"Mussten sich wie Vollidioten fühlen"

Werbung
Werbung
Werbung

Finanz-Staatssekretär Andreas Schieder über die Krise der globalen Finanzen und die Mitverantwortung nationaler Politiker. Für die Zukunft fordert er wesentlich strengere Regulative und solidarische Mitverantwortung der Unternehmen.

Finanzstaatssekretär Andreas Schieder hofft auf die positive Stimmung, die US-Präsident Obama ausstrahlt. Er beschreibt seine Vorstellung einer neuen Architektur der internationalen Finanzmärkte und geht mit Ex-Finanzminister Grasser hart ins Gericht, dem er "Informationsverschleierung" vorwirft.

Die Furche: Barack Obama ist seit Dienstag Präsident der USA. Glauben Sie, er kann der Wirtschaftskrise Herr werden?

Andreas Schieder: Barack Obama strahlt Hoffnung aus und steht für Veränderung. Er hat ein Programm angekündigt, um der Krise entgegenzuwirken und er hat auch bereits Leute geholt, die für die notwendige Regulierung der Finanzmärkte eintreten und diese umsetzen werden. Sein Charisma und seine Begeisterungsfähigkeit sind faszinierend und sicher eine gute Basis, um die notwendigen Reformen umzusetzen.

Die Furche: Die ersten Milliardenpakete in den USA sind allerdings verpufft. Droht Ähnliches auch in Österreich?

Schieder: Die Konjunkturpakete, die die Regierung in Österreich geschnürt hat, beginnen zu greifen. Ich bin davon überzeugt, dass die Steuerreform, die Entlastung vor allem der kleinen und mittleren Einkommen, den Konsum und damit auch die Konjunktur positiv stabilisieren wird.

Die Furche: Wie viele Hilfspakete kann sich Österreich noch leisten? Bis zu welcher Prozentmarke bei der Neuverschuldung kann Österreich gehen?

Schieder: Die Aufgabe der Politik ist es, im Rahmen der Möglichkeiten der Krise zu begegnen und gegenzusteuern. In dieser Frage geht es weniger um Zahlen und Grenzmarken. Es stellt sich ja auch die Frage, wie viel Arbeitslosigkeit ist vertretbar? Aus sozialdemokratischer Sicht kann das nur so beantwortet werden: So wenig Arbeitslosigkeit wie möglich, so viel Beschäftigung wie möglich.

Die Furche: Also gehen für Sie Arbeitsplätze vor Neuverschuldung, egal in welcher Höhe?

Schieder: Mir geht es um politisches Handeln. Natürlich ist verantwortungsvolles Haushalten wichtig, aber das starre Festhalten an Zahlen kann nicht die alleinige Antwort auf die aktuelle Situation sein.

Die Furche: Im Empfangsbereich des Ministeriums sind Werke von Friedrich von Hayek ausgestellt. Ist ein Vertreter der klassischen Schule für Sie ein Vorbild?

Schieder: Ich glaube nicht, dass Hayek der Autor der Stunde ist. Mir fallen hier aktuellere Namen wie Stieglitz, Krugman und Atkinson ein. Generell hat die Krise zwei Dimensionen: erstens die Bekämpfung der aktuellen täglichen Auswirkungen. Zweitens die Frage: Wo liegt die Schuld für die Krise? Es ist ja eine Krise in einem Ausmaß, wie man sie sich nicht sehr oft leisten kann.

Die Furche: Sie sprechen von Schuld. Bei wem liegt sie?

Schieder: Nun, in einer massiven Deregulierung, ausgehend von den USA, die in Europa zum Teil übernommen wurde. Das hatte zur Folge, dass das Finanzkapital wesentlich wichtiger wurde als die Realwirtschaft, ein verrückter Prozess. Schon in dem bei uns viel gebrauchten Slogan "Mehr privat weniger Staat" liegt ein Gutteil des Problems.

Die Furche: Dann wäre Karl-Heinz Grasser, der diesen Slogan maßgeblich mitgeprägt hat, ebenso schuld? Grasser war einer der ersten, der jetzt die Verantwortungslosigkeit der Manager angeprangert hat. Wie passt das zusammen?

Schieder: Was wir in den vergangenen Jahren erlebten, war auch Informationsverschleierung. Die Frage ist: Wie viel haben jene, die immer für die Veranlagung geworben haben, über das Risiko der Anlagen gewusst? Die Konsumenten wurden jedenfalls viel zu wenig aufgeklärt. Wenn Grasser den Neoliberalismus beklagt, so wird er ihn nicht mehr beklagen, wenn er auf sein Konto schaut. Ihm hat doch genau diese Informationsverschleierung nach seinem Ausscheiden aus der Politik ein sehr hohes Einkommen ermöglicht.

Die Furche: Wie sehen Sie die Zukunft des Pensionssystems und vor allem jene der Privatvorsorge?

Schieder: Dass es zusätzliche Anlageformen für den Ruhestand gibt, halte ich für richtig. Aber das kann nicht die Alternative zur staatlichen Pension sein. Unter diesen zusätzlichen Anlageformen sind manche hochriskant, das muss man den Menschen aber auch so sagen. Das ist, als würde man ins Casino gehen. Der Fehler war, dass man den Menschen vorgemacht hat, das System sei selbstfinanzierend. Diesen Goldesel gibt es halt nicht. Aus historischer Erfahrung wissen wir, dass langfristig Renditen, die über dem Wirtschaftswachstum liegen, unwahrscheinlich sind.

Die Furche: Was muss geschehen?

Schieder: Eine Lehre daraus ist, dass man im gesamten Wirtschaftssystem gesellschaftliche Verantwortung, Solidarität und Moral einfordern muss. Die Nationalstaaten und die Staatengemeinschaft müssen daraus ein neues Regulativ-Fundament gießen. Die Unternehmen müssen auch verstärkt ihre soziale Verantwortung gegenüber ihren Mitarbeitern wahrnehmen. Auch das sollte gesetzlich fixiert werden. Man muss bewusst machen, dass es keine Alternative zur ehrlichen Arbeit gibt. In den vergangenen Jahren musste man sich als kleiner Unternehmer mit normalen Renditen ja wie ein Vollidiot vorkommen. Die Investitionen wurden ja auch aus diesem Bereich abgezogen und in den Finanzbereich verlegt, wo es viel höhere Gewinne zu machen gab. Und nun sind die Betriebe zum zweiten Mal geschädigt, weil die Banken keine Kredite geben.

Die Furche: Welche Rolle hat dann für Sie die Finanzwirtschaft?

Schieder: Die Finanzwirtschaft braucht neue Regeln und dazu gibt es den Finanzgipfel in London im April, von dem ich einiges erwarte. Grundsätzlich sollten wir dahinkommen, dass die Aufgabe des Finanzsektors darin besteht, der Real-Wirtschaft Geld zur Verfügung zu stellen für die Realisierung von konkreten Projekten.

Die Furche: Politiker, etwa in der EU-Kommission, die noch vor wenigen Monaten glühende Neoliberale waren, sind plötzlich vom Staat als Krisenfeuerwehr überzeugt. Sind diese Funktionäre noch glaubwürdig?

Schieder: So wie in den USA wird es auch in Europa zu Wahlen kommen, wo sich die Menschen die Frage stellen können: Jene, die uns bisher geleitet haben - haben die uns den richtigen Weg gezeigt? Ich erwarte mir auch ein Umdenken innerhalb der Parteien.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung