Mütter hinter Gittern

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Sie verbringen den Muttertag in ihrer Zelle - und ihre Kinder sind mit dabei: Impressionen aus der Mutter-Kind-Abteilung der Strafanstalt Schwarzau.

Ein Jahr noch. Dann soll das alles hier zu Ende sein: die Enge, die Kargheit, die ständigen Begleiter in Uniform. "Ich hoffe, dass ich dann einen Platz in einem Mutter-Kind-Heim bekomme", sagt Anna M., "damit ich wenigstens mein Kind behalten kann." Ein Jahr noch, dann hat die 30-Jährige, in deren Gesicht das Leben Spuren hinterlassen hat, ihre Haftstrafe abgebüßt. Jetzt sitzt sie noch in ihrer Zelle in der Mutter-Kind-Abteilung der Schwarzau, Österreichs einziger Strafvollzugsanstalt für Frauen. Zwei weitere Mütter mit Kindern gibt es im Wiener Landesgericht in der Josefstadt, und noch einmal zwei im Landesgericht Innsbruck. In der Schwarzau, wo Frauen mit Haftstrafen über 18 Monaten landen, ist Anna M.s einjähriger Kevin der kleinste Sprössling. Ein Frühchen sei er gewesen, erzählt seine Mutter, während sie den Kleinen in ihren Armen hält. Inzwischen seien die Ärzte aber mit seiner Entwicklung zufrieden.

Verbotener Luxus

Viel Platz hat sie nicht, um mit ihm herumzutollen: Ihre Zelle - Wohn-und Schlafraum in einem - ist wenige Quadratmeter groß. Zwei Betten stehen darin, daneben zwei Gitterbettchen, ein Kleiderschrank und eine Gehschule. Ist die Abteilung voll belegt, müssen zwei Frauen samt Kindern Platz darin finden. Eine Enge, die nicht selten zu Problemen führt - und demnächst einen Umbau des Gebäudetraktes notwendig macht. "Luxus soll hier nicht geboten werden," betont der Leiter der Strafanstalt, Oberst Wolfgang Kunz. Zweckmäßige Räume seien gleichwohl notwendig. Nur dann könnten sich die inhaftierten Frauen - zumindest ein Stück weit - zu Hause fühlen.

So klein Anna M.s Zelle ist - so groß ist die Ordnung darin. Auch die sorgfältig handgeschriebene Bestell-Liste gehört dazu, in die all das einzutragen ist, was die Mütter oder Kinder tagtäglich brauchen: etwa Windeln oder Süßigkeiten für die Kleinen. Jeweils eine der Mütter ist für das Auflisten der Wünsche zuständig, deren Erfüllung durch den zentralen Einkauf erledigt wird. Für spontane Sehnsüchte oder Gusto ist bei so viel Planung kein Platz.

Für Kontakt mit der Welt da draußen schon. Um ihr soziales Umfeld zu erweitern, gehen die beiden anderen Kinder der Schwarzau in den Kindergarten oder stundenweise zu einer Tagesmutter. Auch für die Mütter ergeben sich Chancen für Außenkontakte: etwa durch jene Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen, die auch Anna M. und ihr kleiner Kevin einhalten müssen.

Organisiert und begleitet werden die Ausflüge vom Justizwachepersonal. "Natürlich trage ich dabei meine Uniform", stellt eine Beamtin klar. Ihre Uniformierung falle natürlich auf in einem Wartezimmer - doch zu besonderen Vorfällen oder verbalen Entgleisungen gegenüber den Frauen aus der Strafanstalt sei es dabei nie gekommen. "Das würde ich mir auch verbieten!", fügt sie energisch hinzu - und man glaubt es ihr.

Psychische Belastung

Doch wie gehen die Kinder mit diesem Leben hinter Gittern um? "Man muss sicher aufpassen, dass man sie nicht instrumentalisiert", betont Bernd Maelicke, Jurist an der Universität Lüneburg und Experte in Sachen Familie und Strafvollzug. Ob diese Mahnung in der Realität umzusetzen ist, bleibt indes fraglich. Zwar bilden Kinder den Rückhalt für ihre Mütter, während diese ihre Haftstrafe verbüßen. Nachdem sich die Frauen vielfach in psychischen Ausnahmesituationen befinden, tragen die Kinder aber auch eine enorme Last. Ein Leben im Gefängnis fordert eben Tribut.

Kein Wunder also, dass die Kritik an Mutter-Kind-Abteilungen beständig ist. "Viele meinen, Frauen würden ihre Kinder nur mitnehmen, damit sie Vergünstigungen im Alltag bekommen, und bezweifeln, dass es ihnen um die Bindung zu ihrem Kind geht", erklärt der Sozialarbeiter Werner Gruber, der für die Mutter-Kind-Abteilung in der Schwarzau zuständig ist. Andere finden, dass inhaftierte Frauen kein Mitgefühl erwarten dürften - schließlich hätten sie ein Verbrechen begangen. Ein Argument, das zuletzt auch gegen unbewachte Familienbesuche vorgebracht wurde, wie sie Justizministerin Karin Gastinger umsetzen will. "Wer hat Mitleid mit den Opfern?", wird hier formuliert. Dass nicht Rache sondern Resozialisierung im Zentrum des Strafvollzuges stehen sollte, verlieren die Kritiker schnell aus den Augen.

Schon jetzt regelt der Gesetzgeber zum Schutz der Kinder, dass sie ihre Mütter nur dann begleiten dürfen, wenn ihnen dadurch "kein Nachteil" erwächst. Zudem legt er fest, dass nur Unter-Dreijährige "in Justizgewahrsam" kommen dürfen. Schließlich nehme mit jedem Lebensjahr das kindliche Reflexionsvermögen zu, auch die Vielfalt sozialer Kontakte werde wichtiger. Mitzuerleben, dass die eigene Mutter keine Schlüsselgewalt besitzt, dass Fenster vergittert sind und sich niemand frei bewegen kann, sei eben prägend.

Fragile Bindung

Nicht selten kommt es deshalb vor, dass man inhaftierten Frauen das Zusammensein mit ihren Kindern verwehrt. Die Folge ist freilich gegenseitige Entfremdung. Mühsam müssen Mütter und Kinder beginnen, nach der Haftentlassung ihre Beziehung wieder aufbauen. "Ist die Mutter-Kind-Bindung einmal unterbrochen, dann ist sie aber - wenn überhaupt - nur unter Schwierigkeiten wieder zu knüpfen", erzählt Werner Gruber. Nur einmal sei es bisher vorgekommen, dass eine Gefangene von sich aus keine Besuche ihres Kindes wünschte, um ihm und sich den Abschiedsschmerz zu ersparen. Ein absoluter Ausnahmefall.

Ganz anders Anna M., die das Jahr bis zu ihrer Rückkehr in die Freiheit bestmöglich nutzen will. Sie verwöhnt den kleinen Kevin mit Aufmerksamkeit - und wenn sie von ihm spricht, tut sie das mit Stolz. Wie sie ihre Mutterrolle erfüllt, hat ihr mittlerweile sogar Anerkennung verschafft. Etwas, was hier, hinter Gittern, selten ist.

Die Autorin ist freie Journalistin.

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