Reinhard Olt, Wien-Korrespondent der FAZ, über die Neuauflage der eben erst gescheiterten SPÖ-ÖVP-Koalition.
Österreich ist das Land der großen Koalition. In der Zweiten Republik haben die Volkspartei und die Sozialdemokraten bisher 37 Jahre lang miteinander regiert. Von 1945 bis 1966 führte die ÖVP das Bündnis an; zwischen 1986 und 1999 und wieder seit 2007 war es die SPÖ. Jetzt geht aufs Neue zusammen, was erst im Sommer unter der Parole "Es reicht" geschieden wurde. […]
Dies ist ein Regierungsbündnis der Verlierer. Beide Parteien sind in der Wählergunst unter die 30-Prozent-Marke gefallen. Alle anderen im Parlament vertretenen Parteien legten dagegen zu. Weil Rot-Schwarz eigentlich abgewählt wurde, ist es nicht leicht, den Österreichern zu erklären, warum diese Koalition unter dem lähmenden Rubrum der "ständigen Wiederkehr des Ewiggleichen" jetzt doch fortgesetzt wird. Besonders ÖVP-Chef Pröll wird seine liebe Not haben, einer wenig erbauten Gefolgschaft die Neuauflage der alten Koalition schmackhaft zu machen.
Kaum internationale Erfahrung
Dieses Bündnis ist - wie kaum eines vor ihm - aber auch eine Koalition des Mittelmaßes. Dass ihr Persönlichkeiten von Gewicht fehlen, ist unschwer zu erkennen. Faymann wie Pröll sind … geradezu Musterexemplare innen- und parteipolitischer Gewächse. Ihre mangelnde internationale Erfahrung kann bis auf weiteres nicht durch noch so gute außen- und europapolitische Fachleute oder Berater ausgeglichen werden. Gerade für die ÖVP dürfte sich der (durch das Nachgeben Prölls beim europakritischen Schwenk der SPÖ) erzwungene Rückzug der prinzipienfesten Außenministerin Plassnik auf längere Sicht rächen. Symptomatisch ist auch der schon im Wahlkampf und in den Koalitionsverhandlungen deutlich werdende Zug zu populistischer Willfährigkeit gegenüber dem Boulevard, der insbesondere durch die Kronen Zeitung (und ihren Herausgeber Hans Dichand) repräsentiert wird. Von Faymann war es anders kaum zu erwarten; dass aber auch Pröll Forderungen von dieser Seite nachgab und die "Gruppe Schüssel" - mit dem vormaligen Bundeskanzler, Finanzminister Molterer, Wirtschaftsminister Bartenstein und der Außenministerin Plassnik - auf die Hinterbänke verbannte, spricht Bände.
Wachstumspotential für FPÖ und BZÖ
Dem personellen Mittelmaß entspricht das Arbeitsprogramm, auf das die Koalition sich verständigt hat. Sie will weder in das föderale Machtgefüge von Bund und Ländern eingreifen noch das (zwar gut funktionierende, aber zu teure) Gesundheitswesen reformieren. Leichter ist es gewesen, marode Krankenkassen mit 450 Millionen Euro vom Staat vor der drohenden Zahlungsunfähigkeit zu retten. Dabei könnten nach Erkenntnissen des … Verfassungskonvents bei Einschnitten in die Länderkompetenzen bis zu 3,5 Milliarden Euro jährlich gespart werden. […]
Was also bleibt? Die Bündnispartner halten offenbar das "neue Miteinander", also im Wesentlichen Kosmetik und Augenauswischerei, für ein probates Mittel, um an die vielen politischen und wirtschaftlichen Herausforderungen heranzugehen. Für SPÖ und ÖVP scheint die eleganteste Antwort auf schwierige Fragen darin zu bestehen, sie erst gar nicht zu stellen. So gewinnt man aber weder Zustimmung noch Wähler oder gar die Zukunft.
Am wenigsten die ÖVP. Schon jetzt ist offensichtlich, dass ihre ideologisch verbrämte "staatspolitischer Verantwortung" geschuldete Unterordnung als Juniorpartner in der neuen Koalition mit der SPÖ allein der opportunistischen Opposition der Freiheitlichen nützt. Was der geschmähte ÖVP-Kanzler Schüssel einst mit Geschick entzauberte, verfügt - als FPÖ und BZÖ - mehr denn je über ein enormes Wachstumspotenzial.
"Frankfurter Allgemeine", 25. November 2008
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