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Müllverbrennung um jeden Preis

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Das Thema Umwelt ist beliebter Bestandteil von Sonntagsreden. Im beinharten politischen Alltag schaut dann vieles ganz anders aus...

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Die Müllverbrennungsanlage am Wiener Flötzersteig ist seit Jahrzehnten äußerst umstritten. Sie liegt mitten in einem Wohngebiet, ist umgeben von Gärten und Grünanlagen. Vier Spitäler befinden sich in ihrer nähreren Umgebung. Erst 1985 gelang es durch massive Interventionen einer Bürgerinitiative, die sich gegen den Betrieb der Verbrennungsanlage gebildet hatte, den Einbau von Filtern zu erreichen.

Das brachte zwar eine Verbesserung der Situation, jedoch keine Sanierung. Es zeigt sich nämlich, daß die Anlage den vom Luftreinhaltegesetz vorgeschriebenen Grenzwert der Dioxin-Emissionen nicht halten konnte. Vielmehr kam es zu Überschreitungen um das 17- bis 30fache.

Aber statt die Anlage zu schließen, beschloß die Gemeinde, sie zu „sanieren” allerdings an den Bürgern vorbei. Zwar wurde eine Verhandlung zur gewerbebehördlichen Genehmigung für den Umbau ausgeschrieben. Als es jedoch zu 1.700 Einwendungen gegen das Projekt kam, wurden die Betreffenden einfach nicht zur Verhandlung geladen. Ein grober Verfahrensfehler, der deutlich die Ein Stellung der Behörde in dieser Angelegenheit bis in die Gegenwart kennzeichnet. Die Verhandlung mußte nochmals ausgeschrieben werden. Diesmal gab es 7.000 Einwendungen. Auch darauf reagierte die Gemeinde auf ihre Art: Die Müllbeseitigungsgesellschaft Flötzersteig verschenkte einfach ihre Anlage an die Heizbetriebe Wien - und die gewerbehörd-liche Genehmigung erübrigte sich. Dazu Lore Kummer von der „Bürgerinitiative Flötzersteig”: „Wirrennen dagegen an, sind aber machtlos. Eigentlich müßte die Behörde handeln, tut es aber nicht” (FURCHE 36/1996).

Das ist nicht so überraschend, wenn man bedenkt, daß die Gemeinde Wien im Fall der Müllverbrennungsanlage Flötzersteig einerseits der Betreiber, andererseits die Behörde und die Kontrollbehörde in einem ist. Erst wenn ein Verfahren beim Verwaltungsgerichtshof angelangt ist, wird die Frage von einer unabhängigen Instanz behandelt. Und bis dorthin kann nur derjenige ein Verfahren bringen, der darin Parteienstellung hat.

Endlose Geschichte

Am vergangenen Mittwoch landete die Gemeinde nun ihren neuesten Coup in der endlosen Geschichte der Müllverbrennungsanlage: OVP und SPO stimmten der Umwidmung des Grundstückes im neuen Flächenwidmungsplan auf Sondergebiet zu. Seine Zweckbestimmung „Anlage für Abfallbehandlung und Fernwärme”.

Wohlgemerkt diese Umwidmung findet in einem Umfeld statt, das die Gemeinde selbst so kennzeichnet: „Im gesamten Plangebiet soll das Bauland aufgrund der bestehenden Nutzungsstruktur als Wohngebiet ausgewiesen werden.” Auf den Grünflächen gebe es erhaltenswerten Baumbestand, hält der Entwurf des Planes fest, die kleingärtnerische Nutzung soll im Umfeld wegen ihres Erholungswertes erhalten bleiben, die im Plangebiet gelegenen Weingärten sollen unter Schutz gestellt werden. Und: „Der im Südwesten des Plangebietes gelegene Steinhofer Park ... befindet sich zum großen Teil im 14. Bezirk. Der im 14. Bezirk gelegene feil ist im derzeit gültigen Plandokument als Erholungsgebiet Park Schutzgebiet ausgewiesen.” Das soll zukünftig auch im 16. Bezirk der Fall sein.

Wie die Faust aufs Auge paßt die Müll Verbrennung in dieses Wohngebiet, in dem sich außerdem - wie schon erwähnt - vier Spitäler befinden. In den Jahren 1959 und 1962 war ihr Grundstück von Wohngebiet auf „Bauplatz für öffentliche Zwecke” umgewidmet worden. Diesen Vorgang hatte der Verwaltungsgerichtshof 1990 als gesetzeswidrig bezeichnet. Die Gemeinde gibt vor, diesem Umstand jetzt Bechnung zu tragen, indem sie Klartext bei der Widmung spricht.

Ganz offensichtlich trägt die Gemeinde mit dieser Neuwidmung dem

Urteil des Höchstgerichtes nur formal Bechnung, indem sie dem Kind einen neuen Namen gibt. Unter den Tisch fällt dabei allerdings, worum es dem Verwaltungsgericht eigentlich ging, nämlich die Unvereinbarkeit von umweltbelastender Anlage und Wohngebiet klarzustellen.

Um jeden Preis

Abänderungen von Flächenwid-mungs- und Bebauungsplänen dürften laut Urteil „nur dann vorgenommen werden ..., wenn wichtige Bücksichten es erfordern ... Da es sich um eine Änderung der vorher bestandenen Wohngebietswidmung handelt, muß erwartet werden, daß die Vor-und Nachteile einer derartigen Umwidmung entsprechend abgewogen werden und eindeutig für die Inkaufnahme der durch die Müllverbrennungsanlage unvermeidlich zu erwartenden Emissionen sprechen. Dies kann aber nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofs den vorliegenden

Beschlußakten des Gemeinderates nicht entnommen werden.”

Die Gemeinde bleibt also weiterhin ihrer Linie treu: Müll Verbrennung Flötzersteig um jeden Preis. Unberücksichtigt bleibt die Belästigung durch die Müllanlieferung (lärmende, stinkende Lkw, die häufig vor der Anlage in Kolonne warten), unberücksichtigt, daß der Abtransport gefährlicher Filter- und Verbrennungsrückstände in nicht abgedichteten Fahrzeugen erfolgt und somit di-oxinhältige Schlacke Straßen und Abwasser verunreinigt...

Ja, man ist nicht einmal bereit, umfassend die Umweltbelastung der Gegend zu erheben. Man begnügt sich mit einer äußerst oberflächlichen Erhebung, um die Gemüter zu beruhigen. Aber selbst dieses „Gutachten” läßt erkennen, daß die Dioxinbelastung des Bodens über jenem Grenzwert liegt, der im Freien spielenden Kindern Sicherheit garantiert.

Es ist erstaunlich, was in einem Bechtsstaat alles möglich ist.

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