Modernisierung ohne Verwestlichung

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"Die Rückkehr Asiens. Das Ende der westlichen Dominanz" heißt das neue Buch von Kishore Mahbubani. DIE FURCHE sprach mit dem streitbaren Intellektuellen.

Der singapurische Professor Kishore Mahbubani, 60, gilt als einer der profiliertesten asiatischen Intellektuellen und provokantesten Kritiker "des Westens". Der Sohn pakistanischer Einwanderer war 30 Jahre lang Diplomat, zuletzt als Singapurs UN-Botschafter in New York. Heute lehrt er an der Nationaluniversität Singapur.

Die Furche: Herr Mahbubani, was bedeutet Barack Obamas Wahlsieg für das Image des Westens in der Welt?

Kishore Mahbubani: Obamas Wahl wird helfen, den weltweiten Anti-Amerikanismus um die Hälfte zu reduzieren. Millionen Afrikaner feiern seinen Wahlsieg. 200 Jahre westlicher Dominanz haben die Afrikaner demoralisiert. Und jetzt sehen sie nicht etwa einen Nachkommen von Sklaven, sondern den Sohn eines afrikanischen Vaters das mächtigste Amt der Welt erobern. Das gibt den Afrikanern einen großen Schub Selbstvertrauen. Vergleichen wir das mit Asien. Der Grund, warum die Länder dort sich so gut entwickeln, ist doch der große Schub im kulturellen Selbstvertrauen. Heute sind die Asiaten überzeugt, dass es ihnen besser gehen wird. Im gleichen Sinne könnte Obamas Sieg für die Afrikaner wirken.

Die Furche: In Ihrem neuen Buch "Die Rückkehr Asiens. Das Ende der westlichen Dominanz" beschreiben Sie einen relativen Niedergang des Westens. Zeigt Obamas Sieg nicht gerade die Fähigkeit der USA, sich in Krisenzeiten neu zu erfinden?

Mahbubani: Die These meines Buches ist, dass wir jetzt in eine Phase kommen, die vom Ende der Dominanz der Weltgeschichte durch den Westen gekennzeichnet ist. Das ist nicht das Ende des Westens. Dieser bleibt die stärkste einzelne Zivilisation. Der relative Rückgang der Macht des Westens setzt sich aber fort. Dies ist eine Rückkehr zur Norm. Denn bis 1820 waren die beiden größten Volkswirtschaften immer China und Indien. Erst in den letzten 200 Jahren stiegen Europa und dann die USA auf. Wenn also um 2050 China die größte Volkswirtschaft ist, Indien die Nummer zwei, die USA die Nummer drei und Japan die Nummer vier, ist das eine Rückkehr zur historischen Norm.

Die Furche: Obama wird die westliche Dominanz also nicht aufrechterhalten können?

Mahbubani: Er wird es nicht können, weil in China, Indien und anderen asiatischen Staaten heute die optimistischsten Menschen der Welt leben. Sie glauben, ihnen gehört die Zukunft. Selbst wenn es kurzfristige Probleme wie jetzt in der Finanzkrise gibt, sind sie zuversichtlich, dass es ihnen gut gehen wird. Wenn erst einmal hunderte Millionen Menschen in der Weltwirtschaft entfesselt sind, können sie nicht mehr zurückgedrängt werden.

Die Furche: In islamischen Ländern wird Modernisierung oft als Verwestlichung wahrgenommen und deshalb abgelehnt.

Mahbubani: Weil es bisher erfolgreiche Gesellschaften nur im Westen gab, werden Modernisierung und Verwestlichung gleichgesetzt. Weil islamische Länder Verwestlichung ablehnen, haben sie meist auch die Modernisierung abgelehnt. Aber jetzt sehen sie, dass asiatische Gesellschaften sich modernisieren und zugleich entwestlichen. China und Indien sind eben keine Kopien des Westens. Vielmehr entdecken sie ihre kulturellen Wurzeln wieder, von denen sie während der westlichen Dominanz abgeschnitten waren.

Die Furche: Besteht nicht die Gefahr, dass asiatische Arroganz künftig die westliche ersetzt?

Mahbubani: Sollten die Asiaten in Triumphalismus verfallen, wäre das ein Desaster, denn sie haben noch einen langen Weg vor sich. Doch bei meinen Begegnungen mit Politikern in China oder Indien konnte ich keinerlei Triumphalismus feststellen. Vielmehr sind sie sich bewusst über den weiten Weg, den sie noch vor sich haben. Aber anders als früher sind sie viel zuversichtlicher. Die Chinesen wollen sich auf die gigantischen internen Herausforderungen konzentrieren, bemühen sich deshalb um ein friedliches Umfeld und wollen jede globale Führungsrolle vermeiden. Momentan wollen sie das internationale System noch nicht verändern. Sie wissen, dass es irgendwann geändert werden muss, aber sie sind geduldig.

Die Furche: Sie beschreiben Asien als moderner als den Westen. Die wichtigste Entwicklung der letzten Jahrzehnte, das Internet, wurde aber in den USA erfunden.

Mahbubani: Der Westen ist innovativer als Asien und wird es noch eine Zeit bleiben. Die Asiaten halten das auch nicht für schlecht und haben zum Beispiel das Internet begierig aufgenommen. Die Länder mit der welthöchsten Breitband-Verbreitung sind Südkorea und Singapur. Unsere Regierung will jetzt jedem Haus einen Breitbandanschluss verpassen. Das drückt großes Vertrauen in die Macht des Internets aus. Wenn eine neue technische Entwicklung rauskommt wie der i-Pod, gibt es die meisten Kunden in Asien. Die Innovationen des Westens sind gut, aber auch die Asiaten investieren immer mehr in Entwicklung und Forschung. Bei Abschlussfeiern an US-Universitäten stammen die meisten Doktoranden inzwischen aus Asien.

Die Furche: Sie setzen auf eine asiatische Zukunft, doch die Asiaten haben noch nicht einmal ihre eigenen Konflikte gelöst.

Mahbubani: Es gibt viele historische Dispute in Asien, die sich nicht über Nacht beenden lassen. Um solche Konflikte in Europa zu lösen, waren zwei Weltkriege nötig. Millionen Europäer sind gestorben, bevor es möglich wurde, die Europäische Union zu schaffen, in der Kriege nicht mehr möglich sind. Das ist ein Gipfel der Zivilisation. In Asien sind wir noch nicht so weit, aber wir haben einen großen Schritt gemacht, denn das Risiko eines Krieges ist heute so niedrig wie nie zuvor.

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