"Momente, die weh taten“

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Rudolf von Strasser, Journalist und ehemaliger Widerstandskämpfer gegen die NS-Diktatur hat seine Memoiren veröffentlicht. Über Widerstand, Verrat, Gefangenschaft und Vergebung.

Rudolf von Strasser stammt aus einer Pressburger Adelsfamilie. 1938 schloss sich Strasser dem Widerstand gegen die Nationalsozialisten an. Nach dem Krieg war er Korrespondent in den USA, auch für die FURCHE. Nun erscheinen die Memoiren des 94-Jährigen, der heute in Wien lebt.

Die Furche: Sie waren Widerstandskämpfer und Opfer des Nazi-Regimes. Was empfinden Sie, wenn sie heute öffentliche Diskussionen mitverfolgen, ob der Verkauf von Hitlers "Mein Kampf“ oder Franz Hörmann, ein Professor der Wirtschaftsuniversität Wien, die Existenz des Holocaust als historische Tatsache infrage stellt?

Rudolf von Strasser: Die Zulassung von "Mein Kampf“ finde ich nicht gravierend, schließlich wurde der Inhalt dieses Machwerks am Schlachtfeld widerlegt. Die Nazis hatten ja alle Möglichkeiten, ihre Theorien und Pläne in die Tat umzusetzen; man kann niemanden zwingen, logisch zu denken. Hörmann ist nicht der erste, der den Holocaust leugnet oder anzweifelt. Man sollte vielleicht die Verbotsgesetze durch einen affirmativen Satz verschärfen: "Der Holocaust ist eine historische Tatsache.“ Damit könnte man jenen, die eine solche parlamentarische Entscheidung beurteilen, zeigen, dass eine massive Mehrheit an die historische Wahrheit des Holocaust glaubt.

Die Furche: Sie stammen aus einer weltoffenen Familie in Pressburg mit zum Teil jüdischen Vorfahren ab. Haben die Werte, die Sie von dort mitbekommen haben, Ihre Haltung und Ihre Bereitschaft zum Widerstand beeinflusst?

von Strasser: Meine Familie war groß und vielseitig. Das reichte von Literatur, Musik und Malerei bis zu geschäftlichen Belangen. Es war schon ein wirksamer Humus. Irgendwoher muss es schließlich schon gekommen sein, dass ausgerechnet ich, der sich als "rassisch belastet“ eher in ein Mauseloch zurückziehen hätte sollen, in den Widerstand gegangen ist.

Die Furche: Was waren die vordringlichsten Ziel Ihrer Gruppe?

von Strasser: Das Hauptanliegen war, den Kontakt mit den Alliierten herzustellen. Es war uns klar, dass einer der außenpolitischen Fehler des alten Österreich war, dass das Land keinen Kontakt zu den Alliierten unterhielt. Dieser Kontakt hätte uns ein Triple A gebracht, wie man so sagt. Ich wurde als Kurier und Interpret ausgewählt, weil ich aufgrund meiner Herkunft ungarische Reisepapiere hatte und mich relativ frei bewegen konnte. So bin ich 1940 nach Budapest gefahren und habe dort Vertreter der französischen Botschaft getroffen. Dieses erste Treffen verlief von der Seite der Franzosen sehr reserviert, sie wollten wesentlich mehr Informationen haben. Was ich nicht wusste war, dass während meiner Reise etwa 200 Mitglieder der Widerstandsbewegung festgenommen worden waren.

Die Furche: In Wien wartete dann schon die Gestapo auf Sie?

von Strasser: Ich war schon stutzig geworden, als ich an der Grenze sehr lange kontrolliert wurde. Ein Freund informierte mich bei meiner Ankunft am Bahnhof in Wien über die Verhaftungen und sagte mir auch, dass einer von uns, der Burgschauspieler Otto Hartmann, noch frei sei. Am nächsten Morgen um vier Uhr früh hat mich die Gestapo aus der Wohnung meiner Großmutter abgeholt. Sie sagten, sie bräuchten von mir "kleine Auskünfte“. So kam ich in Haft. Es wurde dann sehr schnell klar, dass Hartmann in Freiheit war, weil er der Spitzel war, der alle verraten hatte.

Die Furche: Haben Sie Otto Hartmann denn je wiedergesehen?

von Strasser: Ja, bei seinem Prozess nach dem Krieg, bei dem er zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. Ich kann mich noch erinnern, dass er immer derjenige war, dem unsere Aktionen nicht weit genug gingen und der mehr forderte und am meisten hetzte: Wir sollten doch Waffen und Sprengstoff kaufen und ein Gasometer sprengen. So versuchte der zu provozieren.

Die Furche: Nach drei Jahren Untersuchungshaft erhielten sie 1943 die Anklage wegen Hochverrats, Landesverrats und Zersetzung der Wehrkraft - alles Delikte, die mit der Todesstrafe geahndet werden konnten. Wie gingen Sie denn als 24-Jähriger damit um, dass Ihnen ein solches Urteil drohte?

von Strasser: Nun, das war schon eine schwere Belastung. Aber die Kommunisten im Gefängnis, die schon älter und erfahrener waren als wir, haben gesagt, es wird euch schon nichts passieren, ihr seid ja Kapitalisten und du bist ein Adeliger. An solchen Einschätzungen hat man sich auch ein bisschen festgehalten.

Die Furche: 1944 kam es dann zum Prozess. Es gab elf Todesurteile, darunter auch gegen ihren Freund Georg Heintschel-Heinegg.

von Strasser: Ja, ihn zu verlieren war ein großer Verlust. Auch heute erinnere ich mich noch an den Richter des Volksgerichtes, Wilhelm Crohne, der die ganze Verhandlung hindurch brüllte. Stundenlanges monotones Brüllen. Ich wurde schließlich zu zehn Jahren Haft, Heintschel-Heinegg zum Tod verurteilt. Er war nach dem Prozess eigentlich begnadigt worden, doch dann haben sie die Begnadigung wieder aufgehoben und er wurde enthauptet. Es war ein fürchterliches Spiel mit Menschenleben.

Die Furche: Haben Sie nicht nach dem Krieg das Bedürfnis nach Vergeltung verspürt?

von Strasser: Man kommt mit der Zeit zu einer gewissen Toleranz. Wir waren keine Racheengel. Es war ein neues Leben und das musste man à la longue allen außer den echten Kriegsverbrechern zugestehen. Aber es gab Momente, die uns furchtbar weh getan haben. Als unser Verräter Otto Hartmann beispielsweise von Bundespräsident Schärf pardoniert wurde nach zehn Jahren Haft, das war Populismus und Stimmenfang pur. Leider geschah die Entnazifizierung zu früh. Es wäre Zeit gewesen, eine liberale Partei zu etablieren.

Die Furche: Wenn Sie zurückblicken und das Leben nach und vor dem Krieg vergleichen. Wie viel von dem Humus, von dem Sie vorhin gesprochen haben, war noch übrig nach dem Holocaust und dem Krieg.

von Strasser: Fast keiner und das gilt noch heute. Das Land hat seinen Charakter und seine Seele geändert.

Die Furche: Sie waren nach dem Krieg eines der Gründungsmitglieder der Volkspartei. Wie sehen Sie denn die aktuelle Entwicklung der Partei?

von Strasser: Der Partei fehlt im Moment die Durchschlagskraft. Und die Skandale um Ernst Strasser und andere hat es früher nicht gegeben. Ich weiß nicht, wo das herkam. Wir wurden doch nicht alle zu Dieben erzogen. Wir hatten auch keine kommunistische Diktatur. Generell geht es den Großparteien nicht gut. Auch den Sozialdemokraten nicht. Die sind nur etwas besser organisiert als die ÖVP.

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