Mit Vollgas in die Klimakatastrophe

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Weltklimapolitik im Spagat zwischen der Forderung nach mehr Entwicklung und den katastrophalen Auswirkungen schmelzender Himalaya-Gletscher.

Für Indiens führenden Klimawissenschaftler und Friedensnobelpreisträger Rajendra Pachauri ist die Vorstellung einer Massenmotorisierung durch das neue Billigauto Nano des indischen Tata-Konzerns "ein Alptraum". Der Billigkleinwagen Nano "ist nicht die Transport-Option für ein Land mit einer Milliarde Menschen", sagt Pachauri. Der 68-Jährige steht dem Weltklimarat IPCC vor.

Während Pachauri und andere indische Umwelt- und Klimaschützer eine Stärkung öffentlicher Transportsysteme fordern, loben der Tata-Konzern wie Shyam Saran, der Klimasondergesandte des indischen Premierministers, die geringen Abgaswerte des Nano. Auch Kalyan Prasad Nyati, der Klimaexperte des indischen Industrieverbands CII, verteidigt den Kleinwagen: "Der Nano ist kein Rückschritt. Es ist doch merkwürdig: Fahren wir Inder Motorrad, ist das kein Thema. Aber beim Nano regen sich viele auf. Geländewagen (SUVs) in den Industrieländern stellt hingegen niemand in Frage." Nyati sieht im Nano eine Chance für Indien, während er die Notwendigkeit für SUVs in Industrieländern bezweifelt: "Für Mobilität brauche ich doch keine Spritschlucker."

Erste 100.000 Nanos verlost

Wegen massiver Produktionsverzögerungen aufgrund eines Landkonfliktes hat Tata den Nano zunächst nur vom 9. bis 25. April angeboten. 1,4 Millionen Menschen sahen sich nach Konzernangaben das Fahrzeug bei den Händlern an. Die 100.000 Fahrzeuge, die Tata bis Ende 2010 produzieren kann, werden unter den ersten 203.000 Bewerbern verlost. Die befürchtete Massenmotorisierung wird es also erst dann geben, wenn der Konzern seine Produktionsprobleme überwunden hat, zusätzliche Exportmärkte erobert und sein Konzept eines Billig-Kleinwagens Nachahmer findet.

Beim Autokauf in Indien und anderswo geht es längst nicht mehr nur um individuelle und nationale Entscheidungen, sondern um ein grundsätzliches Dilemma der globalen Klimapolitik. Das wird immer dann deutlich, wenn Entwicklungs- und Schwellenländer den nicht nachhaltigen und deshalb nicht beliebig globalisierbaren Entwicklungs- und Konsummustern der Industriestaaten folgen. In den globalen Klimaverhandlungen spitzt sich dies auf den Konflikt zu, ob Entwicklungsländer zugunsten des Klimaschutzes Verzicht üben sollen. Oder sollten nicht vielmehr die Industrieländer aus Gründen des Verursacherprinzips wie der globalen Gerechtigkeit mit gutem Beispiel vorangehen?

Führt der Nano aus Indien, wo bisher gerade einmal 9 von 1000 Bürgern Auto fahren, in die drohende Klimakatastrophe? Oder sind es die teils überdimensionierten Autos in den Industrieländern, wo zwischen 500 und 800 von 1000 Bürgern damit fahren - und das seit Jahrzehnten?

Industrieländer sind gefordert

"Wir können nicht sagen, dass unsere Automobilindustrie sich nicht entwickeln darf", sagte Indiens Klimaunterhändler Saran denn auch am Rande der Vorverhandlungen für ein neues Klimaabkommen Anfang April in Bonn. "Wir können den Menschen nicht sagen, ihr dürft wegen des Klimawandels kein Auto oder keinen Fernsehenr kaufen oder ihr dürft keinen Zugang zu elektrischem Strom haben."

Saran, der 2008 für Indiens Regierung schon den Nukleardeal mit den USA aushandelte, sieht zuerst die Industrieländer gefordert. Die tragen eine historische Verantwortung und müssen den Ausstoß ihrer Treibhausgase drastisch und verbindlich reduzieren und zugleich den Entwicklungsländern klare Finanzzusagen machen, um ihnen sowohl die Umstellung auf klimafreundliche Technologien wie die Anpassung an den Klimawandel und die Abmilderung von dessen Folgen zu ermöglichen. Ohne solche Zusagen könnten sich die Entwicklungsländer nicht auf Reduktionsziele festlegen.

"Aktionen gegen den Klimawandel dürfen die Teilung der Welt in einen wohlhabenden Norden und einen verarmten Süden nicht verschärfen und mit einem grünen Etikett versehen", heißt es in einem von Saran verantworteten Positionspapier der Regierung.

Indien ist heute nach China und den USA bereits der drittgrößte Emittent der Welt von Treibhausgasen. Während die beiden Erstplatzierten rund 18 Prozent der globalen Emissionen verursachen, sind es bei Indien 4,5 Prozent. Wegen dieses großen Unterschieds möchte Indien in der Klimadebatte auch nicht mit China in einem Atemzug genannt werden. "Selbst wenn Indien von der Erde verschwinden würde, die Industrieländer aber so weitermachen wie bisher, werden die arktischen Gletscher weiter schmelzen", sagt Kirit Parikh von der Nationalen Planungskommission der Regierung, die einen Aktionsplan gegen den Klimawandel erstellt hat.

Die "Climate Challenge India"-Koalition, ein Bündnis von Nichtregierungsorganisationen, ist von diesem Aktionsplan enttäuscht: "Indien mit seiner langen Küste und großen Bevölkerung ist eines der am meisten vom Klimawandel gefährdeten Länder. Doch der Regierungsplan liest sich, als gäbe es kein ernstes Problem mit der globalen atmosphärischen Destabilisierung und als bärge der Klimawandel nur einige lokale Schwierigkeiten, die mit einigen Anpassungsmaßnahmen handhabbar wären."

Millionen Klimaflüchtlinge

In der Tat ist Südasien eine der Weltregionen, bei denen die Auswirkungen des Klimawandels nach den Vorhersagen des IPCC am stärksten zu spüren sein werden. Zu befürchten sind neben der Zunahme extremen Wetters das Abschmelzen der Himalaya-Gletscher, welche die Flusssysteme des Brahmaputra, Ganges und Indus mit Wasser speisen, wachsende Unregelmäßigkeiten bei den Monsun-Zyklen und damit größere Ernteausfälle in der Landwirtschaft sowie zunehmende Überschwemmungen an den Küsten aufgrund des steigenden Wasserspiegels. Eine Studie von Greenpeace India prophezeit für die Region selbst bei einem globalen Temperaturanstieg von nur zwei Grad mehrere zehn Millionen Klimaflüchtlinge sowie Billionen an Infrastrukturverlusten in den Küstenstädten.

Die Klima- oder Umweltpolitik war bei den Wahlen im April kein Thema. Die Bereiche Wasser und Energie aber sehr wohl. In weiten Teilen Indiens herrscht an beidem großer Mangel. So wird vor allem die nicht klimafreundliche Kohle weiterhin Hauptenergieträger bleiben. Nobelpreisträger Pachauri dazu: "Die Industrieländer haben sehr lange Kohle benutzt. Wir sagen nicht, dass wir sie genauso lange benutzen wollen. Aber wenigstens für die Zeit, in der wir die Armut beseitigen können. Wenn das nicht möglich ist, wie sollen wir uns jemals erneuerbare Energien leisten können, deren Kosten zur Zeit noch so hoch sind?"

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