konservative der wahre Revolutionär. Sein Kopf, den er, wenn‘s um was ging, immer leicht gesenkt zwischen den Schultern trug, war unabhängig, neugierig und stur genug, dass er voraus denken und voraus gehen konnte. Ausrufend und aufrecht! Sein Herz hatte viel zu tun, um mit dem Kopf halbwegs mithalten zu können. Wie konnte all das, was er anpackte, in ein Leben passen? Erhard hätte mehrere Leben mit Aufträgen und Sinn füllen können. Erhard hat so viel geben können aus einer schier unerschöpflichen Quelle.

„Aber sie [die gottgewollte Unabhängigkeit] ist eine Triebkraft. Sie ist das, was die Versteinerung verhindert, was die Dinge aus einem geschichtslosen Zustand in die Geschichte treibt, was uns zu kämpfenden und bedürftigen Wesen macht.“ (Alfred Döblin)

Damit hat Erhard so viele Leben verändert, so viele mitgerissen so vielen Menschen Lust auf Veränderung gemacht. Hinter dem dicken Panzer seiner politischen Rhetorik war ein sehr feiner, weicher, kunstsinniger und aufmerksamer Mensch zu Hause. Erhard konnte schwelgen und genießen und menschlich konnte er sich seinen Sehnsüchten hingeben, die ihn so nahbar machten. Erhard, wir, Deine „Kinder“ in ganz Europa, werden deine Stimme nicht vergessen.

Der Autor war Mitarbeiter und Wegbegleiter von Erhard Busek und ist Vorstandsvorsitzender der ERSTE Stiftung.

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