Müssen offen und ehrlich reden

Diese Woche wurde eine Studie zu Jugendlichen in der offenen Jugendarbeit in Wien veröffentlicht. Im Rahmen dieser Studie, die im Auftrag der Stadt Wien durchgeführt wurde, wurden 401 Jugendliche im Alter von 14 bis 17 Jahren aus 30 Jugendeinrichtungen in Wien befragt. Die Ergebnisse der Studie bestätigen einmal mehr die Notwendigkeit der Etablierung eines europäischen Islams, der sich als selbstverständlicher Teil Europas sieht und sich entsprechend entfaltet. Dass ein beachtlicher Teil der befragten JugendlichenderAussage "VorschriftenmeinerReligion sind wichtiger als die Gesetze hier" zustimmt, zeigt, dass wir noch am Anfang eines langen Prozesses stehen.

Ich habe den Eindruck, dass sowohl in den Bildungseinrichtungen und vor allem im islamischen Religionsunterricht, aber auch in der Jugendarbeit selbst, die heiklen Fragen und kontroversen Themen vermieden, oder wenn, dann nur oberflächlich behandelt werden. Es reicht nicht, dass Muslime erwarten, dass der Islam als Teil Europas wahrgenommen wird, wenn nicht zugleich der Anspruch an sich selbst gestellt wird, den Islam als Teil Europas auszulegen und zu leben. Dazu gehört zum Beispiel, dass ein historisch-kritischer Umgang mit dem Koran für Muslime selbstverständlich wird. Wenn der Koran Juden oder Christen kritisiert, dann kritisiert er nicht die Juden oder die Christen, sondern es handelt sich hier um historisch bedingte Aussagen, gerichtet an bestimmte Kontexte im 7. Jahrhundert auf der arabischen Halbinsel. Dieses historische Bewusstsein für den Umgang mit der heiligen Schrift der Muslime muss in den Moscheen und im Religionsunterricht vermittelt werden.

Und wenn ein beachtlicher Teil der Befragten es in Ordnung findet, dass sich die islamische Welt "mit Gewalt gegen den Westen verteidigen" muss, dann müssen wir offen und ehrlich über Gewalt, über Waffenlieferungen in den Nahen Osten und vieles mehr reden.

Der Autor leitet das Zentrum für Islamische Theologie an der Uni Münster