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Naive Friedensfreunde?

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Dass – verstärkt durch offene Briefe – das alte Blockdenken auflebt, wirkt gespenstisch. Ein Gastkommentar über einstige Friedensmärsche und heutige NATO-Alternativen.

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Dass – verstärkt durch offene Briefe – das alte Blockdenken auflebt, wirkt gespenstisch. Ein Gastkommentar über einstige Friedensmärsche und heutige NATO-Alternativen.

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Offene Briefe an den Bundeskanzler in Deutschland – und neuerdings auch ein offener Brief in Österreich (unterzeichnet u. a. von Irmgard Griss, Walter Feichtinger, Emil Brix und Anton Pelinka, Anm.) heizen die Debatten über den Angriffskrieg Putins gegen die Ukraine weiter an. Doch worum geht es?

Die 28 Intellektuellen, Künstlerinnen und Künstler, die den sogenannten Emma-Brief unterzeichnet haben, fordern den deutschen Kanzler Olaf Scholz auf, den Krieg in der Ukraine nicht durch die Lieferung schwerer Waffen zu befeuern: „Die Lieferung großer Mengen schwerer Waffen könnte Deutschland selbst zur Kriegspartei machen [...]. Und ein russischer Gegenschlag könnte sodann den Beistandsfall nach dem NATO-Vertrag und damit die unmittelbare Gefahr eines Weltkriegs auslösen.“ Jürgen Habermas, letzter großer Philosoph der kritischen Theorie, hatte sich als Erster in der Süddeutschen Zeitung gemeldet, dort kritisierte er die Selbstgewissheit der „Empörten“ und plädierte für seine Verständigungsethik auf der Basis eines wechselseitigen Vernunftgebrauchs. Dem folgten in Alice Schwarzers Zeitschrift Emma eben Prominente wie Martin Walser, Alexander Kluge, Konstantin Wecker, Gerhard Polt, Juli Zeh, Lars Eidinger und Peter Weibel, angeführt von Deutschlands führender Feministin – formuliert in der Tradition des Pazifismus nach 1945. Hunderttausende, die sich an diese Tradition halten, unterzeichneten binnen weniger Tage den Emma-Brief.

Als Reaktion darauf veröffentlichte Die Zeit einen Gegenbrief, in dem eine andere Gruppe Olaf Scholz auffordert, weiter kontinuierlich schwere Waffen an die Ukraine zu liefern – unterzeichnet von Daniel Kehlmann und Eva Menasse, von Igor Levit, Herta Müller, von Gerald Knaus, Karl Schlögel und anderen.

Offene Briefe im Widerstreit

Die Gruppen begannen einen heftigen Streit in der Öffentlichkeit – man nannte einander Kriegshetzer und naive Friedensfreunde, US-Söldner und Putin-Versteher, Alt-68er und Lobbyisten der Rüstungsindustrie. Alte Fronten, die man für längst begradigt hielt, öffneten sich in neuer Schärfe. Wer sich noch an die Friedensbewegung der Achtziger Jahre im vorigen Jahrhundert erinnert, erlebt ein Déjà-vu. Der damalige „NATO-Doppelbeschluss“ (nachdem die Sowjets neue Mittelstreckenraketen aufgestellt hatten, wollte auch die NATO neue Mittelstreckenraketen in Europa positionieren) löste die größten Demonstrationen der Nachkriegszeit aus. Hunderttausende, vor allem Jugendliche, marschierten am 15. Mai 1982 auf den Straßen von Bonn und Wien, mit dem Slogan „Den Atomkrieg verhindern! Abrüsten!“ (siehe Bild), es folgten Demonstrationen in allen größeren Städten. Im Oktober 1982 wurden Menschenketten zwischen der Botschaft der USA und der Sowjetunion gebildet, um gegen den Rüstungswettlauf zu protestieren. Natürlich wurde den Demonstranten auch damals Kommunismus und gezielte Schwächung des Westens unterstellt. Bekanntlich setzte sich der damalige deutsche Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) gegen alle Friedensmärsche und auch gegen linke Sozialdemokraten wie Erhard Eppler von der evangelischen Kirche durch – und die Mittelstreckenraketen wurden in Deutschland aufgestellt.

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