Mit Sündenböcken von Problemen ablenken

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Ein altes Motto wird erneut wieder salonfähig gemacht: Die Juden seien ja selbst schuld am Antisemitismus.

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Ein altes Motto wird erneut wieder salonfähig gemacht: Die Juden seien ja selbst schuld am Antisemitismus.

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Mit Ausnahme von Leopold Kunschak hat sich nach 1945 kein namhafter Politiker mehr zum Antisemitismus bekannt. Er wird von den meisten geleugnet oder den politischen Gegnern zugeordnet. Noch heuer behaupteten einige Journalisten und Politiker - die Fakten nicht zur Kenntnis nehmend - Jörg Haider sei zwar ein Populist, habe aber noch nie etwas Antisemitisches gesagt.

Meine Frage, bei einer Pressekonferenz, ob er denn die Nabelschnur, die ihn mit Antisemiten und Holocaustverharmlosern verbindet, kappen könne, beantwortete Jörg Haider am 1. Februar 2000 mit einem nichtssagenden Wortschwall. Zwei Tage später versprach er mit Wolfgang Schüssel für ein Österreich zu arbeiten, "in dem Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Rassismus keinen Platz finden". Seitdem vermeiden es die Unterzeichner der Präambel allerdings tunlichst, "jeder Form von menschenverachtendem Gedankengut und seiner Verbreitung konsequent entgegenzutreten". Spricht man den Bundeskanzler auf Antisemitismus an, so bekommt man die Antwort, diesen gäbe es auch anderswo. Er glaubt, es genüge den Opfern des NS-Regimes eine Entschädigung zu versprechen, um vergessen zu machen, wer seine Kanzlerschaft ermöglicht.

Jörg Haider geht noch weiter und schert sich keinen Deut um die Präambel. Während des Wiener Wahlkampfes beschränkte er sich nicht auf das Instrumentalisieren von Xenophobie, sondern wollte auch vom latenten Antisemitismus profitieren. Den Adressaten dieser Agitation brauchen die Grundlagen des Antisemitismus nicht mehr vermittelt werden, Codices genügen zumeist. Und Jörg Haider begnügte sich nicht nur mit Wortspielereien, sondern warf in seinem Gastkommentar in der Presse (17. März 2001) dem Präsidenten der jüdischen Gemeinde Dr. Muzicant vor, der österreichischen Regierung "den Krieg erklärt" zu haben. Gemäß dem alten Motto: Die Juden sind selbst schuld am Antisemitismus beziehungsweise an ihrer Ausrottung, weil sie dem deutschen Volk den "Krieg erklärt haben". Jahrzehnte wurde in Österreich über die Involvierung der österreichischen Gesellschaft in den Nationalsozialismus geschwiegen. Die österreichischen Juden, wurden aus dem Gedächtnis ausgeblendet, denn sonst hätte man ja hinweisen müssen, wer die ersten Opfer, der "ersten Opfer" waren.

Davon profitierte Kurt Waldheim, der nach einer pseudopatriotischen - gegen "gewisse Kreise" der "Ostküs-te" gerichteten - Wahlkampagne zum Bundespräsidenten gewählt wurde. Nicht zufällig folgte darauf Haiders "Putsch" in der FPÖ. Doch 15 Jahre später konnte er, der noch vor ein paar Jahren die österreichische Nation als "Missgeburt" qualifizierte, mit "patriotischen" Hetzparolen keinen Erfolg mehr erzielen. Die Mehrheit der Wiener ließ sich nicht einreden, Haider wäre mit Österreich gleichzusetzen und seine Kritiker seien "Österreich-Feinde" oder "keine guten Österreicher". Wenn Schüssel zunächst schwieg, um dann antisemitische Agitation als "Faschingsscherz" oder Stilfrage abzutun, so zeigte er, dass ihm sein Posten als Bundeskanzler wichtiger ist, als der gute Ruf unseres Landes.

Die beiden Parteien, die während der Wiener Wahlkampagne gegen Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus offen auftraten, waren erfolgreich. Das ist ein gutes Zeichen. Die meisten Österreicher wissen, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit schaden nicht nur im Ausland sondern auch im Inland, denn mit Sündenböcken kann man von echten Problemen ablenken. In Österreich hat dies schon einmal zur Katastrophe geführt. Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit sind aber nicht nur Probleme der Politik oder gar der Justiz, sondern auch der Moral. Wer dazu schweigt, der stimmt zu.

Der Autor war von 1982 bis 1995 Redakteur der "Gemeinde", des offiziellen Organs der Israelitischen Kultusgemeinde Wien und ist Korrespondent des israelischen Radios und der in London erscheinenden Monatszeitschrift "Searchlight".

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