Mit voller Kraft zur Energiewende

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Der Spitzenkandidat der Grünen, Alexander Van der Bellen, über die zentralen Themen seiner Politik.

Die Furche: Der Stern-Report zum Klimawandel ist Ihnen eines der wichtigsten Bücher. Wie bedroht sind denn die Welt und die Menschheit?

Alexander Van der Bellen: Ökonomen wie Stern schätzen die negativen Auswirkungen des Klimawandels gleich ein wie jene der Weltwirtschaftskrise in den dreißiger Jahren. Vor allem, wenn nicht gegengesteuert wird. Der Klimawandel ist das größte Marktversagen der Geschichte. Doch viele der Maßnahmen dagegen würden nichts kosten, weil sie sich wegen hoher Öl- und Gaspreise amortisieren.

Die Furche: Also, was tun?

Van der Bellen: Es ist wirtschaftlich, politisch sowie technisch möglich und notwendig, den Klimawandel zu bewältigen. Solarindustrie, Windkraftwerke und Biomasse schaffen neue Märkte. Sozialpolitisch dürfen wir die Leute mit den hohen Heizkosten nicht allein lassen. Europa ist zudem in einer bedenklichen Weise von Öl und Gas aus Russland abhängig.

Die Furche: Aus der Programmatik der Grünen spricht eine gewisse Bedrohung dieser Welt, etwa durch Klimawandel. Klingt pessimistisch.

Van der Bellen: Ich sehe das nicht so. Ich sehe die Frage, wie ein säkular und durch die Universität geprägter Mensch wie ich es schafft, anderen Leuten den Klimaschutz nahezubringen. Wehmütig sehe ich, wie Christen unter dem viel poetischeren Begriff Schöpfungsverantwortung das gleiche tun. Da kann ich nichts Pessimistisches sehen.

Die Furche: Entlang welcher Koordinaten wollen Sie Klimapolitik betreiben: Das Verhalten des Einzelnen ändern, mehr Förderungen zahlen oder die Steuerpolitik einsetzen?

Van der Bellen: Appelle werden nicht reichen, ich bin für marktwirtschaftliche Instrumente. Das bedeutet etwa Spritfresser stark, andere gar nicht zu besteuern. Weiters: Solaranlagen am Dach sind keine Spinnerei oder Luxus, sondern eine Investition in die Zukunft. Wenn Information und Förderung nicht wirken, kann man auf gesetzliche und auf administrative Maßnahmen zurückgreifen.

Die Furche: Das wird lokal, aber nicht überall Umweltprobleme lösen.

Van der Bellen: Der Transitverkehr braucht eine quantitative Grenze. Wir sollten die Durchfahrts-Erlaubnis für Lkw am Brenner versteigern. Verkehrsminister Werner Faymann hat bis heute nicht verstanden, worum es gehen könnte. Das hat sich in den USA bewährt, um Schwefelemissionen einzudämmen. In Österreich ist der Bezirk Güssing (Bgld.) ein faszinierendes Beispiel. Der Bezirk bietet nur Wald und Wiesen, ist aber energieautark: Güssing hat heute ein Biomasse-Kraftwerk, heizt lokal, nutzt Abwärme und betreibt ein Forschungszentrum sowie ein eigenes Hotel für Fachbesucher. Solche Modelle sollten wir entwickeln, umsetzen und exportieren. Die Kosten für Energie bleiben im lokalen Kreislauf, das Geld fließt nicht nach Russland. Genau das macht dann den Unterschied.

Die Furche: Defensiv lesen sich die grünen Programm-Passagen über den Einzelnen. Begriffe wie "Leistung" fehlen, es geht nur um Existenzsicherung.

Van der Bellen: Da befinden wir uns in guter katholischer Tradition, auch wenn wir nicht so weit gegangen sind wie die katholische Sozialakademie mit dem Grundeinkommen. Aber dass es eines Netzes bedarf, damit niemand seine Existenz verliert, ist nicht defensiv sondern modern. Wenn - laut Statistik - Österreich das viertreichste Land ist, zugleich eine Million Menschen an der Armutsgrenze leben, dann stimmt hier etwas nicht. Also ist die Verteilungsfrage wichtig. Wir wollen mittlere und kleine Gehälter entlasten, wohlhabende Schichten müssen einen stärkeren Beitrag leisten als bisher. Mit einer Erbschaftssteuer oder eine bescheidene Vermögenssteuer, wie sie in anderen kapitalistischen Staaten gang und gäbe ist.

Die Furche: Als eine neue Vermögenssteuer für die Umverteilung?

Van der Bellen: … um Spielraum zu schaffen für die Entlastung der Einkommen aus Arbeit, denn die ist in Österreich hoch besteuert.

Die Furche: Werden die Grünen als Umwelt- zur Sozialpartei? Das war doch Primat der Linken.

Van der Bellen: Ja, aber eine der Wurzeln der Grünen ist das sozialpolitische Engagement.

Die Furche: Wo sehen Sie in Mitbewerbern die Konkurrenz zu den Grünen und ein Abgrenzungserfordernis?

Van der Bellen: Die Grünen sind eine selbstbewusste, eigenständige Partei. Alle Mitbewerber sind Konkurrenten und Gegner. Das derzeit Spezifische ist der Stillstand durch zwei Jahre große Koalition, zwei verlorene Jahre. Das Neue sind die Grünen. FPÖ und BZÖ leben vom Ressentiment gegen Ausländer und von einer völlig irregeleiteten Aversion gegen die Europäische Union.

Die Furche: Was ist der zentrale Punkt Ihrer Programmatik für eine Regierungsbeteiligung?

Van der Bellen: Auf der Metaebene würde ich sagen, das Allerwichtigste ist: Die Scheuklappen runter und die echten Probleme angehen. Dass wir ein Einwanderungsland sind und bleiben, dass wir das wirtschaftlich und kulturell brauchen. Das nächste ist die Wende in der Energiepolitik, dann geht es um einen Umbau im Staat, der jedem Kind die Chancen gibt, die es braucht und verdient, und um soziale Gerechtigkeit.

Die Furche: Es gibt eben aber auch Ängste unter der Bevölkerung.

Van der Bellen: Die Leute haben Angst vor allem möglichen, und das verstehe ich auch. Wenn ich beispielsweise in einem Gemeindebau wohne, und dann zieht jemand ein, mit ganz anderen Gewohnheiten, dann bin ich verunsichert. Die Wirtschaft globalisiert sich zugleich in einem atemberaubenden Tempo, das geht vielen zu schnell. Wir brauchen daher ein politisches Werkzeug, nicht um dem etwas entgegenzusetzen, sondern um es zu steuern. Das ist die Europäische Union. Was denn sonst? Gäbe es die EU nicht, wir würden sie erfinden müssen, aber demokratischer und handlungsfähiger, habe ich im Parlament gesagt. Gegen übermächtige Multis wie Microsoft kann ein Staat nichts machen, die EU hingegen schon. Doch die Leute auf der Straße sagen, das glaube ich nicht. Es ist ganz schwierig klarzumachen, was die EU bringt, ohne dass man es mit Händen greifen kann.

Das Gespräch führte Claus Reitan.

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