Murat im "US-Gulag"

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Der Bremer Schiffsbaulehrling Murat Kurnaz ist immer noch in Guantánamo gefangen. Trotz des Freispruchs eines US-Gerichts.

Amerika ist gut", lautete das letztwöchige Resümee von Duncan Hunter nach seinem Besuch im Gefangenenlager auf Guantánamo: "Gutes Essen, gute medizinische Versorgung, totaler Respekt vor den religiösen Praktiken und gute Behandlung im Allgemeinen - das, was wir gesehen haben", fasste der republikanische Vorsitzende des us-Streitkräfteausschusses seine Eindrücke zusammen, "war nicht der gulag unserer Epoche."

Hunter widerspricht damit amnesty international und den New York Times, für die das us-Gefangenenlager Guantánamo Bay auf Kuba sehr wohl das "gulag unserer Zeit" ist. "Shut it down!" titelte die New York Times und forderte die Schließung des Lagers. Als Beleg für das rechtlose Vorgehen in Guantánamo diente der Zeitung die "Odyssee von Murat Kurnaz".

Kopfgeld für Häftling JJJFA?

Die Furche berichtete Ende letzten Jahres ausführlich über den Häftling "jjjfa" oder den "Bremer Taliban", wie Kurnaz auch genannt wird (siehe Furche Nr. 51, 2004): Am 3. Oktober 2001 war der 19-jährige Bremer Schiffsbaulehrling von daheim abgehauen. Von unterwegs hat er bei seiner Mutter angerufen und ihr versprochen, bis zum Abend nach Hause zu kommen. Doch Rabiye Kurnaz wartete vergeblich - drei Monate lang, bis die Polizei an der Tür läutete, mit einer guten und einer schlechten Nachricht: "Murat lebt, aber er ist in Guantánamo." Die Mutter erfuhr, dass ihr Sohn nach Pakistan gereist ist, dort festgenommen und vermutlich gegen Kopfgeld an die usa ausgeliefert wurde. Rabiye Kurnaz suchte Rechtsbeistand bei dem für sein Amerika-Faible bekannten Bremer Anwalt Bernhard Docke - und der erlebt seither "eine Zeitreise ins Mittelalter, wo es noch keine Menschenrechte gab und wo man sich mit absoluten Herrschern herumschlagen musste".

Neue Zuversicht für seinen Mandanten fasste Docke im Sommer letzten Jahres: Der us-Supreme Court entschied, dass Guantánamo-Häftlinge gegen ihre Haft klagen können. Docke und der amerikanische Rechtsprofessor Baher Azmy nützten die Chance und erreichten am 31. Jänner dieses Jahres einen Freispruch für Kurnaz. Laut Bundesrichterin Joyce Hens Green gibt es "keine die Inhaftierung von Herrn Kurnaz rechtfertigende Faktenlage - seine Bestimmung zum feindlichen Kämpfer ist rechtswidrig".

Im März sind auch noch geheime Aktenteile aufgetaucht, die laut Rechtsanwalt Docke zeigen, "dass die Regierung offensichtlich sehr genau weiß, dass es sich bei Murat um keinen Terroristen handelt". Trotzdem wird dem Bremer die Freilassung verweigert. Stattdessen ist die us-Regierung in die Rechtsmittel gegangen. Der Court of Appeal wird sich Ende des Monats mit dieser Berufung - ein Sammelverfahren für 55 Gefangene - beschäftigen: "Und die Entscheidung dieses Gerichts wäre dann wieder rechtsmittelfähig, egal wer verliert", sagt Docke und rüstet sich schon für die nächste Runde im Verfahren Murat Kurnaz gegen die usa.

Bremer Heimatrecht verloren

In der Zwischenzeit hat sich für den Bremer Häftling auch in seiner Heimat nichts zum Besseren gewendet: Gegen ein Votum des Europarates, aus einer rechtswidrigen Inhaftierung in Guantánamo keine negativen Folgen für Aufenthaltsrechte abzuleiten, beharrt der Bremer Innensenator auf seiner Entscheidung: Demnach hat Murat Kurnaz als Sohn türkischer Einwanderer ohne deutsche Staatsbürgerschaft durch seinen sechs Monate überschreitenden Auslandsaufenthalt alle Aufenthaltstitel verloren. Die Kanzlei von Rechtsanwalt Docke muss sich deswegen nicht nur mit der us-, sondern auch mit der deutschen Justiz herumschlagen. Aufgeben will Docke aber trotz dieser Rückschläge nicht: "Ein solches Unrecht macht mich immer wieder aufs Neue wütend", sagt er, "das weckt meinen Sportsgeist, da muss ich dagegenhalten."

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