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Sie kämpfen für ein von indischer Kontrolle befreites Kaschmir.

Intikhab (Name von der Redaktion geändert), 24 Jahre alt, ist ein freiwilliger Helfer der ersten Stunde. Bereits am 9. Oktober letzten Jahres, einen Tag nach der Erdbebenkatastrophe in Kaschmir, ist er mit seinen Freunden nach Bagh gekommen, um den Einwohnern der halbzerstörten Stadt zu helfen. Er selbst stammt aus dem Norden Pakistans und gehört einer der aktiven Mudschahedin-Gruppen an, die ihre Kämpfer aus ganz Pakistan rekrutieren.

Intikhab bittet, aus Sicherheitsgründen auch den Namen seiner Organisation zu verschweigen. Als er versehentlich seinen Code-Namen verrät, gerät er kurzfristig in Panik. "Ich möchte keine Probleme mit meinen Vorgesetzten, mit der Polizei oder mit dem pakistanischen Geheimdienst bekommen."

Intikhabs Vorsicht hat seine Gründe: Als seine Gruppe ihre Flagge auf der halbzerfallenen Moschee einer zerstörten Schule in Bagh gehisst hatte, in deren Vorhalle sie ihre zur Verteilung bestimmten Hilfsgüter stapeln, waren einige Polizisten aufgetaucht und hatten um Entfernung der Fahne gebeten. Auch die Waffen möge man verstecken, hatten die Beamten ersucht - Kalaschnikows würden in den Augen von europäischen und amerikanischen Hilfsorganisationen doch zu bedrohlich wirken.

Kaschmir "befreien"

Das erklärte Ziel dieser Mudschahedin ist es, den indischen, großteils muslimisch geprägten Teil Kaschmirs zu "befreien". Anschläge gegen indische Institutionen und bewaffnete Auseinandersetzungen mit Polizei und Armee bilden Teil dieses Kampfes - nach der Auffassung der Mudschahedin ist es ein Dschihad, ein "heiliger Krieg". Seit dem Erdbeben hat Dschihad aber noch eine andere Bedeutung bekommen. Salahuddin, der ranghöchste Kommandant der "Hisbul Mudschahedin" und zugleich bis Jahreswechsel Vorsitzender des "United Jihad Council", dem Dachverband von knapp 20 Mudschahedin-Organisationen, denen auch Intikhabs Gruppierung angehört, hatte nach dem Erdbeben alle Mitglieder zu einer Krisensitzung einberufen und Katastrophenhilfe zur allerersten, heiligen Pflicht für jeden Mudschahed erklärt - Hilfe für die Erdbebenopfer gilt seither als Dschihad.

Von Ausländern geächtet

Die Mudschahedin und ihre Organisationen genießen bei der lokalen Bevölkerung Vertrauen und Respekt, zumal die von ihnen verwalteten Lager und die Verteilung der Hilfsgüter in den Augen vieler Betroffener um einiges besser organisiert scheinen als so manche Versuche von Seiten der öffentlichen Hand oder der Armee. Intikhab: "Der Heilige Koran lehrt uns, dass wir allen Menschen in Not helfen sollen", sagt er beim abendlichen Lagerfeuer im Kreis seiner Kollegen. "Allen Menschen, unabhängig von Religion und Glauben."

Als im Hamdard, einer urdu-sprachigen lokalen Tageszeitung, eine Regierungsentscheidung veröffentlicht wird, die den Mudschahedin bei Strafe die Erdbebenhilfe untersagt - jedem Mudschahed, der sich bei Hilfstätigkeiten erwischen lässt, drohen drei Monate Gefängnis -, kennt Intikhabs Unverständnis keine Grenzen. "Die pakistanische Regierung unternimmt diesen gegen die Mudschahedin gerichteten Schritt auf Grund der Einwände einiger europäischer Länder", liest er aus dem Bericht vor. Zornig faltet er die Zeitung. "Das ist nicht fair", findet er. "Wir leisten gute Arbeit. - Warum erkennen das die ausländischen ngos nicht an? Warum kommen nicht europäische Delegationen in unser Lager und überzeugen sich selbst von der Art unserer Tätigkeit?" Ob seine Gruppe nun ihre Zelte abbrechen muss? "Natürlich nicht", schnaubt Intikhab. "Wir dienen hier den Menschen, wir können sie nicht im Stich lassen! Wir setzen unsere Arbeit fort, Inshallah, so Gott will!"

Inzwischen schaut es wieder besser aus für Intikhab und seine Mudschahedin-Freunde: Der pakistanische Präsident, General Pervez Musharraf, sprach sich zwar gegen jede Art von Extremismus aus. Aber nicht ohne den Hinweis: "Ihr braucht euch keine Sorgen darüber zu machen, wer zu euch kommt, um euch zu helfen, und wer nicht. Wer auch immer euch hilft und unterstützt, ist willkommen. Nur wer mit anderen Absichten kommt, den müsst ihr aufhalten."

Suche nach Verschütteten

Zu den Pflichten eines Mudschahedin im Erdbeben-Dschihad zählen aber auch bei weitem schwerere Aufgaben als Hilfsgüter zu sammeln und gerecht zu verteilen: das Suchen nach den Verschütteten, auch lange nach dem Beben. Die Schule, auf deren Gelände Intikhabs Gruppe ihre Zelte errichtet hat, ist völlig eingestürzt und hat viele Schüler und Schülerinnen unter den herabfallenden Trümmern begraben. Intikhab kommt mit zwei seiner Kollegen. Sie ziehen sich Plastikhandschuhe über, Gesichtsmasken schützen vor den Dämpfen. Nach stundenlangem Mühen ziehen Intikhab und der zweite Helfer den arg entstellten Körper eines Buben unter den Trümmern hervor. Der Vater kann seinen Sohn nur noch an den Sportschuhen identifizieren. Mit zitternden Lippen murmelt er ein Gebet. Den Anblick des toten Buben muss auch Intikhab erst verkraften, obwohl er schon viele Tote aus den Trümmern geborgen hat: "Gott weiß es besser", sagt er, "ich kann nur für den Frieden seiner Seele beten und dafür, dass Allah in seiner Güte die Überlebenden vor einem ähnlichen Unglück bewahrt."

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