Muß mehr als nur ein Aushängeschild sein

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Eine neue Definition dessen was "christlich-sozial" heute bedeutet muß erst noch formuliert und geprüft werden.

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Eine neue Definition dessen was "christlich-sozial" heute bedeutet muß erst noch formuliert und geprüft werden.

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Christen müssen wieder lernen, sich in die gesellschaftspolitische Diskussion "einzuklinken". Dies gilt für Laien ebenso wie für die Institution Kirche. Wenn man nichts sagt, überläßt man verschiedene Dinge ja wieder dem parteipolitischen Lager, von dem man nicht vereinnahmt werden will. Denn die Gefahr der Vereinnahmung ist immer gegeben, auch im Schweigen. Es gibt nichts Apolitisches, es gibt auch nicht das politische Neutrum in einer Institution. Ich habe eben meine politische und gesellschaftspolitische Verantwortung als Christ/in. Und das Problem ist, daß wir - alle miteinander - in den vergangenen Jahren so dahingedümpelt sind. Was bedeutet es aber, sich Christ/in zu nennen, fernab von allzu schwierigen theologischen und philosophischen Erkenntnissen?

Sicherlich nicht überheblich: "Ich bin der wertvollere Mensch" im Vergleich zu anderen Vorstellungen über gelungenes Menschsein in einem begrenzten diesseitlichen Menschenleben. Es bedeutet, daran zu glauben, sich vertrauensvoll dem Plan Gottes mit den Menschen überlassen zu dürfen; daran zu glauben, daß Gott die Menschen begleitet auf dem Weg in die Freiheit, in die Erlösung.

Das kann aber nicht als Freibrief für eine individuelle, egoistische Wanderung durchs Leben verstanden werden, sondern ist zum Beispiel immer gebunden an das Reflektieren darüber, was zugunsten "dem/der Geringsten meiner Brüder/Schwestern" getan werden muß.

In unserem Sprachgebrauch heißt dies wohl unter anderem über die gleiche Verteilung von Lebenschancen zu reden. Christ/in-sein heißt daher auch, sich zweifach zu betätigen: Not und Armut zu lindern (caritas) einerseits, andererseits aber auch jene "sündhaften Strukturen" (Papst Johannes Paul II.) aufzuspüren und anzusprechen, die Wurzeln sind für eine ungerechte Verteilung mit all ihren gesellschaftlichen Ausformungen.

Die frohe Botschaft vom Reich Gottes (das nicht von dieser Welt ist) zu verkünden, ist die vertikale Zielsetzung der Kirche, aber auch - so wie es Kardinal König 1973 vor dem Bundesvorstand des ÖGB formuliert hat: "Die Kirche als Institution, als Einrichtung, lebt in dieser Welt, und sie muß in dieser Welt wirken. Jedes Handeln und Wirken in der Öffentlichkeit, in der Welt, ist Politik. In diesem Sinne, und nur in diesem Sinne handelt die Kirche politisch."

Christen sollten sich - im intellektuell und emotional gleichgeschalteten Glauben an die Gnade der Erlösung - freier, mutiger, lustvoller an der Gestaltung der gesellschaftlichen Entwicklung beteiligen. Sie sollten sich aus historischen parteipolitischen Nachfolge-Zwängen befreien und prüfen und formulieren, was es jetzt und heute zu Beginn des 3. Jahrtausends als Ordnungsvorstellung bedeutet, sich christlich-sozial zu definieren. Dies hieße aber auch, Vergangenes (und noch immer Nachwirkendes) tatsächlich aufzuarbeiten, nicht nur die Zeit des Nationalsozialismus, sondern auch die Zeit des Ständestaates und damit die Nähe der katholischen Christen zum Austrofaschismus.

Christ/in sein ist mehr als nur ein Aushängeschild, das man gegebenenfalls vor sich herträgt - es ist ein Lebensprogramm, das Wahrhaftigkeit und den Gleichklang von Wort und Tat abverlangt. An der Vollendung der Schöpfung tatkräftig und sachkompetent mitzuarbeiten, die Stimme jenen zu leihen, die sie verloren haben, sich einzumischen in das weltliche Geschehen, stattfindende Willkür und Mißachtung oder Verletzung der Menschenwürde aufzuzeigen, ist Auftrag. Christen dürfen die Welt nicht von der warmen Stube aus betrachten und beurteilen, sie müssen hinaus und sich der rauhen Wirklichkeit stellen.

Christ/in sein bedeutet letztendlich "lediglich", jeden Tag Rechenschaft über Sein und Schein, Rechenschaft darüber abzulegen, ob man bereit war zuzulassen, das Antlitz Gottes im Nächsten zu erkennen.

Die Autorin ist Vorsitzende des Zentralbetriebsrates der Erzdiözese Wien.

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